Leise Töne für ein großes Drama
In seinem Debütfilm "Das Lied in mir" erzählt Regisseur Florian Cossen eine Vater-Tochter-Geschichte, die ihre Wurzeln in der argentinischen Militärdiktatur hat. Jessica Schwarz spielt darin eine junge Frau, deren Leben plötzlich aus den Fugen gerät.
Liane von Billerbeck: Und bei uns zu Gast sind jetzt Florian Cossen, der Regisseur, und seine weibliche Hauptdarstellerin Jessica Schwarz. Herzlich willkommen!
Jessica Schwarz: Hallo!
Florian Cossen: Hallo!
von Billerbeck: Über 30.000 Menschen sind verschwunden während der Militärdiktatur in Argentinien, 500 Kinder verloren ihre Eltern, die ermordet worden sind. Florian Cossen, warum haben Sie sich entschieden, bei einem so dramatischen Stoff einen doch vergleichsweise so stillen Film zu machen?
Cossen: Vielleicht ist das genau der Grund, dass bei einem so großen Drama vielleicht die leisen Töne viel, viel, viel besser treffen, worum es eigentlich geht. Aber eigentlich sind das 30.000 ganz persönliche und ganz private Geschichten, die sich da eben bis heute abspielen – weil es keine Gräber gibt und keine Friedhöfe und keinen Ort, wo man Abschied nehmen kann, sondern dass dieses Thema eben bis heute in Argentinien eine ganz große Rolle spielt. Und im Fall der verschwundenen Kinder ist es ja ein Erbe, was diese jungen Erwachsenen plötzlich bekommen, aus einer Zeit, an die sie sich nicht erinnern, mit der sie plötzlich was zu tun haben, und deren Leben von einem Tag auf den nächsten den Boden unter den Füßen weggezogen bekommt.
von Billerbeck: Ich hatte fast befürchtet, dass in dem Film irgendwie dokumentarische Aufnahmen vorkommen und war ganz erleichtert, dass das nicht passiert, sondern dass Sie wirklich ein Kammerspiel inszenieren ja quasi. Weshalb haben Sie sich so konzentriert auf diese enge Situation, auf dieses Kammerspiel eben?
Cossen: Wir hatten so ein paar Do-Nots, die ich mir mit Fabian Maubach, dem Produzenten, von Anfang an aufgeschrieben habe, und zwar wir wollten einen Film in Argentinien spielen lassen, in dem kein Tango vorkommt, auch nicht auf dem Soundtrack, in dem kein Fußball vorkommt, obwohl ich es sehr gerne gemacht hätte, und in dem kein dokumentarisches Material drin vorkommt. Das finde ich ganz gefährlich, wenn Spielfilme sich dokumentarischen Materials ermächtigen und dadurch das in einen Realitätskontext rücken, den ich beim Spielfilm – da muss man wirklich sehr gut aufpassen.
Und uns war klar, dass wir keinen Film machen wollen, in dem wir die Geschichte erklären, schon gar nicht die argentinische Geschichte, sondern dass wir einen Film machen, der im Heute spielt, der einer Protagonistin passiert, die mein Alter hat, die auch keine Flashbacks bekommt, in der irgendwelche Dinge erklärt werden, sondern wenn Dinge aus der Vergangenheit kommen, dann sind das emotionale Erinnerungen auf der auditiven Ebene, die ja viel weniger, viel abstrakter sind als eigentlich so ein erklärerisches Bild. Und dass es uns eigentlich um eine ganz private Vater-Tochter-Geschichte geht, die ihre Wurzeln in dieser Zeit hat.
Und der Grund, weshalb ich eigentlich früh nach der Recherche in 2006 wusste, dass ich einen Spielfilm machen möchte, ist, dass wir bei dem Moment, wo die Vergangenheit eben plötzlich hereinbricht, dabei sein wollten. Ich hab mal in einem Dokumentarfilm einen Auszug gesehen über einen Jungen, der in England aufgewachsen ist und mit Mitte 20 dahinterkommt, dass er eines dieser Kinder ist und aus Argentinien stammt. Und der Dokumentarfilm endet mit seiner Reise, die er nach Argentinien macht und dahinterkommt, dass er ein Jahr älter ist, als er immer dachte zum Beispiel. Und er endet an der Stelle, bevor er zurück zu seinen bis eben noch gedachten leiblichen Eltern nach England fährt. Und da wollten wir weiter.
von Billerbeck: Jessica Schwarz, man kennt Sie ja aus vielen Rollen als Tony Buddenbrook, als Romy Schneider, immer Rollen auch, in denen die Figuren mit ihrer Identität haderten. Sie suchten die Maria, die Sie jetzt spielen – die wird in diese Suche quasi hineinkatapultiert, von einem Moment zum anderen wird aus der Deutschen eine Argentinierin, deren Leben aus den Fugen ist, weil sie quasi von deutschen Adoptiveltern gestohlen worden ist. Wie bereitet man sich auf so etwas vor, auf ein Leben, durch Literatur, durch Gespräche mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, wie macht man das?
Schwarz: Eigentlich hatten Florian und ich ausgemacht, dass ich mich auf gar nichts vorbereite, und bin wirklich in dieses Land gereist, ohne mir vorher Gedanken zu machen, also relativ naiv und mit offenen Gedanken, offenen Augen und einfach freiem Herzen. Ich habe natürlich schon drüber nachgedacht, wie man ansatzweise – weil in dem Fall kann man auch nur ansatzweise sagen, ich kann das verstehen oder ich kann das nachvollziehen, da ist man ja manchmal zu flüchtig mit, ich kann das verstehen, was so einem Menschen widerfährt.
Ich kenne das ein wenig von meiner Jugend, von meiner Kindheit, von meiner Pubertät, dass ich lange Zeit das Gefühl hatte, nicht zu meiner Familie zu gehören, was ich ihnen auch gesagt habe, mit einer ziemlichen Deutlichkeit, dass ich meinte, ihr seid nicht meine Eltern, ihr habt mich doch adoptiert und wer sind meine wirklichen Eltern und du bist auch nicht meine Schwester, einfach weil da das Verständnis irgendwie, die Harmonie einfach auch nicht gestimmt hat. Heute bin ich mir sehr, sehr sicher, dass es meine Eltern sind, das ist auf jeden Fall geklärt. Aber dieses Gefühl so, was das angeht, sich fremd zu fühlen, nachvollziehen konnte und mich natürlich auch deswegen das Thema schon gereizt hat. Es geht natürlich hier um Verlustängste, es geht um Vertrauensbrüche, und darum spielt sich natürlich dann auch viel in meinen Gedanken ab.
Cossen: Darf ich das ganz kurz noch ergänzen, nur zwei Sätze? Diese Jungfräulichkeit, die ich quasi ihr aufgezwungen habe, was das Wissen um diesen Stoff und die Geschichte angeht, hatte natürlich damit zu tun, dass die Figur auch gar nichts weiß und wir uns bewusst entschieden haben, eine Figur zu nehmen, die wie so viele in meinem Alter über das Thema gar nichts wissen oder ganz wenig wissen.
von Billerbeck: Die einfach nur auf einem Transit da zufällig rein gerät und plötzlich in ihrer eigenen Lebensgeschichte ist?
Cossen: Sozusagen diese privaten Assoziationen, die sie sich emotional gebaut hat, mir viel richtiger erschienen als zu versuchen, die Dimension dieser Verbrechen und dann zu versuchen, da ein Gefühl herzuleiten oder so, dass sie wirklich – und das hat ziemlich toll geklappt, obwohl sie ein bisschen Spanisch spricht und auch nie mit den Leuten reden durfte, damit auch das Spanisch nicht besser wird in der Zeit – wirklich so peu à peu eigentlich in diesen Stoff und in dieses Leben in Argentinien durch diese acht Wochen Dreh so reinzukommen.
von Billerbeck: Im Film trifft Maria ja einen jungen Polizisten, der quasi die gegenteilige Position einnimmt, im Verhältnis zur Vergangenheit. Maria will wissen, sie will erfahren, was ihr Vater gemacht hat, wer ihre Familie war, und dieser argentinische Polizist, der Deutsch spricht, möchte eben nicht wissen, was sein Vater möglicherweise getan hat, weil er befürchtet, dass der irgendwie verstrickt war. Für welche Haltung hätten Sie beide sich denn entschieden? Das ist ja auch so ein deutsches Problem, oder sagen wir ein universales Problem in Ländern, die Diktaturen hatten. Wie stellt man sich dieser Geschichte, will man sie erfahren, will man sie lieber verdrängen?
Schwarz: Also ich merke natürlich, was vielleicht aber auch mit meinem Beruf zu tun hat, dass ich jemand bin, der allen Dingen ziemlich genau auf den Grund gehen möchte. Durch die Filme, die ich mir vielleicht auch so … Die Themen, für die ich mich interessiere, und für die Filme, für die ich mich entschieden habe, haben ja, wie vorhin auch schon gesagt, viel immer mit Suche zu tun, und ich bin da schon jemand, der wirklich auch in der eigenen Familie immer wieder nachfragt, wie bei "Kammerflimmern" über die Schwangerschaft. Ich bin jemand, der alles irgendwie wissen muss und wissen möchte, und könnte nicht, wenn ich einmal gemerkt hätte, der Deckel der Wahrheit ist ein bisschen angehoben worden, ihn einfach wieder zumachen und mich rumdrehen und gehen – ich könnte damit nicht leben, da bin ich mir ziemlich sicher.
von Billerbeck: Und Sie?
Cossen: Ich hab ja das Glück, dass ich Filme machen kann und dann Figuren schreiben kann, zusammen mit der Autorin Elena von Saucken, wo in diesem Film unser Versuch war, vier Figuren oder vier Perspektiven eigentlich zu zeichnen, die alle hoffentlich ein bisschen nachvollziehbar sind, also auch sozusagen das Gefühl der argentinischen Familien, die klagen wollen, die den wirklich am liebsten ins Gefängnis haben wollen, als auch der verschwiegene deutsche Vater, der seine Gründe hat. Ich persönlich kann alle vier Figuren nachvollziehen und verstehen und habe die größte Bewunderung für Marias Weg.
von Billerbeck: Der Film ist ja mittlerweile auf diversen Festivals gelaufen, auch ausgezeichnet worden. Gab es da eigentlich immer Diskussionen auch um das Thema, wollten die Leute darüber debattieren?
Cossen: Erstaunlicherweise ja.
Schwarz: Ja!
Cossen: Also das haben wir, glaube ich, nicht so erwartet …
Schwarz: Nee.
Cossen: … und das waren ja jetzt nicht komplett unterschiedliche Kulturkreise, aber in Montreal, in der Schweiz in Zürich oder auch in Ronda, auf einem politischen Festival, wo ich in Spanien war …
von Billerbeck: Spanien hatte auch eine Diktatur.
Cossen: Eben, also da war der Link sogar noch am nächsten, eins zu eins, auch unter Franco gab es ähnliche Dinge, die eben nicht aufgearbeitet wurden, und Argentinien ist mittendrin. Aber ich habe so mit der Zeit mir meinen Reim so drauf gemacht, warum wirklich in allen Ländern – und nicht nur von Hispanos, die im Ausland leben, sondern auch Menschen, die davon nichts wussten, sofort einen Bezug hatten für eine Diskussion, und ich glaube, dass der empathische Bezug, dass man selber eben, wie weit, zu welchem Preis möchte ich wirklich die ganze Wahrheit wissen. Und jeder kann sich ein familiäres Äquivalent bilden und der Opa, der stirbt, und der Koffer kommt raus und die alte SS-Urkunde, möchte ich die sehen oder soll der Opa eigentlich der Opa bleiben, der er immer war. Und jeder hat irgendwas Familiäres oder Beziehungsmäßiges in der eigenen Liebesbeziehung, wo man sagt, bis wo ist eigentlich die Aufarbeitung nicht nur richtig, sondern bis wohin würde ich sie betreiben.
von Billerbeck: Florian Cossen, der Regisseur, und Jessica Schwarz, die die weibliche Hauptrolle spielt in dem Film "Das Lied in mir". Der preisgekrönte Film kommt am 10. Februar in die deutschen Kinos. Ganz herzlichen Dank an Sie beide!
Schwarz: Danke auch!
Cossen: Danke schön!
Filmhomepage
Jessica Schwarz: Hallo!
Florian Cossen: Hallo!
von Billerbeck: Über 30.000 Menschen sind verschwunden während der Militärdiktatur in Argentinien, 500 Kinder verloren ihre Eltern, die ermordet worden sind. Florian Cossen, warum haben Sie sich entschieden, bei einem so dramatischen Stoff einen doch vergleichsweise so stillen Film zu machen?
Cossen: Vielleicht ist das genau der Grund, dass bei einem so großen Drama vielleicht die leisen Töne viel, viel, viel besser treffen, worum es eigentlich geht. Aber eigentlich sind das 30.000 ganz persönliche und ganz private Geschichten, die sich da eben bis heute abspielen – weil es keine Gräber gibt und keine Friedhöfe und keinen Ort, wo man Abschied nehmen kann, sondern dass dieses Thema eben bis heute in Argentinien eine ganz große Rolle spielt. Und im Fall der verschwundenen Kinder ist es ja ein Erbe, was diese jungen Erwachsenen plötzlich bekommen, aus einer Zeit, an die sie sich nicht erinnern, mit der sie plötzlich was zu tun haben, und deren Leben von einem Tag auf den nächsten den Boden unter den Füßen weggezogen bekommt.
von Billerbeck: Ich hatte fast befürchtet, dass in dem Film irgendwie dokumentarische Aufnahmen vorkommen und war ganz erleichtert, dass das nicht passiert, sondern dass Sie wirklich ein Kammerspiel inszenieren ja quasi. Weshalb haben Sie sich so konzentriert auf diese enge Situation, auf dieses Kammerspiel eben?
Cossen: Wir hatten so ein paar Do-Nots, die ich mir mit Fabian Maubach, dem Produzenten, von Anfang an aufgeschrieben habe, und zwar wir wollten einen Film in Argentinien spielen lassen, in dem kein Tango vorkommt, auch nicht auf dem Soundtrack, in dem kein Fußball vorkommt, obwohl ich es sehr gerne gemacht hätte, und in dem kein dokumentarisches Material drin vorkommt. Das finde ich ganz gefährlich, wenn Spielfilme sich dokumentarischen Materials ermächtigen und dadurch das in einen Realitätskontext rücken, den ich beim Spielfilm – da muss man wirklich sehr gut aufpassen.
Und uns war klar, dass wir keinen Film machen wollen, in dem wir die Geschichte erklären, schon gar nicht die argentinische Geschichte, sondern dass wir einen Film machen, der im Heute spielt, der einer Protagonistin passiert, die mein Alter hat, die auch keine Flashbacks bekommt, in der irgendwelche Dinge erklärt werden, sondern wenn Dinge aus der Vergangenheit kommen, dann sind das emotionale Erinnerungen auf der auditiven Ebene, die ja viel weniger, viel abstrakter sind als eigentlich so ein erklärerisches Bild. Und dass es uns eigentlich um eine ganz private Vater-Tochter-Geschichte geht, die ihre Wurzeln in dieser Zeit hat.
Und der Grund, weshalb ich eigentlich früh nach der Recherche in 2006 wusste, dass ich einen Spielfilm machen möchte, ist, dass wir bei dem Moment, wo die Vergangenheit eben plötzlich hereinbricht, dabei sein wollten. Ich hab mal in einem Dokumentarfilm einen Auszug gesehen über einen Jungen, der in England aufgewachsen ist und mit Mitte 20 dahinterkommt, dass er eines dieser Kinder ist und aus Argentinien stammt. Und der Dokumentarfilm endet mit seiner Reise, die er nach Argentinien macht und dahinterkommt, dass er ein Jahr älter ist, als er immer dachte zum Beispiel. Und er endet an der Stelle, bevor er zurück zu seinen bis eben noch gedachten leiblichen Eltern nach England fährt. Und da wollten wir weiter.
von Billerbeck: Jessica Schwarz, man kennt Sie ja aus vielen Rollen als Tony Buddenbrook, als Romy Schneider, immer Rollen auch, in denen die Figuren mit ihrer Identität haderten. Sie suchten die Maria, die Sie jetzt spielen – die wird in diese Suche quasi hineinkatapultiert, von einem Moment zum anderen wird aus der Deutschen eine Argentinierin, deren Leben aus den Fugen ist, weil sie quasi von deutschen Adoptiveltern gestohlen worden ist. Wie bereitet man sich auf so etwas vor, auf ein Leben, durch Literatur, durch Gespräche mit Menschen, die Ähnliches erlebt haben, wie macht man das?
Schwarz: Eigentlich hatten Florian und ich ausgemacht, dass ich mich auf gar nichts vorbereite, und bin wirklich in dieses Land gereist, ohne mir vorher Gedanken zu machen, also relativ naiv und mit offenen Gedanken, offenen Augen und einfach freiem Herzen. Ich habe natürlich schon drüber nachgedacht, wie man ansatzweise – weil in dem Fall kann man auch nur ansatzweise sagen, ich kann das verstehen oder ich kann das nachvollziehen, da ist man ja manchmal zu flüchtig mit, ich kann das verstehen, was so einem Menschen widerfährt.
Ich kenne das ein wenig von meiner Jugend, von meiner Kindheit, von meiner Pubertät, dass ich lange Zeit das Gefühl hatte, nicht zu meiner Familie zu gehören, was ich ihnen auch gesagt habe, mit einer ziemlichen Deutlichkeit, dass ich meinte, ihr seid nicht meine Eltern, ihr habt mich doch adoptiert und wer sind meine wirklichen Eltern und du bist auch nicht meine Schwester, einfach weil da das Verständnis irgendwie, die Harmonie einfach auch nicht gestimmt hat. Heute bin ich mir sehr, sehr sicher, dass es meine Eltern sind, das ist auf jeden Fall geklärt. Aber dieses Gefühl so, was das angeht, sich fremd zu fühlen, nachvollziehen konnte und mich natürlich auch deswegen das Thema schon gereizt hat. Es geht natürlich hier um Verlustängste, es geht um Vertrauensbrüche, und darum spielt sich natürlich dann auch viel in meinen Gedanken ab.
Cossen: Darf ich das ganz kurz noch ergänzen, nur zwei Sätze? Diese Jungfräulichkeit, die ich quasi ihr aufgezwungen habe, was das Wissen um diesen Stoff und die Geschichte angeht, hatte natürlich damit zu tun, dass die Figur auch gar nichts weiß und wir uns bewusst entschieden haben, eine Figur zu nehmen, die wie so viele in meinem Alter über das Thema gar nichts wissen oder ganz wenig wissen.
von Billerbeck: Die einfach nur auf einem Transit da zufällig rein gerät und plötzlich in ihrer eigenen Lebensgeschichte ist?
Cossen: Sozusagen diese privaten Assoziationen, die sie sich emotional gebaut hat, mir viel richtiger erschienen als zu versuchen, die Dimension dieser Verbrechen und dann zu versuchen, da ein Gefühl herzuleiten oder so, dass sie wirklich – und das hat ziemlich toll geklappt, obwohl sie ein bisschen Spanisch spricht und auch nie mit den Leuten reden durfte, damit auch das Spanisch nicht besser wird in der Zeit – wirklich so peu à peu eigentlich in diesen Stoff und in dieses Leben in Argentinien durch diese acht Wochen Dreh so reinzukommen.
von Billerbeck: Im Film trifft Maria ja einen jungen Polizisten, der quasi die gegenteilige Position einnimmt, im Verhältnis zur Vergangenheit. Maria will wissen, sie will erfahren, was ihr Vater gemacht hat, wer ihre Familie war, und dieser argentinische Polizist, der Deutsch spricht, möchte eben nicht wissen, was sein Vater möglicherweise getan hat, weil er befürchtet, dass der irgendwie verstrickt war. Für welche Haltung hätten Sie beide sich denn entschieden? Das ist ja auch so ein deutsches Problem, oder sagen wir ein universales Problem in Ländern, die Diktaturen hatten. Wie stellt man sich dieser Geschichte, will man sie erfahren, will man sie lieber verdrängen?
Schwarz: Also ich merke natürlich, was vielleicht aber auch mit meinem Beruf zu tun hat, dass ich jemand bin, der allen Dingen ziemlich genau auf den Grund gehen möchte. Durch die Filme, die ich mir vielleicht auch so … Die Themen, für die ich mich interessiere, und für die Filme, für die ich mich entschieden habe, haben ja, wie vorhin auch schon gesagt, viel immer mit Suche zu tun, und ich bin da schon jemand, der wirklich auch in der eigenen Familie immer wieder nachfragt, wie bei "Kammerflimmern" über die Schwangerschaft. Ich bin jemand, der alles irgendwie wissen muss und wissen möchte, und könnte nicht, wenn ich einmal gemerkt hätte, der Deckel der Wahrheit ist ein bisschen angehoben worden, ihn einfach wieder zumachen und mich rumdrehen und gehen – ich könnte damit nicht leben, da bin ich mir ziemlich sicher.
von Billerbeck: Und Sie?
Cossen: Ich hab ja das Glück, dass ich Filme machen kann und dann Figuren schreiben kann, zusammen mit der Autorin Elena von Saucken, wo in diesem Film unser Versuch war, vier Figuren oder vier Perspektiven eigentlich zu zeichnen, die alle hoffentlich ein bisschen nachvollziehbar sind, also auch sozusagen das Gefühl der argentinischen Familien, die klagen wollen, die den wirklich am liebsten ins Gefängnis haben wollen, als auch der verschwiegene deutsche Vater, der seine Gründe hat. Ich persönlich kann alle vier Figuren nachvollziehen und verstehen und habe die größte Bewunderung für Marias Weg.
von Billerbeck: Der Film ist ja mittlerweile auf diversen Festivals gelaufen, auch ausgezeichnet worden. Gab es da eigentlich immer Diskussionen auch um das Thema, wollten die Leute darüber debattieren?
Cossen: Erstaunlicherweise ja.
Schwarz: Ja!
Cossen: Also das haben wir, glaube ich, nicht so erwartet …
Schwarz: Nee.
Cossen: … und das waren ja jetzt nicht komplett unterschiedliche Kulturkreise, aber in Montreal, in der Schweiz in Zürich oder auch in Ronda, auf einem politischen Festival, wo ich in Spanien war …
von Billerbeck: Spanien hatte auch eine Diktatur.
Cossen: Eben, also da war der Link sogar noch am nächsten, eins zu eins, auch unter Franco gab es ähnliche Dinge, die eben nicht aufgearbeitet wurden, und Argentinien ist mittendrin. Aber ich habe so mit der Zeit mir meinen Reim so drauf gemacht, warum wirklich in allen Ländern – und nicht nur von Hispanos, die im Ausland leben, sondern auch Menschen, die davon nichts wussten, sofort einen Bezug hatten für eine Diskussion, und ich glaube, dass der empathische Bezug, dass man selber eben, wie weit, zu welchem Preis möchte ich wirklich die ganze Wahrheit wissen. Und jeder kann sich ein familiäres Äquivalent bilden und der Opa, der stirbt, und der Koffer kommt raus und die alte SS-Urkunde, möchte ich die sehen oder soll der Opa eigentlich der Opa bleiben, der er immer war. Und jeder hat irgendwas Familiäres oder Beziehungsmäßiges in der eigenen Liebesbeziehung, wo man sagt, bis wo ist eigentlich die Aufarbeitung nicht nur richtig, sondern bis wohin würde ich sie betreiben.
von Billerbeck: Florian Cossen, der Regisseur, und Jessica Schwarz, die die weibliche Hauptrolle spielt in dem Film "Das Lied in mir". Der preisgekrönte Film kommt am 10. Februar in die deutschen Kinos. Ganz herzlichen Dank an Sie beide!
Schwarz: Danke auch!
Cossen: Danke schön!
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