Leitfigur einer Historikergeneration
Außerordentliches Ansehen hat der deutsche Historiker Hans Herzfeld genossen, aber er ist auch nicht unumstritten. Seine Lebensgeschichte, so formulierte es sein wohl bekanntester Schüler Gerhard Ritter in einem Nachruf, war "mit der deutschen Zeitgeschichte tief und oft schmerzhaft verwoben".
Hans Herzfeld war 22 Jahre alt und noch Student in seiner Heimatstadt Halle an der Saale, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Er meldete sich als Freiwilliger, überlebte den Einsatz an der Westfront, kam 1917 für drei Jahre in französische Kriegsgefangenschaft - ein Schlüsselerlebnis, das auch seine wissenschaftliche Karriere prägte.
Herzfeld wurde zur Leitfigur einer ganzen Historikergeneration. Er baute die Disziplin der "Zeitgeschichte", die sich mit der unmittelbaren Vergangenheit befasst, systematisch aus.
Schon die Habilitationsschrift von 1923 hatte ein zeithistorisches Thema: die deutsche Rüstungspolitik vor dem Krieg. Den Vorwurf einer deutschen "Kriegsschuld" wies Herzfeld zurück; dem von ihm so genannten "Diktatfrieden" von Versailles lastete er weit reichende Folgen an - typisch für die national-konservative Position, die er akademisch untermauerte.
"Deutschland schwankte zwischen dem Wunsch, auch unter Opfern zur Ruhe zu gelangen, und Auflehnung gegen den Zustand mangelnder Gleichberechtigung, bis die Bereitschaft des guten Willens zu einem friedlichen Ausweg seit 1929 unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise zu erlahmen drohte. So haben die Schwächen im Werke des Pariser Friedenskongresses von 1919 und '20 zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 entscheidend beigetragen. Sie bereiteten zum mindesten den Boden, auf dem das Verbrechen eines Einzelnen, der Angriff Hitlers auf Polen, die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entfesselte."
Inwieweit Zeitzeugen das aktuelle politische Geschehen überhaupt objektiv beurteilen können, ist umstritten. Herzfeld - ein Sohn aus gutbürgerlichem Hause - traute es sich zu, obwohl er persönlich zweifellos befangen war. Die Kriegserfahrung blieb der größte Einschnitt in seinem Leben, noch zwei Jahre vor seiner Emeritierung sprach er 1958 von jenen Zeiten,
"in denen wir doch wohl am intensivsten und unvergesslichsten die äußere Welt in uns aufgenommen haben."
Die Jüngeren könnten sich, so Herzfeld, gar nicht vorstellen,
"wie tief das behagliche Sicherheitsgefühl des Geschlechts ging, das vor dem Ersten Weltkrieg leben durfte."
Die Schrecken deutscher Geschichte erfuhr Herzfeld noch ein zweites Mal am eigenen Leib. Wegen eines jüdischen Großvaters als nicht-arisch eingestuft, wurde ihm die Lehrbefugnis an der Universität Halle 1938 entzogen. Aber er konnte in Deutschland bleiben; Kriegskameraden vermittelten ihm zeitweise eine Anstellung bei der "Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt" des Heeres in Potsdam.
Die nationalsozialistische Machtergreifung führte Herzfeld auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurück, eine Mischung aus Zufall und - wie er es formulierte - "schicksalsvoller" Notwendigkeit.
"Es war die unvermeidliche Folge einer großen geschichtlichen Vergangenheit, die nicht mit einem Schlage überwunden und preisgegeben werden konnte."
Seit 1950 war Herzfeld Professor an der Freien Universität Berlin. Er schrieb Bücher über die Geschichte der Weimarer Republik, den Ersten Weltkrieg und "Die moderne Welt", war zwanzig Jahre lang, bis 1978, Vorsitzender der einflussreichen Berliner "Historischen Kommission".
Die Zunft der deutschen Zeithistoriker dirigierte er nicht zuletzt über seine zahlreichen Schüler, die sich nicht scheuten, ihre akademische Haus- und Definitionsmacht, auch offensiv auszuüben. Zum Beispiel gegen den Hamburger Historiker Fritz Fischer, der Anfang der 60er Jahre dem allgemeinen Konsens, wonach Deutschland in den Ersten Weltkrieg rein "defensiv" hineingeschlittert sei, vehement widersprach.
Auch Herzfeld konnte Fischers These vom deutschen "Griff zur Weltmacht", die den ersten großen Historikerstreit der Nachkriegsgeschichte auslöste, nicht widerlegen; er reagierte sogar relativ sachlich. Verglichen mit anderen Kollegen habe er sich aus der "nationalapologetischen Grundeinstellung" am ehesten lösen können, bescheinigt ihm Klaus Große Kracht vom Potsdamer Zentrum für zeithistorische Forschung.
Der Generationswechsel unter den deutschen Historikern bahnte sich an. Als Herzfeld am 16. Mai 1982 in Berlin starb, waren viele Lehrstühle schon von Jüngeren besetzt, die unbefangener mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts umgehen konnten. Denn, so Klaus Große Kracht:
"Sie gehörten selbst nicht mehr zu den "Mitlebenden" der Jahre zwischen 1914 und 1918 - der eigentlichen "Frontgeneration"."
Herzfeld wurde zur Leitfigur einer ganzen Historikergeneration. Er baute die Disziplin der "Zeitgeschichte", die sich mit der unmittelbaren Vergangenheit befasst, systematisch aus.
Schon die Habilitationsschrift von 1923 hatte ein zeithistorisches Thema: die deutsche Rüstungspolitik vor dem Krieg. Den Vorwurf einer deutschen "Kriegsschuld" wies Herzfeld zurück; dem von ihm so genannten "Diktatfrieden" von Versailles lastete er weit reichende Folgen an - typisch für die national-konservative Position, die er akademisch untermauerte.
"Deutschland schwankte zwischen dem Wunsch, auch unter Opfern zur Ruhe zu gelangen, und Auflehnung gegen den Zustand mangelnder Gleichberechtigung, bis die Bereitschaft des guten Willens zu einem friedlichen Ausweg seit 1929 unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise zu erlahmen drohte. So haben die Schwächen im Werke des Pariser Friedenskongresses von 1919 und '20 zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 entscheidend beigetragen. Sie bereiteten zum mindesten den Boden, auf dem das Verbrechen eines Einzelnen, der Angriff Hitlers auf Polen, die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs entfesselte."
Inwieweit Zeitzeugen das aktuelle politische Geschehen überhaupt objektiv beurteilen können, ist umstritten. Herzfeld - ein Sohn aus gutbürgerlichem Hause - traute es sich zu, obwohl er persönlich zweifellos befangen war. Die Kriegserfahrung blieb der größte Einschnitt in seinem Leben, noch zwei Jahre vor seiner Emeritierung sprach er 1958 von jenen Zeiten,
"in denen wir doch wohl am intensivsten und unvergesslichsten die äußere Welt in uns aufgenommen haben."
Die Jüngeren könnten sich, so Herzfeld, gar nicht vorstellen,
"wie tief das behagliche Sicherheitsgefühl des Geschlechts ging, das vor dem Ersten Weltkrieg leben durfte."
Die Schrecken deutscher Geschichte erfuhr Herzfeld noch ein zweites Mal am eigenen Leib. Wegen eines jüdischen Großvaters als nicht-arisch eingestuft, wurde ihm die Lehrbefugnis an der Universität Halle 1938 entzogen. Aber er konnte in Deutschland bleiben; Kriegskameraden vermittelten ihm zeitweise eine Anstellung bei der "Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt" des Heeres in Potsdam.
Die nationalsozialistische Machtergreifung führte Herzfeld auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurück, eine Mischung aus Zufall und - wie er es formulierte - "schicksalsvoller" Notwendigkeit.
"Es war die unvermeidliche Folge einer großen geschichtlichen Vergangenheit, die nicht mit einem Schlage überwunden und preisgegeben werden konnte."
Seit 1950 war Herzfeld Professor an der Freien Universität Berlin. Er schrieb Bücher über die Geschichte der Weimarer Republik, den Ersten Weltkrieg und "Die moderne Welt", war zwanzig Jahre lang, bis 1978, Vorsitzender der einflussreichen Berliner "Historischen Kommission".
Die Zunft der deutschen Zeithistoriker dirigierte er nicht zuletzt über seine zahlreichen Schüler, die sich nicht scheuten, ihre akademische Haus- und Definitionsmacht, auch offensiv auszuüben. Zum Beispiel gegen den Hamburger Historiker Fritz Fischer, der Anfang der 60er Jahre dem allgemeinen Konsens, wonach Deutschland in den Ersten Weltkrieg rein "defensiv" hineingeschlittert sei, vehement widersprach.
Auch Herzfeld konnte Fischers These vom deutschen "Griff zur Weltmacht", die den ersten großen Historikerstreit der Nachkriegsgeschichte auslöste, nicht widerlegen; er reagierte sogar relativ sachlich. Verglichen mit anderen Kollegen habe er sich aus der "nationalapologetischen Grundeinstellung" am ehesten lösen können, bescheinigt ihm Klaus Große Kracht vom Potsdamer Zentrum für zeithistorische Forschung.
Der Generationswechsel unter den deutschen Historikern bahnte sich an. Als Herzfeld am 16. Mai 1982 in Berlin starb, waren viele Lehrstühle schon von Jüngeren besetzt, die unbefangener mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts umgehen konnten. Denn, so Klaus Große Kracht:
"Sie gehörten selbst nicht mehr zu den "Mitlebenden" der Jahre zwischen 1914 und 1918 - der eigentlichen "Frontgeneration"."