"Katholikentag will ruhig diskutieren"
Die AfD soll nicht aufs Podium des Katholikentages in Leipzig: Diese Entscheidung trägt Propst Gregor Giele mit. Kleine Runden seien besser geeignet, um mit Anhängern der Partei zu reden. Ihn selbst überrasche es, dass auch Christen in der AfD seien.
Die Erfahrung zeige, dass AfD-Vertreter medial stark beachtete Foren oft zur "Selbstdarstellung und Zuspitzung" nutzten, sagt Giele, Propst der Leipziger Propsteikirche: "Das ist nicht Sache des Katholikentages. Da geht es um eine inhaltliche, sachliche Auseinandersetzung, um die ruhige Diskussion der Argumente."
Es gibt auch Christen in der AfD
Es gebe aber viele Angebote wie Workshops und kleinere Runden, in denen man über die Themen, die auch die AfD besetzt, ins Gespräch kommen wolle - "idealerweise auch mit Vertretern, die diese Meinung teilen". Denn es gebe sehr spannende Fragen, auch für ihn persönlich: "Ich nehme überrascht zur Kenntnis, dass es auch Christen in der AfD gibt, und für mich ist es schwer vorstellbar, wie ich meinen christlichen Glauben mit Positionen der AfD in Deckung bringe."
Insgesamt solle vom Katholikentag eine Botschaft ausgehen, so der Propst: "Wir wollen uns dem Gespräch stellen, auch der Vielfalt und Buntheit der Lebensstile, der Lebensansichten und Lebensformen (…). Leipzig ist seit alters her die Stadt des Disputes und der Diskussion."
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Wir sind als Kirche kein exklusiver Schrebergarten, sondern wir wollen raus. Das hat der Berliner Erzbischof Heiner Koch gestern gesagt im ZDF zu Beginn des 100. Deutschen Katholikentages in Leipzig. Derlei Vorhaben ist eine Herausforderung in einer Stadt, die zwar Heldenstadt war – schließlich haben die Leipziger Montagsdemonstrationen zum Ende der DDR geführt und auch die Kirchen, namentlich die Nikolaikirche, spielten damals eine Rolle –, gläubiger sind die Leipziger indes wie die Ostler insgesamt seitdem nicht geworden. Auch darauf will der Katholikentag reagieren. Gregor Giele ist Propst der 2015 neu gebauten Propsteikirche in Leipzig und war an der Planung des Katholikentags beteiligt. Er ist jetzt am Telefon, schönen guten Morgen!
Gregor Giele: Schönen guten Morgen!
von Billerbeck: Zu Tausenden sind in den letzten Jahren die Menschen in Deutschland aus der Kirche ausgetreten, vor allem die katholische Kirche hat Mitglieder verloren, nach Missbrauchsskandalen, verschwenderischen Selbstinszenierungen à la Limburg. In Leipzig macht man sich wohl weniger Gedanken über Austritte und Mitgliederschwund – man ist ja schon auf einem sehr niedrigen Niveau von nur vier Prozent der Bürger, die der katholischen Kirche angehören –, hier fehlt es vielmehr an Eintritten. Ist Leipzig also ein schwieriges Pflaster für so einen Katholikentag?
Katholiken wollen sich dem Gespräch stellen
Giele: Das glaube ich nicht. Zum einen, weil wir in den sächsischen Großstädten Dresden und Leipzig eben die genau andere Erfahrung machen, dass die Gemeinden wachsen. In einem bescheidenen Umfang, aber sie wachsen. Ein Katholikentag in Leipzig, das ist auch eine Botschaft der katholischen Christen in das Land hinein. Wir wollen uns dem Gespräch stellen, auch der Vielfalt und Buntheit der Lebensstile, der Lebensansichten und Lebensformen, und ins Gespräch kommen. Und Leipzig ist seit alters her die Stadt des Disputes und der Diskussion, wo geht es also besser als hier?
von Billerbeck: Aber die Gemeinden wachsen durch die Zuzüge, nicht durch Eintritte von Leipzigern, oder?
Giele: Sowohl, als auch. Leipzig ist eine Zuzugsstadt, von daher profitieren wir auch davon. Aber zum Beispiel in unserer Gemeinde überwiegen die Taufen, auch die Erwachsenentaufen und die Aufnahme von Erwachsenen gegenüber Austritten und Sterbefällen. Es gibt also auch ein natürliches Wachstum.
von Billerbeck: Wie wollen Sie eigentlich beim Katholikentag an Nichtkatholiken herankommen und wie vermeiden, dass das Ganze eine geschlossene Veranstaltung bleibt für alle, die immer dahin kommen?
Giele: Uns war von vornherein klar, dass es eher die Ausnahme sein wird, dass ein Leipziger sich das dicke Programmheft organisiert, 600 Seiten durchblättert, sich eine Veranstaltung, die ihn interessiert, heraussucht, hingeht, auch noch ein Tagesticket kauft, um teilzunehmen. Deswegen versuchen wir, viele Angebote im öffentlichen Raum zu unterbreiten, die dann dem Passanten begegnen, der vielleicht zunächst einmal nur zum Einkauf oder zum Kaffeetrinken in die Stadt kommt und dann durch vielleicht auch überraschende Begegnungen neugierig wird, stehenbleibt und ins Gespräch kommt.
Scheinwerfer sollen nicht auf AfD gerichtet sein
von Billerbeck: Klingt nach niedrigschwelligen Angeboten, wie man das im Sozialarbeitersound sagt. Ein Thema, das in der Öffentlichkeit viel diskutiert wurde, und Sie haben ja auch davon gesprochen, dass Leipzig die Stadt des Disputs ist, das ist die Mitteilung, dass der Katholikentag sich auch nach internen Diskussionen entschieden hat, nicht mit der AfD zu reden. Mit den AfD-Wählern schon, aber nicht mit der Partei. Warum?
Giele: Ich war an dem Entscheidungsprozess mit beteiligt und ich gebe frei zu, am Anfang war ich der Entscheidung gegenüber sehr skeptisch. Inzwischen trage ich sie mit, weil die Erfahrung zeigt: Bei einem großen Podium, wenn auch noch die Scheinwerfer, die Mikrofone und Kameras eingeschaltet sind, dann wird das oft zur Selbstdarstellung und zur Zuspitzung verwendet von vielen Vertretern der AfD. Das ist nicht Sache des Katholikentags, da geht es um eine inhaltliche, sachliche Auseinandersetzung, um die ruhige Diskussion der Argumente. Von daher, die AfD nicht auf ein Podium einzuladen, kann ich inzwischen gut mittragen.
Es gibt aber viele Angebote, Workshops, Gesprächskreise, kleinere Runden, wo man ins Gespräch kommen will über die Themen, die auch die AfD besetzt, idealerweise auch mit Vertretern, die diese Meinung teilen, um auf einer sachlichen und auch etwas ruhigeren und nicht aufgeheizten Atmosphäre zu diskutieren. Denn es gibt ja spannende Fragen.
Für mich persönlich: Ich nehme überrascht zur Kenntnis, dass es auch Christen in der AfD gibt. Und für mich ist es schwer vorstellbar, wie ich meinen christlichen Glauben mit Positionen der AfD in Deckung bringe, dass das zusammenpasst. Dort einmal ins Gespräch zu kommen, aufeinander zu hören, das wird beim Katholikentag geschehen, aber nicht auf dem medial sehr beachteten Podium.
Neue katholische Kirche im Zentrum Leipzigs
von Billerbeck: Ich hatte es gesagt, nur vier Prozent der Leipziger sind Katholiken. Aber – und das ist die gute Nachricht – 2015 wurde eine nigelnagelneue Kirche eingeweiht, Ihre nämlich, als erster Kirchenneubau seit Jahrzehnten, die Propsteikirche Sankt Trinitatis. Ist das mutig oder ist das das Denken der katholischen Kirche, das eben in Jahrhunderten denkt?
Giele: Zunächst war es notwendig, weil unsere alte Kirche marode, baufällig geworden ist und wir etwas Neues brauchten. Und diese Notwendigkeit führte uns zu dem Wunsch zu sagen: Wenn wir neu bauen, dann möchten wir gerne in die Mitte der Stadt und damit auch in die Mitte des Stadtlebens wieder rücken, weil wir der Überzeugung sind, auch die katholischen Christen gehören zum Stadtleben von Leipzig, prägen auch dieses Stadtleben, auch durch vieles soziales Engagement. Und das darf auch erkennbar im Stadtbild sein.
von Billerbeck: Gregor Giele war das, Propst der Leipziger Propsteikirche und Mitorganisator des 100. Katholikentages, der dieser Tage in Leipzig stattfindet. Ich danke Ihnen und wünsche gute Debatten am heutigen Feiertag.
Giele: Vielen Dank, Ihnen einen guten Tag!
von Billerbeck: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.