Christian Wirth hat in den Leipziger Auwald geladen – eine sogenannte Hartholzaue, die artenreichste Form Wald, die es in Mitteleuropa gibt. Wirth ist Biologe, Professor an der Uni Leipzig, Spezialgebiet: Botanik und funktionelle Biodiversität. Mit der Leipziger Flussauenlandschaft, die sich entlang der Weißen Elster, der Pleiße und Luppe vom Süden quer durch die Stadt bis an die Grenze nach Sachsen-Anhalt zieht, beschäftigt sich der 52-Jährige schon lange. Er hat Artikel verfasst, Studien begleitet, immer wieder auf dieses einzigartige Biotop hingewiesen.
In einer Studie konnte er auf nur 18 Bäumen 566 Käferarten feststellen, von denen 114 auf der roten Liste der bedrohten Arten stehen. Viele davon zählen zu sogenannten Urwaldreliktarten, die man nur in Wäldern findet, die schon lange Zeit existieren. Das sei in Deutschland außerordentlich selten und das entspräche an Artenreichtum in etwa dem, was man in Tropenwäldern findet: "Es heißt nicht umsonst, dass die Auwälder die Tropenwälder Mitteleuropas sind.", so Wirth.
Deiche und Flussbegeradigungen sind Schuld
Doch die Aue krankt, seit Jahrzehnten schon. Und nun scheint die Austrocknung immer schneller voran zu gehen. Denn ihr weitverzweigtes System entlang der kleinen und mittleren Flussläufe, ist von ihrem wichtigsten Element abgeschnitten: dem Wasser. Dadurch trocknet der Wald buchstäblich aus, verliert seine großen, charakteristischen Bäume. Wirth erklärt:
"Die Ulmen sind schon im letzten Jahrhundert stark zurückgegangen. Wenn wir die Eichen verlieren, wenn wir die Eschen verlieren, dann verlieren wir auch einen großen Teil dieser angestammten biologischen Vielfalt. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir diesen Auwald wieder so ökologisch einstellen können, dass die angestandenen Baumarten hier auch eine Chance haben. Und um das zu bewirken, versuchen wir mit aller Kraft, diese Aue auch wieder zu revitalisieren. Das heißt also auch, Überflutungen wieder möglich zu machen."
Doch das ist alles andere als einfach. Denn in den letzten 100 Jahren wurden Deiche hochgezogen, Flussläufe begradigt, künstliche, teils in Beton gegossene Wasserstraßen geschaffen. Das war sicher gut für den Leipziger Hochwasserschutz, aber Gift für die Aue. Das weiß auch der sächsische Umweltminister.
Wolfram Günther von den Grünen kommt standesgemäß mit dem Fahrrad zum Termin. Treffpunkt: der geradlinig verlaufende Deich am Elsterflutbett, kurz bevor die südliche Aue im zentrumsnahen Clara-Zetkin-Park verschwindet. Dieses grüne Band Leipzigs ist mit fast fünf Hektar der sechstgrößte Auwald Deutschlands. Doch der Landschaft fehlen, so Günther, nun schon seit Jahrzehnten die typischen Überschwemmungen. Dazu sinkt der Grundwasserspiegel. Und die seit 2018 fast durchweg anhaltende Trockenheit gibt der Aue gerade den Rest.
Die Stadt will handeln - schnell
Nun soll nicht gleich alles, aber vieles besser werden, und zwar möglichst schnell. Ein Wettlauf gegen die Zeit wurde ausgerufen. Einer der ersten Schritte: Der Deich wurde entwidmet, ist nicht länger zentrales Element des Hochwasserschutzes. Stattdessen gilt nun als Damm und wird an einigen Stellen geöffnet.
"Das heißt, er wird nicht verschwinden, sondern hier muss man die entsprechenden Stellen schlitzen, damit das Wasser hier durch kann. Und das ist quasi nicht der Zustand von vorher zurück, sondern das wird neuer Zustand sein. Aber einer, wo Menschen hier was nutzen können, wo hier aber auch gleichzeitig das bald unter Wasser stehen kann. Und das ist so ein Grundgedanke, wie wir den jetzt über das gesamte System des Auwaldes hier ausbreiten wollen. Das sind alles europäische Schutzgebiete, da gibt es einen fachlichen Handlungsdruck, auch für die Stadt Leipzig. Es wäre nicht auszudenken, wenn hier kein Auwald mehr wäre."
Im Leipziger Rathaus kennt Heiko Rosenthal die skizzierten Probleme. Eine mittlere Katastrophe wäre es für die Stadt, so der Bürgermeister für Umwelt, Ordnung und Sport, wenn der Auwald verschwindet. Dieser sei sowohl zur Erholung, aber auch für die Stadtökologie und Luftqualität wichtig. Das Rad muss also zurückgedreht werden:
"Eigentlich gehört die 'Neue Luppe', wie sie gerade durch unser System fliest, aufgegeben und das natürliche Gewässersystem wiederhergestellt. Das muss jetzt passieren, sonst ist der Auwald, in seiner Vielfalt, Geschichte."
Gemeinsam mit dem Freistaat denke Leipzig gerade über ein Naturschutzgroßprojekt nach, erklärt Rosenthal. Wenn das anerkannt wird, wäre der Bund, auch finanziell, stärker mit im Boot, um diesen einmaligen Naturraum zu retten.