Leiter des "Entjudungsinstituts" und Stasi-IM
Das "Entjudungsinstitut"der Nazis sollte die jüdischen Wurzeln aus der christlichen Religion tilgen. Dem Institut stand ein Mann vor, der seine zweifelhafte Karriere auch nach dem Krieg fortsetzte: Walter Grundmann. Jetzt setzt sich eine Ausstellung im Thüringer Landtag damit auseinander.
Ortstermin mit Schülern der 12. Klasse des Martin Luther-Gymnasiums in Eisenach. Es ist das Villenviertel der Stadt. Am Hang gelegen, steht in der Bornstraße 11 eine imposante 4-stöckige Villa aus dem Jahr 1907. In diesem Haus versuchten die Nazis ab 1939 etwas, was heute absurd erscheint: Jüdische Aspekte aus der Bibel zu entfernen und aus Jesus - irgendwie - einen "Arier" zu machen. Es war der Sitz des so genannten "Institutes zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses" – wobei das Wort "Beseitigung" ein halbes Jahr später wieder gestrichen wurde.
Heute ist es ein weiß-gelb gestrichenes Wohnhaus in idyllischer Lage und nichts an dem Gebäude weist auf die dunkle Geschichte des Hauses hin. Das irritiert, sagen Jugendliche – wie Max vom Martin-Luther-Gymnasium in Eisenach:
""Na, es ist immer noch keine Tafel, Gedenktafel, dran und ich fürchte, dass die Einwohner, die in dem Haus wohnen auch nichts darüber wissen, was in diesem Haus war, wer da gearbeitet hat und woran da gearbeitet wurde."
Ein unbequemes Thema: Die Frage nach dem Institut und der Aufarbeitung von Geschichte. Antworten gibt es nicht, warum bis heute kein Schild dort zu sehen ist, weder von der Kirche noch von der Stadt oder gar den Bewohnern. Dafür bleiben Fragen. Die Zwölftklässler stellen diese ganz offen, so wie Sebastian:
"Entsetzt hat mich am meisten, dass die meisten Eisenacher von dem Institut überhaupt keine Ahnung haben, auch die, die damals hier in Eisenach gelebt haben. Meine Familie wohnt schon sehr lange hier. Und wenn ich meine Großeltern und Urgroßeltern gefragt haben, ob sie denn wissen, dass das Institut hier war, die haben dann alle gesagt, hab ich noch nie gehört, das kenn ich nicht. Und die Stadt tut eben auch nicht wirklich etwas dafür, um das zu ändern. Es ist weder eine Tafel hier noch sonst irgendetwas dran zu sehen."
Das "Entjudungsinstitut" - getragen von 13 evangelischen Landeskirchen - begann 1939 mit seiner Arbeit. Bis zu 200 Menschen haben partiell für das Institut gearbeitet, die meisten ehrenamtlich. So wie der wissenschaftliche Leiter Walter Grundmann. Er war damals Inhaber des Lehrstuhls Neues Testament der Fakultät Theologie an der Universität Jena. Gezielt sind Menschen wie er ausgewählt worden, um nationalsozialistische Ideen in Kirchentexte zu integrieren. Ein Missbrauch der Wissenschaft also, doch jene, wie Grundmann, wussten, worauf sie sich einließen – sagt der heutige Lehrstuhlinhaber Karl-Wilhelm Niebuhr.
"Die Jenaer Universität sollte die nationalsozialistische Eliteuniversität werden und ist auch ganz gezielt ausgebaut worden dafür in den 30er Jahren. Das Land Thüringen hat schon vor 1933 eine Nationalsozialistische Regierung gehabt, und in der Kirche ist in der Tat die Thüringer deutsche Christenbewegung die schärfste, zumindest die schärfste innerkirchliche nationalsozialistische. Warum das nun gerade in Thüringen sich so konzentriert hat, das weiß ich nicht, ich nehm’ das erstaunt zur Kenntnis, weil sonst ja Thüringen ja nicht immer die führende Rolle in der deutschen Geschichte gespielt hat."
Schon 1932 bekam in Thüringen die NSDAP eine regierungsfähige Mehrheit. Weimar sollte zum Symbol einer "neuen Klassik" werden. 5 Jahre später entstand vor den Toren der Stadt das Konzentrationslager Buchenwald. In Erfurt wurde damals die Logistik der Deportation von hunderten jüdischen Menschen geplant. Und in Eisenach, dem Sitz des Bischofs, nahm eine Woche nach den Pogromen 1938 die Idee, Kirche und Nationalsozialismus zu verbinden, Formen an. Das "Entjudungsinstitut" bekam einen Wissenschaftler als Leiter. Die Gründung des Institutes fand am symbolischen Ort statt, sagt Karl-Wilhelm Niebuhr:
"Natürlich ist man bewusst mit der Gründung dieses Entjudungsinstitutes auf die Wartburg nach Eisenach gegangen und hat sich auch auf Luther bezogen. Aber Grundmann wollte das eigentlich gar nicht, der wollte in Jena das Institut aufbauen und dann durfte er das aber nicht."
Der Wissenschaftler und protestantische Theologe Walter Grundmann war seit 1930 Mitglied der NSDAP, seit 1933 aktives Mitglied der Deutschen Christen. Ein Mann, intelligent, viersprachig, aus tiefstem Herzen der Kirche verpflichtet, aber eben auch dem Nationalsozialismus, sagt Karl-Wilhelm Niebuhr von der Universität Jena:
"Und insofern war das natürlich mit dem Bischof – der war begeistert, dass Grundmann hier so was machte. Die haben ihn hergeholt und andere auch und nicht nur Grundmann, sondern auch diese Thüringer Deutschen Christen. Das waren ja Pfarrer, die zum Teil aus anderen Landeskirchen kamen und ganz gezielt nach Thüringen geholt worden sind. Also die Kirchenleitung war begeistert, und man muss sagen, die weit überwiegende Mehrheit der Synodalen und der Pfarrer und der ganz normalen evangelischen Christen auch."
Es entstanden wissenschaftliche Schriften, Kommentare, Thesen - zum Teil noch heute erhalten im Kirchenarchiv, aber auch in Bibliotheken – zum Beispiel der Universität Jena.
Grundmann und seine Mitarbeiter waren bemüht, eine Volksbibel zu schaffen, Katechismus und Gesangbuch zu "entjuden". 1943 wurde Walter Grundmann zum Militär eingezogen, das Institut später geschlossen.
Nach dem Krieg war er einer der wenigen Personen, die im Dienste der Kirche weiterarbeiten durften. Er fing als Pfarrer im thüringischen Waltershausen an. Als die DDR den Religionsunterricht aus dem staatlichen Lehrplan strich, wurden alternative Ausbildungen innerhalb der Kirche gesucht.
Wieder begann eine Karriere für Walter Grundmann. Er lehrte am Katechetischen Oberseminar in Naumburg, später in Leipzig und übernahm 1954 als Rektor das Eisenacher Katechetenseminar. Zwanzig Jahre später wurde er zum Kirchenrat ernannt. Parallel arbeitete er für die Staatssicherheit. Die Akte des IM Berg, wie er nun hieß, ist heute für wissenschaftliche Nutzung einsehbar. Reinhard Buthmann ist Mitarbeiter der Außenstelle für Stasi-Unterlagen in Erfurt und kennt die Papiere, beginnend mit den Dokumenten zur Anwerbung des Kirchenmannes:
"Man ist ziemlich schnell sich einig geworden. Grundmann hatte keine Bedenken zu berichten, hatte sich bereit erklärt und dann ist alles sozusagen seinen ganz normalen IM-Weg gegangen: Beauftragungen, Erfüllungen, Abrechnungen und so weiter."
Er bespitzelte Bischöfe in den höchsten Reihen, West wie Ost – denn er durfte reisen. Er habe sehr konzentriert berichtet, analytisch klar – sagt Reinhardt Buthmann:
"Sein Niveau, das als ziemlich hoch eingeschätzt werden kann vor 1945 und danach, hat er auch hier gezeigt. Er brauchte nicht sehr viele Seiten, um zu berichten, sondern er war im Grunde genommen nach 3 Seiten fertig mit umfangreichen Bestandsanalysen zu kirchlichen Angelegenheiten breitester Art."
Die Ausstellung "Gratwanderungen" der Schüler des Martin-Luther-Gymnasiums beleuchtet die Biografie des Walter Grundmann und die Arbeit des so genannten "Entjudungsinstitutes". Für sie bleibt die Frage: Warum dauert echte Aufarbeitung so lange? Eben auch in Eisenach, sagt der 17-jährige Schüler Max:
"Von der Kirche aus gibt es ziemlich viel, was noch aufgearbeitet werden muss und auch an die Öffentlichkeit gebracht muss, weil, wie wir jetzt schon öfter gesagt haben, dieses Institut ist auch in Eisenach, wo es ja direkt vor Ort war, kaum bekannt. Es war auch damals kaum bekannt. Es gab eine kleine Notiz in der Zeitung, dass dieses Institut eröffnet wurde – mit Foto, aber letztendlich wurde über die Arbeit vom Institut schon damals nichts verbreitet und das ist auch heute noch so."
Mehr dazu bei dradio.de
Wie Jesus zum "Arier" gemacht wurde
Heute ist es ein weiß-gelb gestrichenes Wohnhaus in idyllischer Lage und nichts an dem Gebäude weist auf die dunkle Geschichte des Hauses hin. Das irritiert, sagen Jugendliche – wie Max vom Martin-Luther-Gymnasium in Eisenach:
""Na, es ist immer noch keine Tafel, Gedenktafel, dran und ich fürchte, dass die Einwohner, die in dem Haus wohnen auch nichts darüber wissen, was in diesem Haus war, wer da gearbeitet hat und woran da gearbeitet wurde."
Ein unbequemes Thema: Die Frage nach dem Institut und der Aufarbeitung von Geschichte. Antworten gibt es nicht, warum bis heute kein Schild dort zu sehen ist, weder von der Kirche noch von der Stadt oder gar den Bewohnern. Dafür bleiben Fragen. Die Zwölftklässler stellen diese ganz offen, so wie Sebastian:
"Entsetzt hat mich am meisten, dass die meisten Eisenacher von dem Institut überhaupt keine Ahnung haben, auch die, die damals hier in Eisenach gelebt haben. Meine Familie wohnt schon sehr lange hier. Und wenn ich meine Großeltern und Urgroßeltern gefragt haben, ob sie denn wissen, dass das Institut hier war, die haben dann alle gesagt, hab ich noch nie gehört, das kenn ich nicht. Und die Stadt tut eben auch nicht wirklich etwas dafür, um das zu ändern. Es ist weder eine Tafel hier noch sonst irgendetwas dran zu sehen."
Das "Entjudungsinstitut" - getragen von 13 evangelischen Landeskirchen - begann 1939 mit seiner Arbeit. Bis zu 200 Menschen haben partiell für das Institut gearbeitet, die meisten ehrenamtlich. So wie der wissenschaftliche Leiter Walter Grundmann. Er war damals Inhaber des Lehrstuhls Neues Testament der Fakultät Theologie an der Universität Jena. Gezielt sind Menschen wie er ausgewählt worden, um nationalsozialistische Ideen in Kirchentexte zu integrieren. Ein Missbrauch der Wissenschaft also, doch jene, wie Grundmann, wussten, worauf sie sich einließen – sagt der heutige Lehrstuhlinhaber Karl-Wilhelm Niebuhr.
"Die Jenaer Universität sollte die nationalsozialistische Eliteuniversität werden und ist auch ganz gezielt ausgebaut worden dafür in den 30er Jahren. Das Land Thüringen hat schon vor 1933 eine Nationalsozialistische Regierung gehabt, und in der Kirche ist in der Tat die Thüringer deutsche Christenbewegung die schärfste, zumindest die schärfste innerkirchliche nationalsozialistische. Warum das nun gerade in Thüringen sich so konzentriert hat, das weiß ich nicht, ich nehm’ das erstaunt zur Kenntnis, weil sonst ja Thüringen ja nicht immer die führende Rolle in der deutschen Geschichte gespielt hat."
Schon 1932 bekam in Thüringen die NSDAP eine regierungsfähige Mehrheit. Weimar sollte zum Symbol einer "neuen Klassik" werden. 5 Jahre später entstand vor den Toren der Stadt das Konzentrationslager Buchenwald. In Erfurt wurde damals die Logistik der Deportation von hunderten jüdischen Menschen geplant. Und in Eisenach, dem Sitz des Bischofs, nahm eine Woche nach den Pogromen 1938 die Idee, Kirche und Nationalsozialismus zu verbinden, Formen an. Das "Entjudungsinstitut" bekam einen Wissenschaftler als Leiter. Die Gründung des Institutes fand am symbolischen Ort statt, sagt Karl-Wilhelm Niebuhr:
"Natürlich ist man bewusst mit der Gründung dieses Entjudungsinstitutes auf die Wartburg nach Eisenach gegangen und hat sich auch auf Luther bezogen. Aber Grundmann wollte das eigentlich gar nicht, der wollte in Jena das Institut aufbauen und dann durfte er das aber nicht."
Der Wissenschaftler und protestantische Theologe Walter Grundmann war seit 1930 Mitglied der NSDAP, seit 1933 aktives Mitglied der Deutschen Christen. Ein Mann, intelligent, viersprachig, aus tiefstem Herzen der Kirche verpflichtet, aber eben auch dem Nationalsozialismus, sagt Karl-Wilhelm Niebuhr von der Universität Jena:
"Und insofern war das natürlich mit dem Bischof – der war begeistert, dass Grundmann hier so was machte. Die haben ihn hergeholt und andere auch und nicht nur Grundmann, sondern auch diese Thüringer Deutschen Christen. Das waren ja Pfarrer, die zum Teil aus anderen Landeskirchen kamen und ganz gezielt nach Thüringen geholt worden sind. Also die Kirchenleitung war begeistert, und man muss sagen, die weit überwiegende Mehrheit der Synodalen und der Pfarrer und der ganz normalen evangelischen Christen auch."
Es entstanden wissenschaftliche Schriften, Kommentare, Thesen - zum Teil noch heute erhalten im Kirchenarchiv, aber auch in Bibliotheken – zum Beispiel der Universität Jena.
Grundmann und seine Mitarbeiter waren bemüht, eine Volksbibel zu schaffen, Katechismus und Gesangbuch zu "entjuden". 1943 wurde Walter Grundmann zum Militär eingezogen, das Institut später geschlossen.
Nach dem Krieg war er einer der wenigen Personen, die im Dienste der Kirche weiterarbeiten durften. Er fing als Pfarrer im thüringischen Waltershausen an. Als die DDR den Religionsunterricht aus dem staatlichen Lehrplan strich, wurden alternative Ausbildungen innerhalb der Kirche gesucht.
Wieder begann eine Karriere für Walter Grundmann. Er lehrte am Katechetischen Oberseminar in Naumburg, später in Leipzig und übernahm 1954 als Rektor das Eisenacher Katechetenseminar. Zwanzig Jahre später wurde er zum Kirchenrat ernannt. Parallel arbeitete er für die Staatssicherheit. Die Akte des IM Berg, wie er nun hieß, ist heute für wissenschaftliche Nutzung einsehbar. Reinhard Buthmann ist Mitarbeiter der Außenstelle für Stasi-Unterlagen in Erfurt und kennt die Papiere, beginnend mit den Dokumenten zur Anwerbung des Kirchenmannes:
"Man ist ziemlich schnell sich einig geworden. Grundmann hatte keine Bedenken zu berichten, hatte sich bereit erklärt und dann ist alles sozusagen seinen ganz normalen IM-Weg gegangen: Beauftragungen, Erfüllungen, Abrechnungen und so weiter."
Er bespitzelte Bischöfe in den höchsten Reihen, West wie Ost – denn er durfte reisen. Er habe sehr konzentriert berichtet, analytisch klar – sagt Reinhardt Buthmann:
"Sein Niveau, das als ziemlich hoch eingeschätzt werden kann vor 1945 und danach, hat er auch hier gezeigt. Er brauchte nicht sehr viele Seiten, um zu berichten, sondern er war im Grunde genommen nach 3 Seiten fertig mit umfangreichen Bestandsanalysen zu kirchlichen Angelegenheiten breitester Art."
Die Ausstellung "Gratwanderungen" der Schüler des Martin-Luther-Gymnasiums beleuchtet die Biografie des Walter Grundmann und die Arbeit des so genannten "Entjudungsinstitutes". Für sie bleibt die Frage: Warum dauert echte Aufarbeitung so lange? Eben auch in Eisenach, sagt der 17-jährige Schüler Max:
"Von der Kirche aus gibt es ziemlich viel, was noch aufgearbeitet werden muss und auch an die Öffentlichkeit gebracht muss, weil, wie wir jetzt schon öfter gesagt haben, dieses Institut ist auch in Eisenach, wo es ja direkt vor Ort war, kaum bekannt. Es war auch damals kaum bekannt. Es gab eine kleine Notiz in der Zeitung, dass dieses Institut eröffnet wurde – mit Foto, aber letztendlich wurde über die Arbeit vom Institut schon damals nichts verbreitet und das ist auch heute noch so."
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Wie Jesus zum "Arier" gemacht wurde