Susan Neiman: Widerstand der Vernunft. Ein Manifest in postfaktischen Zeiten.
Ecowin-Verlag
80 Seiten, 8 Euro
"Es ist in Ordnung zu sagen: Wir sind nicht Burka"
Wahren Zusammenhalt finde eine Gesellschaft nur durch Werte, so Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums in Potsdam. Den Leitkulturkatalog von Thomas de Maizière unterstützt die Kantianerin entschieden. Wie aber wären Werte zu begründen?
Gefragt nach der Leitkultur-Debatte der jüngsten Zeit vertritt Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forums in Potsdam, wie Innenminister Thomas de Maizière die These, dass Händeschütteln oder allgemeiner: eine Berühung bei der Begrüßung durchaus ein westlicher, ein deutscher Wert sei. Und: "Ich finde es in Ordnung zu sagen, 'Wir sind nicht Burka' ... Einen Leitkulturgedanken finde ich überhaupt nicht schlecht."
Werte abstrakt zu begründen sei sehr schwer, so Neiman. Konkret aber zeige sich immer wieder, dass die Menschen moralische Fortschritte gemacht haben, siehe Frauen- und Minderheitenrechte, darüber gebe es einen Konsens.
Drei große Strömungen haben, meint die Philosophin, zu einer regelrechten Angst geführt, Worte wie Moral und Werte überhaupt in den Mund zu nehmen: Der Postmodernismus, demzufolge es keine Wahrheiten mehr gibt, sondern nur noch Macht. Der Neoliberalismus, der Werte als materielle Werte definiert. Und die Evolutionspsychologie, die unser Verhalten naturalisiert. Zudem seien in Krisensituationen immer wieder westliche Werte vorgeschoben worden, um materielle Interessen zu verschleiern.
Vernunft tendiert nicht zwangsläufig zum Guten
Sich aus der Unmündigkeit zu befreien ist schwer, betont Neiman. Frei nach Kant fügt sie an: Die Wächter wollen überhaupt nicht, dass ihre Haustiere selbst denken können. Umso wichtiger sei es, den Ausweg zu suchen.
Die Vernunft tendiere keineswegs zwangsläufig zum Guten, gibt die Philosophin zu und kritisiert damit das teleologische Geschichtsmodell Hegels. Die Vernunft sei keine Maschine, die, wenn wir sie einmal anschalten, richtig laufe.
Es gebe auch böses Denken. Dennoch müsse der Mensch an das Gute glauben, an Idealen festhalten. Dieser Glaube sei unsere einzige Rettung, denn wenn wir nicht an das Gute glauben, ist der Untergang besiegelt.
Den Hinweis, dass die Wirklichkeit diesem Glauben wiederspreche, findet Neiman klischeehaft. Gewiss gebe es die Kluft von Sein und Sollen in unser aller Leben, daraus folgt aber nicht, dass das Sollen, dass Ideale keinen Wert haben. Erfolgreiche Ereignisse beweisen, so Neiman, dass das Festhalten an Idealen die Welt sehr wohl verändern kann - und zwar zum Guten.
Außerdem in der Sendung:
Brauchen wir Leitwerte?
Den thematischen Auftakt unseres Themenschwerpunkts macht der Slam-Philosoph Dominik Erhard.
"Werdet Sophisten, wenn ihr Demokraten sein wollt!" - von Constantin Hühn
Haben wir wirklich nur die Wahl zwischen einer Wahrheit und keiner Wahrheit? Die französische Philosophin Barbara Cassin schlägt einen dritten Weg vor. Dazu verweist sie ausgerechnet auf die antiken Sophisten. Die haben eigentlich keinen guten Ruf. Warum es sich trotzdem lohnt, sich an ihnen ein Beispiel zu nehmen, hat Constantin Hühn die Philosophin gefragt.
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Der philosophische Wochenkommentar: Was ist ein selbstbestimmter Sonntag?
"Gebt die Sonntagsöffnung frei" heißt es in einem Aufruf der Initiative "Selbstbestimmter Sonntag", dem sich unter anderen Kaufhof, Karstadt und KaDeWe angeschlossen haben. Unser Kommentator Rainer Hank ist skeptisch: Selbstbestimmung ist keineswegs gleichbedeutend mit Optionenvielfalt, sondern vielmehr unauflöslich verbunden mit der Frage: Wer wollen wir sein?
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