Nuccio Ordine: Von der Nützlichkeit des Unnützen
Graf-Verlag
269 Seiten, 12 Euro
Ein Hoch auf die Planlosigkeit
Der Mensch von heute ist vom Zweck besessen, meint der italienische Philosoph Nuccio Ordine. In seinem Manifest "Von der Nützlichkeit des Unnützen" plädiert er dafür, nicht ständig nach dem "Wofür" zu fragen und echte Neugier zu kultivieren.
Eine Flut von Büchern rollt jüngst auf die Bastionen der Leistungsgesellschaft zu. Sie stellen die Werte des neoliberalen Weltbilds auf den Prüfstand und das Lebenskunst-Thema unterspült den Selbstoptimierungswahn der zu allem Leistungsbereiten. Was wie Optimierung erscheint, ist eigentlich eine Selbstverstümmelung, glaubt der italienische Philosoph Nuccio Ordine. Nicht die Gesellschaft muss optimiert bzw. reformiert werden, so das von ihm diagnostizierte Credo des Zeitgeists, sondern das Individuum, zwecks Anpassung an den herrschenden Ungeist, der Lebensziele und deren Standards festlegt.
Auch die Freizeit wird verzweckt
Solche Zielbesessenheit aber, so Ordine, lässt unsere Sensibilitäten für alles verarmen, das sich nicht als Mittel zum Zweck nutzbar machen lässt – also eben unnütz ist. Selbst die Freizeit muss, in unserem mittlerweile angenommenen Selbstverständnis, längst zur Rekreation, also zur Wiederherstellung der Arbeitskraft dienen. "Die 'freien Männer' kennen keine Zeitnot und schulden niemandem Rechenschaft, während die 'Sklaven' dem Diktat der Uhr und eines Herren unterstehen, der entscheidet", zitiert Ordine, genüsslich, Aristoteles.
Dass wir unsere Selbstversklavung freiwillig betreiben, ändert nichts an unserem Status – wir haben ihn derart verinnerlicht, dass wir tun wollen, was wir tun müssen. Dabei ist in der Kreativitätsforschung seit Jahrzehnten belegt, dass nicht etwa Konzentration aufs angeblich Wesentliche, sondern Ablenkung, Verunsicherung, Verspieltheit, Zweckfreiheit am förderlichsten sind – also all jene Einstellungen, die den Künsten am nächsten stehen.
Gestaltungschancen erweitern
Doch just diese scheinbaren Luxusfächer werden immer institutionell weiter geschrumpft, rügt Ordine – und mit ihnen die kreativen Grundeinstellungen des Menschen. "Ich habe keine besondere Begabung, … ich bin nur leidenschaftlich neugierig", habe Einstein betont – und damit Neu-Gier als eigenständiges Erkenntnisinteresse geadelt. Statt Anpassung an einen fremd vordefinierten Nutzen sollten wir die Spielräume menschlicher Optionen und Gestaltungschancen erweitern.
Dieses Ideal, das auch das der Renaissance-Humanisten war, beflügelt auch Ordine. Er zeichnet klug, wenn auch nicht systematisch, ähnliche, oft untergründige historische Entwicklungslinien nach – bis hin zu einem im Anhang abgedruckten langen Manifest des US-Pädagogen Abraham Flexner aus dem Jahr 1939, in dem dieser auf "die Nützlichkeit unnützen Wissens" verweist. Heute, in der sogenannten Wissensgesellschaft, ist es ein Gemeinplatz, dass niemand von vornherein sagen kann, welche Informationen und Wissensformen plötzlich gebraucht werden – die Grundlagenforschung ist der beste Beleg für die Kreativität und die Entstehung des ungeplant Neuen.
Gegen marktkonforme Lehrpläne
Natürlich ist Ordines Manifest auch eine heimliche Kritik an unserer monistischen Kultur, die nur eine Werteordnung für alle Lebensbereiche postuliert: "Tatsächlich hat, wer sich im Besitz der Wahrheit glaubt, die Suche nach ihr nicht mehr nötig, er hat nicht mehr das Bedürfnis, Dialoge zu führen, dem anderen zuzuhören, sich … mit der Unterschiedlichkeit und Vielfalt auseinanderzusetzen". Und das ist auch ein Appell an die Bildungspolitik, die heute marktkonforme Curricula favorisiert.