Lana Bastašić: "Fang den Hasen", Roman
Aus dem Bosnischen von Rebekka Zeinzinger
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2021
336 Seiten, 22 Euro
Eine Reise ins Verdrängte
Lana Bastašić lässt in "Fang den Hasen" zwei Freundinnen zu einem Trip in die Vergangenheit aufbrechen, auf dem die Bosnienkriege nur angedeutet werden. Ein fesselnder Debütroman über die Kraft von Erinnerung und Sprache.
Die Bosnierin Sara lebt seit langem in Dublin, froh über die Distanz zur Heimat, die fremde Sprache und einen etwas naiven Programmierer an ihrer Seite. Dann klingelt ihr Handy, und nach zwölf Jahren "absoluter Stille" verlangt Lejla, Saras engste Jugendfreundin, in Mostar abgeholt und nach Wien gefahren zu werden. Sara wehrt sich, doch Lejla erwähnt, dass ihr Bruder Armin in Wien sei. Sofort kauft die Schriftstellerin, Mitte 30, ein teures Flugticket nach Zagreb und nimmt den Bus nach Mostar. (*)
Die Reise nach Bosnien in Lana Bastašićs Debütroman "Fang den Hasen" ist eine Reise ins Verdrängte und Illusionäre. Der sechzehnjährige Armin unterhielt sich einmal mit der siebenjährigen Sara, ein andermal löste er ihr Haar, bevor er spurlos verschwand, als die Spannungen zwischen Bosniaken und Serben zunahmen.
Sara kann ihn nicht vergessen, zumal Armins wilde Schwester ihre beste Freundin wird. Damals heißt das Mädchen noch Lejla. Aber nach dem Verschwinden ihres Bruders ändern die Eltern den Namen: Aus Lejla Begić wird die serbisch klingende Lela Berić. Erst im Studium entzweien sich Sara und Lela – um sich nun plötzlich im selben Auto wiederzufinden, auf der Suche nach dem fehlenden Dritten.
Die Moral in den Wind geschlagen
Armins Abwesenheit, der einzige Hinweis im Roman auf die Bosnienkriege (1992 bis 1995), heizt Saras Fantasie an – wie immer bei Verliebten. Sie überträgt die Sehnsucht auf die beharrlich weiter Lejla genannte Freundin, obwohl deren "brutale Genauigkeit" sie leiden lässt.
Auch die Autofahrt nach Wien ist eine fortgesetzte Kollision mit einer scheinbar unberechenbaren verführerischen Schönen, die alle Moral in den Wind schlägt, Männer verführt und sogar den Tod in Kauf nimmt, wenn sie ins Lenkrad greift, nur um sich den Wunsch nach einer Pinkelpause zu erfüllen.
Sara wurde Schriftstellerin, um mit Geschichten Sinn zu erzeugen – Lejla dagegen, die mathematisch begabte und ihrem Bruder ähnelnde, braucht diese Stütze nicht. Lejla ist nicht nur Armins Vertreterin, auch Saras Wunschbild: eine selbstbewusste, eigenständige Frau, fern vom konventionellen Glück im fernen Dublin.
Der neue Buchstabe im Nachnamen
Das ist eine so reizvolle wie gefährliche Erzählkonstellation. Die libidinöse Fantasie produziert intensive Erinnerungsbilder, doch Lejla muss ihnen gegenüber Eigenständigkeit und Rätselhaftigkeit bewahren.
Bastašić hält mühelos das Gleichgewicht: Sie lässt ihre Erzählerin kapitelweise zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechseln und schafft atmosphärisch dichte Situationen. Der neue Buchstabe im Nachnamen von Lejla leuchtet lange inmitten der alten auf dem familiären Klingelschild, und im Bosnien-Herzegowina der Gegenwart taumelt Sara mitten am Tag durch tiefe Finsternis.
Die Kraft von Sprachbildern
Unverkennbar ist die Bosnien-Düsternis in "Fang den Hasen" von Dževad Karahasans Horrorroman "Der nächtliche Rat" beeinflusst. Wichtiger noch ist Miloš Crnjanskis "Tagebuch über Čarnojević", ein Abgesang auf die 1918 untergehende österreichische Monarchie im Spiegel eines einzelnen Bewusstseins.
Lana Bastašić, 1986 in Zagreb als Kind serbischer Eltern geboren und in Bosnien aufgewachsen, um nach dem Krieg einige Jahre in Irland und Spanien zu leben, hat einen fesselnden Roman über die Kraft von Erinnerungs- und Sprachbildern geschrieben.
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben den zuvor falsch geschriebenen Namen der Autorin korrigiert. Das Beitragsaudio haben wir gelöscht.