Kick oder Crash?
Von dramatischen Momenten ist in der Sportberichterstattung gern die Rede, von Tragödien und willensstarken Helden, die ihr Schicksal bezwingen. Die ehemalige Spitzensportlerin Ines Geipel fragt sich: Warum das alles?
Oft passiert das ja nicht: Dass sportliche Superstars Tacheles in Sachen Körper, Schmerz und Ängste reden. So geschehen bei Fußball-Profi Philipp Lahm im Jahr 2011: "So kaputt war ich noch nie", sagte er da. "Das ist wie eine Kettenreaktion: Am Anfang steht die Psyche, dann kommt der Körper, und dann kommt wieder die Psyche, weil man an Selbstvertrauen verliert."
Nur die intelligenten Superstars reden, über ein Hochrisikogeschäft, das mit Müdigkeit, Verschleiß, seelischen Untiefen und Ängsten nicht gerade in einem Intimverhältnis steht. Wenn die großen Helden berichten, hört sich das so an, als müsse jemand da sein, der die Hand über sie legt und ihr Drama noch im selben Moment beendet. Denn nichts geht mehr.
Wie zuletzt auch bei Slalom-Filou Felix Neureuther, Tage vor den Olympischen Spielen in Sotschi. In einem Interview sprach er selten offen über den Raubbau am eigenen Körper, über Bandscheibenvorfälle und Spritzenkuren: "Die Füße tun weh, der Rücken, die Knie. Nach elf Jahren im Skiweltcup merkt man leider den Verschleiß. Ich habe vier Bandscheibenvorfälle, eine Stelle ist permanent entzündet, dort drückt es auf den Nerv."
Kurz darauf raste Neureuther auf dem Weg nach Sotschi und zum Münchner Flughafen über Blitzeis in die Leitplanken. Die große Hoffnung schaltete auf Routine und startete, trotz Schleudertrauma. Natürlich! "Selbst an Tagen, wo mein Körper nicht so mitmacht", wusste er zu berichten, "bin ich in der Lage, bei einem Rennen unter die ersten Zehn zu fahren. Das ist ein echter Genuss. Zu wissen, dass man es einfach kann."
Die Sehnsucht nach dem Ausstieg
Das sind Sätze, die auf die Sollbruchstellen topmotivierter, leistungsgewisser Zeitgenossenschaft zielen, auf das, was mit denen geschieht, die ohne Pause im Hochleistungszug sitzen, wobei sich Zug und Zeit offenbar gegenseitig in einem Fort beschleunigen. Zugkapseln als Wunschräume, als innerste Motivatoren für das Einzigartige, das vermeintlich Unwiederholbare.
Dabei ist das Unbehagen über die fleißigen Hochleister und ihre nicht mehr anhaltenden Lebenszüge längst in jeder Hinsicht voranschreitend. Die Sehnsucht nach Ausstieg gehört auf erstaunlich laute Weise seit geraumer Zeit zum Gesellschaftsdiskurs, selbst bei denen, die bis auf weiteres in ihren Zügen ohne Halt sitzen. Aber wie und wohin springt man ab, wenn der Zug des eigenen Lebens eben nicht nur Teil einer Fullspeed-Story ist, sondern längst das Ganze?
Alles Säuseln über Langsamkeit, alle Träume von der Figur des aus der Zeit Gefallenen, alle erwünschten Offline-Welten und Entschleunigungsrufe haben etwas eigenartig Vergebliches an sich. Sie vergrößern höchstens die Ohnmacht, in der die Hochleister ohnedies stecken. Denn die wissen ja alles! Sie wissen, was sie umtreibt, quält und immer schneller hecheln lässt.
Wie weiter mit dem Leistungsdruck?
Wie weiter aber mit dem, was die Moderne wie ein Fetisch vor sich hergetragen hat, weil es dem Ideal der Freiheit entsprach? Wie weiter also mit der schönen Arbeit an der eigenen Grenze und mit dem, was wir unter Leistung verstehen? Was sagt man einem, der unter Höchstdruck versucht, unentwegt das Beste zu geben? Lässt sich sein Nadelöhr einfach so wegmoderieren?
Der Verschleiß ganzer Sportlergenerationen und eine medaillenbesoffene Gesellschaft – nimmt sie die Megakrisen ihrer Superburschen überhaupt noch wahr und vor allem ernst? Wieso akzeptiert sie Voltaren-Ligen im Handball und Fußball und an jeder Stelle des Körpers getapte Super-Athleten? Warum eigentlich muss vor jeder Medaillen-Schlacht der Schmerz qua Chemie abgestellt werden? Was ist so unerträglich an diesem Spiel? Seine Schnelligkeit, seine Routine, seine Ödnis, das Body-Business, das Helden-Karussell ohne Limit? Die hart antrainierte Verletzungs-Individualität so vieler Topathlet en? Wenn es um die Bilanz von Olympia geht – gehörte die Geschichte all der ausgelutschten, versehrten Olympiakörper nicht dazu?
Ines Geipel ist Schriftstellerin und Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" in Berlin. Sie hat vielfach zu gesellschaftlichen Themen wie Doping, Amok, Depression und Nachwendefrage publiziert. Soeben erschien ihr neuestes Buch "Generation Mauer. Ein Porträt" bei Klett-Cotta, Stuttgart.