Leiterin Kölner Stadtarchiv: Wir geben nichts auf
Ein Jahr nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs zieht dessen Leiterin, Bettina Schmidt-Czaia, eine gemischte Bilanz der Bergungsarbeiten. Von den 85 Prozent geborgenen Archivguts sei ein Großteil schwer beschädigt. Die Restaurierung könne lange dauern und teuer werden. Aber: "Wir gehen davon aus, dass wir gar nichts aufgeben werden".
Joachim Scholl: In einem Studio in Köln begrüße ich nun die Leiterin des Kölner Stadtarchivs, Bettina Schmidt-Czaia, guten Tag!
Bettina Schmidt-Czaia: Guten Tag!
Scholl: Sie haben diesen Tag, diesen Augenblick des Einsturzes ebenfalls miterlebt, Frau Czaia. Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie an diesen katastrophalen Moment zurückdenken?
Schmidt-Czaia: Ja, ich denke nicht so gerne daran zurück, muss ich sagen. Das war für uns das völlige Trauma, also für mich ganz persönlich auch. Wir hatten ja gerade angefangen, uns neu aufzustellen, mit dem Bürgerarchiv in die Stadtgesellschaft zu schauen und auch Veranstaltungen für Bürger durchzuführen und ich muss sagen, dass ich angesichts der Katastrophe erst mal zunächst völlig fassungslos war und geschockt.
Scholl: Wissen Sie noch, wie Ihre ersten Reaktionen waren?
Schmidt-Czaia: Ja, Schockreaktionen. Schlotternde Beine, Unfähigkeit Bewegung und Gehirn zu koordinieren und Ähnliches. Das dauert dann ungefähr eine halbe Stunde an, dann geht es schon besser. Aber das Trauma als solches bedarf einiger Tage der Bearbeitung.
Scholl: Wie schnell ist eigentlich damals die Bergung in Gang gekommen?
Schmidt-Czaia: Ja, wir sind noch in derselben Nacht wieder angetreten. Also zunächst ist jeder nach Hause gegangen, hat gesagt, also ich lebe noch, liebe Familie, und anschließend mussten die Kollegen ja in derselben Nacht noch antreten und auf die Kommandos von THW und Feuerwehr warten, denn wir hatten ja den Zugang in den Keller, also von hinten, von der Kaiserin-Augusta-Schule aus hat man uns einen Zugang gelegt, und wir haben nachts und am ersten Tag ja sofort mit der Bergung begonnen.
Scholl: 85 Prozent der Archivalien konnten zumindest geborgen werden. Wie ist der Zustand dieser Dokumente einzuschätzen?
Schmidt-Czaia: Der Zustand ist höchst unterschiedlich. Wenn ich sage, 85 Prozent sind geborgen, heißt das nicht, dass die auch gerettet sind. Wir haben 35 Prozent des geborgenen Archivguts in allerhöchster Schadensklasse bis hin zum Fragment, dann 50 Prozent mittelschwer beschädigt, und nur 15 Prozent ist leicht beschädigt, das heißt, durch ordentliches Abbürsten wieder benutzbar zu machen. Es werden sicher gigantische Anstrengungen unternommen werden müssen, um das der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.
Scholl: Auf gut 600 Millionen Euro wird der Schaden beziffert, die Restaurierung der Bestände soll Jahrzehnte dauern, rechnet man. Ist das eigentlich realistisch, dass alle geretteten Bestände aufgearbeitet werden können?
Schmidt-Czaia: Zumindest gehen wir davon aus, dass wir gar nichts aufgeben werden. Für die Restaurierung rechnen wir im Moment 350 bis 500 Millionen Euro; rechnet man den Neubau des Archivs dazu, kommen wir tatsächlich dann auf 600 Millionen. Wir haben die Kalkulation durchgeführt, ohne genau jedes Stück in die Hand genommen zu haben. Wir sind ja jetzt im Moment erst dabei, in die Asylarchive zu reisen und dort in die Bergungserfassung einzugeben, was wir vorfinden, was wir noch zuordnen können, oder näher zu beschreiben, falls wir das nicht mehr können, und das gesamte dort befindliche Archivgut in die Schadensklassen eins bis drei einzusortieren.
Was Sie da an Zahlen haben, sind Hochrechnungen vor dem Hintergrund unseres jetzigen technischen Stands. Möglicherweise erfindet jemand eine Maschine zur maschinellen Reinigung alkalisch verstaubten Archivguts, das wissen wir nicht. Im Moment muss das noch händisch getan werden.
Scholl: Händisch heißt, per Hand. Was ist unwiederbringlich verloren und dahin?
Schmidt-Czaia: Also wir rechnen damit, dass wir fünf Prozent Totalverlust haben werden, was wir auch nicht wiederfinden, weil es so fragmentiert ist, dass es tatsächlich trotz aller Siebemaßnahmen und Durchsichtmaßnahmen im Schutt verloren ist. Aber wir rechnen immer noch damit, dass wir weitere zehn Prozent jetzt im Grundwasserbereich an der Einsturzstelle noch werden bergen können im Laufe des Jahres.
Scholl: Besonders prominent wurde der Nachlass des Nobelpreisträgers und Kölners Heinrich Böll, der ebenfalls im Schlamm versank. Wie ist da der Stand?
Schmidt-Czaia: Es gibt, wie bei allen anderen Beständen auch, da keinen aktuellen Stand. Also sehr tragisch ist natürlich, dass dieser Böll-Bestand in zwei Margen zu uns gekommen ist: Der eine schon in den 80er-Jahren und den zweiten Teil hatte die Stadt Köln erst wenige Wochen vor dem Einsturz angekauft für eine größere Summe und der war noch nicht aufbereitet, der war noch nicht erschlossen, damit war man erst angefangen. Und das ist vor dem Eindruck natürlich jetzt katastrophal.
Scholl: Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs, morgen jährt sich der Tag der Katastrophe. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist die Leiterin des Archivs, Bettina Schmidt-Czaia. Wer wird eigentlich für den Schaden aufkommen, Frau Schmidt-Czaia?
Schmidt-Czaia: Na ja, ich bin eigentlich ganz froh, dass ich mich jetzt weitgehend mit dem Wiederaufbau beschäftige und die Schuldfrage nicht von mir gestellt oder beantwortet werden muss. Ich hoffe nach wie vor, dass die Staatsanwaltschaft da auf einem guten Weg ist und das Beweissicherungsverfahren auch dazu führt, dass man die Ursache des Einsturzes ermitteln wird.
Scholl: Bald ein Jahr nach dem Unglück geht der Streit um die Verantwortung munter weiter, die Schlampereien am Bau haben jetzt ihre Fortsetzung beim Bau der U-Bahn gefunden. Wie sind die Kölner Stadtbehörden mit dem Unglück Ihrer Meinung nach umgegangen? Die Presse, die spricht ja meistens von Skandal.
Schmidt-Czaia: Also ich bin Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, deshalb sollte ich mich mit solchen Äußerungen wirklich zurückhalten. Ich möchte mich dazu einfach nicht äußern. Das ist eine Frage, die politisch, auf politischer Ebene geklärt werden sollte und nicht auf der archivfachlichen.
Scholl: Nun hat es etliche empörte Reaktionen auch von Seiten der Bevölkerung gegeben, eine Kölner Kulturschaffendeninitiative hat sich gegründet, einen Offenen Brief formuliert an die Stadt. Wie stehen Sie zu diesen Stimmen, sind sie hilfreich in dem Prozess?
Schmidt-Czaia: Also ich bin natürlich dafür zuständig, den Wiederaufbau zu steuern mit meinen Kollegen. Die politischen Begleitumstände nehme ich zur Kenntnis, beschäftige mich aber nicht intensiv damit. Die ganze Diskussion, die wir jetzt hier haben, um Bauschutt, Baudebakel und Pfusch und Ähnliches, die berührt mich tatsächlich zwar am Rande, aber ich muss mich konzentrieren und alle unsere Kräfte auf den Wiederaufbau lenken. Wir sind inzwischen ein 73 Mann starkes Archiv, das ständig auf Reisen ist. Unsere Arbeitsumwelt hat sich komplett geändert, wir sind nicht mehr an einem Standort konzentriert, sondern auf viele Standorte verteilt und das zu koordinieren, ist einfach sehr anstrengend und ist eine große Aufgabe.
Scholl: Wie wird die Zukunft des Kölner Stadtarchivs aussehen?
Schmidt-Czaia: Bis zum Bezug eines Neubaus planen wir mit zwei Provisorien. Wir werden in einem Gebäude der Handwerkskammer Köln am Heumarkt 14 eine Büroimmobilie anmieten, wo wir einen digitalen Lesesaal und einen bibliothekarischen Handapparat zur Verfügung stellen werden. Das wird vermutlich Ende April bereits der Fall sein. Und im Juli, August werden wir eine zweite Bestandsimmobilie am Rande von Köln in Porz-Lind beziehen, wo wir eine Restaurierungs- und Digitalisierungswerkstatt aufbauen. Die brauchen wir unbedingt, um selber die Restaurierungs- und Digitalisierungsarbeiten auch steuern zu können. Das ist jetzt so in der Form nicht möglich.
Scholl: Bettina Schmidt-Czaia, sie leitet das Kölner Stadtarchiv. Vor einem Jahr ist das Gebäude in der Severinstraße eingestürzt. Frau Schmidt-Czaia, vielen Dank für das Gespräch.
Schmidt-Czaia: Gerne.
Bettina Schmidt-Czaia: Guten Tag!
Scholl: Sie haben diesen Tag, diesen Augenblick des Einsturzes ebenfalls miterlebt, Frau Czaia. Wie geht es Ihnen heute, wenn Sie an diesen katastrophalen Moment zurückdenken?
Schmidt-Czaia: Ja, ich denke nicht so gerne daran zurück, muss ich sagen. Das war für uns das völlige Trauma, also für mich ganz persönlich auch. Wir hatten ja gerade angefangen, uns neu aufzustellen, mit dem Bürgerarchiv in die Stadtgesellschaft zu schauen und auch Veranstaltungen für Bürger durchzuführen und ich muss sagen, dass ich angesichts der Katastrophe erst mal zunächst völlig fassungslos war und geschockt.
Scholl: Wissen Sie noch, wie Ihre ersten Reaktionen waren?
Schmidt-Czaia: Ja, Schockreaktionen. Schlotternde Beine, Unfähigkeit Bewegung und Gehirn zu koordinieren und Ähnliches. Das dauert dann ungefähr eine halbe Stunde an, dann geht es schon besser. Aber das Trauma als solches bedarf einiger Tage der Bearbeitung.
Scholl: Wie schnell ist eigentlich damals die Bergung in Gang gekommen?
Schmidt-Czaia: Ja, wir sind noch in derselben Nacht wieder angetreten. Also zunächst ist jeder nach Hause gegangen, hat gesagt, also ich lebe noch, liebe Familie, und anschließend mussten die Kollegen ja in derselben Nacht noch antreten und auf die Kommandos von THW und Feuerwehr warten, denn wir hatten ja den Zugang in den Keller, also von hinten, von der Kaiserin-Augusta-Schule aus hat man uns einen Zugang gelegt, und wir haben nachts und am ersten Tag ja sofort mit der Bergung begonnen.
Scholl: 85 Prozent der Archivalien konnten zumindest geborgen werden. Wie ist der Zustand dieser Dokumente einzuschätzen?
Schmidt-Czaia: Der Zustand ist höchst unterschiedlich. Wenn ich sage, 85 Prozent sind geborgen, heißt das nicht, dass die auch gerettet sind. Wir haben 35 Prozent des geborgenen Archivguts in allerhöchster Schadensklasse bis hin zum Fragment, dann 50 Prozent mittelschwer beschädigt, und nur 15 Prozent ist leicht beschädigt, das heißt, durch ordentliches Abbürsten wieder benutzbar zu machen. Es werden sicher gigantische Anstrengungen unternommen werden müssen, um das der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.
Scholl: Auf gut 600 Millionen Euro wird der Schaden beziffert, die Restaurierung der Bestände soll Jahrzehnte dauern, rechnet man. Ist das eigentlich realistisch, dass alle geretteten Bestände aufgearbeitet werden können?
Schmidt-Czaia: Zumindest gehen wir davon aus, dass wir gar nichts aufgeben werden. Für die Restaurierung rechnen wir im Moment 350 bis 500 Millionen Euro; rechnet man den Neubau des Archivs dazu, kommen wir tatsächlich dann auf 600 Millionen. Wir haben die Kalkulation durchgeführt, ohne genau jedes Stück in die Hand genommen zu haben. Wir sind ja jetzt im Moment erst dabei, in die Asylarchive zu reisen und dort in die Bergungserfassung einzugeben, was wir vorfinden, was wir noch zuordnen können, oder näher zu beschreiben, falls wir das nicht mehr können, und das gesamte dort befindliche Archivgut in die Schadensklassen eins bis drei einzusortieren.
Was Sie da an Zahlen haben, sind Hochrechnungen vor dem Hintergrund unseres jetzigen technischen Stands. Möglicherweise erfindet jemand eine Maschine zur maschinellen Reinigung alkalisch verstaubten Archivguts, das wissen wir nicht. Im Moment muss das noch händisch getan werden.
Scholl: Händisch heißt, per Hand. Was ist unwiederbringlich verloren und dahin?
Schmidt-Czaia: Also wir rechnen damit, dass wir fünf Prozent Totalverlust haben werden, was wir auch nicht wiederfinden, weil es so fragmentiert ist, dass es tatsächlich trotz aller Siebemaßnahmen und Durchsichtmaßnahmen im Schutt verloren ist. Aber wir rechnen immer noch damit, dass wir weitere zehn Prozent jetzt im Grundwasserbereich an der Einsturzstelle noch werden bergen können im Laufe des Jahres.
Scholl: Besonders prominent wurde der Nachlass des Nobelpreisträgers und Kölners Heinrich Böll, der ebenfalls im Schlamm versank. Wie ist da der Stand?
Schmidt-Czaia: Es gibt, wie bei allen anderen Beständen auch, da keinen aktuellen Stand. Also sehr tragisch ist natürlich, dass dieser Böll-Bestand in zwei Margen zu uns gekommen ist: Der eine schon in den 80er-Jahren und den zweiten Teil hatte die Stadt Köln erst wenige Wochen vor dem Einsturz angekauft für eine größere Summe und der war noch nicht aufbereitet, der war noch nicht erschlossen, damit war man erst angefangen. Und das ist vor dem Eindruck natürlich jetzt katastrophal.
Scholl: Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs, morgen jährt sich der Tag der Katastrophe. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist die Leiterin des Archivs, Bettina Schmidt-Czaia. Wer wird eigentlich für den Schaden aufkommen, Frau Schmidt-Czaia?
Schmidt-Czaia: Na ja, ich bin eigentlich ganz froh, dass ich mich jetzt weitgehend mit dem Wiederaufbau beschäftige und die Schuldfrage nicht von mir gestellt oder beantwortet werden muss. Ich hoffe nach wie vor, dass die Staatsanwaltschaft da auf einem guten Weg ist und das Beweissicherungsverfahren auch dazu führt, dass man die Ursache des Einsturzes ermitteln wird.
Scholl: Bald ein Jahr nach dem Unglück geht der Streit um die Verantwortung munter weiter, die Schlampereien am Bau haben jetzt ihre Fortsetzung beim Bau der U-Bahn gefunden. Wie sind die Kölner Stadtbehörden mit dem Unglück Ihrer Meinung nach umgegangen? Die Presse, die spricht ja meistens von Skandal.
Schmidt-Czaia: Also ich bin Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, deshalb sollte ich mich mit solchen Äußerungen wirklich zurückhalten. Ich möchte mich dazu einfach nicht äußern. Das ist eine Frage, die politisch, auf politischer Ebene geklärt werden sollte und nicht auf der archivfachlichen.
Scholl: Nun hat es etliche empörte Reaktionen auch von Seiten der Bevölkerung gegeben, eine Kölner Kulturschaffendeninitiative hat sich gegründet, einen Offenen Brief formuliert an die Stadt. Wie stehen Sie zu diesen Stimmen, sind sie hilfreich in dem Prozess?
Schmidt-Czaia: Also ich bin natürlich dafür zuständig, den Wiederaufbau zu steuern mit meinen Kollegen. Die politischen Begleitumstände nehme ich zur Kenntnis, beschäftige mich aber nicht intensiv damit. Die ganze Diskussion, die wir jetzt hier haben, um Bauschutt, Baudebakel und Pfusch und Ähnliches, die berührt mich tatsächlich zwar am Rande, aber ich muss mich konzentrieren und alle unsere Kräfte auf den Wiederaufbau lenken. Wir sind inzwischen ein 73 Mann starkes Archiv, das ständig auf Reisen ist. Unsere Arbeitsumwelt hat sich komplett geändert, wir sind nicht mehr an einem Standort konzentriert, sondern auf viele Standorte verteilt und das zu koordinieren, ist einfach sehr anstrengend und ist eine große Aufgabe.
Scholl: Wie wird die Zukunft des Kölner Stadtarchivs aussehen?
Schmidt-Czaia: Bis zum Bezug eines Neubaus planen wir mit zwei Provisorien. Wir werden in einem Gebäude der Handwerkskammer Köln am Heumarkt 14 eine Büroimmobilie anmieten, wo wir einen digitalen Lesesaal und einen bibliothekarischen Handapparat zur Verfügung stellen werden. Das wird vermutlich Ende April bereits der Fall sein. Und im Juli, August werden wir eine zweite Bestandsimmobilie am Rande von Köln in Porz-Lind beziehen, wo wir eine Restaurierungs- und Digitalisierungswerkstatt aufbauen. Die brauchen wir unbedingt, um selber die Restaurierungs- und Digitalisierungsarbeiten auch steuern zu können. Das ist jetzt so in der Form nicht möglich.
Scholl: Bettina Schmidt-Czaia, sie leitet das Kölner Stadtarchiv. Vor einem Jahr ist das Gebäude in der Severinstraße eingestürzt. Frau Schmidt-Czaia, vielen Dank für das Gespräch.
Schmidt-Czaia: Gerne.