Existenzängste und Lesungen im Internet
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Eine Woche vor ihrem Beginn wurde die Leipziger Buchmesse wegen des Coronavirus abgesagt. Verlage, Veranstalter und Messebauer müssen teils heftige finanzielle Einbußen hinnehmen – den wirtschaftlichen Schaden schätzt die Stadt auf einen dreistelligen Millionenbetrag.
Sebastian Wolter kocht erst einmal Kaffee – so viel Zeit muss sein. Eigentlich wäre er, als einer der Geschäftsführer des Verlages "Voland & Quist", jetzt auf dem Buchmessegelände, würde den Verlagsstand betreuen, Kollegen treffen, Geschäfte machen – und definitiv viele Hände schütteln. Alles abgesagt. Nun sitzt er in seinem Leipziger Büro, trinkt Kaffee und versucht zu retten, was zu retten ist – und wirkt dabei relativ entspannt.
"Wir haben natürlich als erstes die Autoren informiert und die Autorinnen." Sie hätten, ihre Veranstaltungen relativ schnell selbst abgesagt. "Die ersten Tage waren ausgefüllt damit, zu organisieren, den Schaden zu begrenzen. Einiges war halt schon beauftragt und ist auch nicht mehr rückgängig zu machen, bzw. da muss auf Kulanz, bei Hotels etwa, gehofft werden."
Etwa für Marketing habe sein Verlag bereits einen vierstelligen Betrag ausgegeben, sagt Wolter. "Es hat uns nicht völlig überrascht, aber damit es wirklich einen größeren Effekt hätte haben können auf die Vorbereitung, hätte das ja Monate vorher eigentlich abgesagt werden müssen."
Doch da weder bei der Stadt noch der Leipziger Messe Hellseher arbeiten, wurde erst zehn Tage vor Messebeginn die Reißleine gezogen. Jeder Besucher und auch Veranstalter, so steht es in der Absage, hätte schriftlich belegen müssen, nicht aus einem aktuell definierten Risikogebiet zu stammen oder Kontakt zu Personen von dort gehabt zu haben. Nahezu unmöglich bei rund 2500 Ausstellern und rund 280.000 Besuchern.
Sebastian Wolter sieht das, bei allem Bedauern, ähnlich – wie auch seine Autoren: "Das Verständnis war sehr groß, bei einigen war sicherlich auch Erleichterung dabei." Alle fänden es schade und bedauerlich. Aber: "Jeder versteht das, dass das so nicht machbar ist."
"Man merkt, wie wichtig die Messe ist"
Was nun machbar ist, wurde in den letzten Tagen besprochen. Einige, kleinere Lesungen finden, über die Stadt verteilt, trotzdem statt. Die ARD veranstaltet eine "virtuelle Buchmesse", auch Deutschlandfunk Kultur ist dabei.
Dafür wird das geplante Bühnenprogramm mit prominenten Autoren und Autorinnen ins Studio verschoben und live im Netz und im Radio übertragen. "Voland & Quist" versucht ebenfalls, in den virtuellen, virenfreien Raum auszuweichen. "Wir haben uns entschlossen, unsere Autoren der Neuerscheinungen mal zu bitten, zu Hause eine Lesung aufzunehmen, was wir über unsere Social Media Kanäle verbreiten können."
Solche Aktionen gebe es zahlreiche. Aber man könne jetzt schon sagen, dass die Messe nicht zu ersetzen ist. "Also die Öffentlichkeit, die man da hat und die Kontakte, man merkt, wie wichtig die Messe doch ist." Dass dieses Bewusstsein gestärkt werde, sei vielleicht das Positive daran, meint Sebastian Wolter.
Wie wichtig die Leipziger Buchmesse fürs Geschäft ist, erfahren gerade auch viele kleinere Unternehmen, die in den letzten Wochen fast ihre gesamte Zeit in die Vorbereitung gesteckt haben. Bei einer Leipziger Firma für Werbetechnik etwa stehen schon seit Tagen die Maschinen still, warten die fertigen Plakate und Banner, gut sortiert und verpackt in großen Pappkisten, auf ihren Abtransport. Womöglich landet nun alles im Schredder. "Das sind große Stände, die vorgedruckt sind, gefertigt und die nur noch montiert werden müssen auf der Messe, fünf Meter hoch."
Alles sei in Vorleistung entstanden. "Die Frage ist: Wird jetzt diese bereits ausgeführte Arbeit bezahlt oder nicht? Das hängt alles ein bisschen in der Luft und wie es weitergeht, müssen wir abwarten." Bis heute warteten sie auf eine Entscheidung. "Wir fangen fünfstellig an, mit dem Schaden, ohne die Montage, selbst wenn jetzt die Produktion bezahlt wird."
Ein Zweimann-Betrieb, ihren Namen möchten die beiden nicht nennen. Zu groß sind Angst und Verunsicherung, ob die Rechnungen nun bezahlt werden – und wenn ja, in welcher Höhe. Niemand möchte teils jahrelange Auftraggeber anschwärzen. Doch es geht um die Existenz, denn selbst wer deutschlandweit gut im Geschäft ist – oder besser war, muss nun bangen:
"Wir hätten jetzt die Euronics gehabt, die ist abgesagt. Bis Ende April ist alles abgesagt. Und Kongresse, die stattfinden sollen, ob die stattfinden, kann man ja nur von Tag zu Tag entscheiden."
Es sei zu hoffen, dass noch Aufträge aus anderen Richtungen kommen. "Zwei, drei kleine Sachen sind noch da. Aber es ist ja nicht so, dass so ein kleiner Betrieb wie wir einen Haufen Rücklagen bilden kann." Für die Option Kurzarbeit seien sie gerade dabei, zu klären, wie es mit den Anträgen ist:
"Jetzt könnten langsam mal paar Informationen kommen, wie es weitergehen kann. Das sind für uns existenzbedrohende Sachen, denn die ganzen Ausgaben für Maschinen, Fahrzeuge, Räumlichkeiten laufen ja auch weiter."
Einige Autoren kommen trotzdem
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung, der die Absage der Messe mitentschieden hat, spricht von einem wirtschaftlichen Gesamtschaden im dreistelligen Millionenbereich. Er fordert nun einen Hilfsfond vom Bund, auch der Freistaat Sachsen soll die Messeverluste mittragen.
Claudius Nießen würde das begrüßen. Auch für ihn als Veranstalter mehrerer großer, nun abgesagter Lesungen in der Leipziger Innenstadt bewegen sich die Verluste im mittleren vierstelligen Bereich. In Abstimmung mit dem Gesundheitsamt darf er kleinere Lesungen durchführen.
Doch Nießen ist unsicher, ob diese am Ende funktionieren. Denn Veranstaltungen seien, zumindest in Teilen, nicht mehr so gut besucht. "Das macht es natürlich noch einmal schwieriger, auch wenn das Gesundheitsamt sagt: Ja, du kannst die Veranstaltung machen." Und dann stelle sich die Frage: "Lohnt es sich? Weil, das finanzielle Risiko ist dann natürlich ein doppeltes." Dass die kleineren Veranstaltungen stattfinden, freue ihn. Damit habe er "zum ersten Mal das Glück, dass ich vielleicht mal die ein oder andere Veranstaltung besuchen kann."
Wichtig ist dafür natürlich, dass einige Autoren trotzdem nach Leipzig kommen, vielleicht sogar teilweise auf Honorare verzichten und die wenigen kleinen Bühnen bespielen. Michael Kraske hat zumindest keine lange Anreise. Der Leipziger Autor war für insgesamt fünf Veranstaltungen gebucht, auf der Messe und in der Stadt.
Nun bleibt ihm eine – und die virtuelle Buchmesse. "Gerettet haben wir tatsächlich nur eine Veranstaltung, die Premiere für mein neues Buch 'Der Riss' – und ich bin auch guter Dinge, dass der Laden voll wird."
Es sei ganz wichtig, zum Start eines Buches rauszugehen, mit den Lesern ins Gespräch zu kommen. Von daher sei die Messe-Absage schon ein Schlag. "Aber die virtuelle Buchmesse bietet die Möglichkeit, ganz tief in Gesprächen mit den Moderatoren in den eigenen Stoff einzusteigen und ich freue mich wirklich sehr darauf, diese intensive Auseinandersetzung über mein Buch eben im Dialog zu führen."