Leon de Winter über die Flüchtlingskrise

"Jedes Land kann dabei nur scheitern"

Der Schriftsteller Leon de Winter
Der Schriftsteller Leon de Winter © imago stock&people
Moderation: Korbinian Frenzel |
Leon de Winter schaltet sich gerne in gesellschaftspolitische Debatten ein. Anlässlich seines neuen Romans "Geronimo" haben wir auf der Buchmesse mit ihm über Islamismus und die Flüchtlingskrise gesprochen. Er schätze Angela Merkel sehr, sagt de Winter. Aber sie habe einen Fehler gemacht.
Der niederländische Autor Leon de Winter gilt seit jeher als einer von jenen Schriftstellern, die sich in gesellschaftspolitischen Debatten immer wieder zu Wort gemeldet haben. In seinem aktuellen Roman "Geronimo" lässt er Osama bin Laden weiterleben – statt seiner wird ein Doppelgänger getötet. Bin Laden erpresst US-Präsident Barack Obama und droht preiszugeben, dass dieser in Wirklichkeit Muslim sei.
Diese Idee könnte dem Hirn von Donald Trump entsprungen sein. "Aber das Verrückte ist, dass ich bei Recherchen herausfand, dass Hillary Clinton damit angefangen hat – mit diesen Beschuldigungen, dass vielleicht Präsident Obama Moslem ist", sagt de Winter. Clinton habe dies verbreiten lassen, als sie im Frühjahr 2008 mit Obama um die Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahlen kandidierte. "Und da dachte ich: Dann kann ich das auch verwenden."

Leon de Winter: Der Westen ist machtlos

Im Kampf gegen den Islamismus stehe der Westen ziemlich machtlos da, sagt de Winter weiter. Die innere Krise und Zerrissenheit im Islam sei so groß, dass sich die islamischen Länder "von Marokko bis Pakistan" in schrecklichen Kriegen mit massenhaften Tötungen zerrieben. Es sei eine Welt, "die langsam implodiert".
Zur Haltung gegenüber den Flüchtlingen aus arabischen Ländern wie Syrien sagt de Winter: Grundsätzlich sehe er eine Verpflichtung zu helfen. Jedoch könnten Flüchtlinge nicht einfach kategorisiert werden. Und fest stehe auch: "Nicht alle sind offene und liberale Menschen."

"Das sind Menschen mit echten Trieben"

Persönlich schätze er Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr. Ihre Parole "Wir schaffen das", hält er jedoch für unrealistisch: "Jedes Land kann dabei nur scheitern."
Angela Merkel habe einen Fehler gemacht und nicht bedacht, dass etwa die vielen jungen Männer, die nach Deutschland gekommen seien, keiner Roboter seien. "Das sind keine Puppen, das sind Menschen mit echten Bedürfnissen, mit echten Trieben. Was machen wir damit? Das verneinen? … Wir haben nicht Hunderttausende von Priestern, die im Zölibat leben, aus Syrien empfangen."

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Das vollständige Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Tag zwei der Buchmesse in Frankfurt: Flandern und die Niederlande, Ehrengast in diesem Jahr, eine Sprachregion, die uns dank vieler Autoren sehr gut vertraut ist. Einer dieser Autoren ist Leon de Winter, ein Autor, der sich auch in gesellschaftspolitischen Debatten immer wieder zu Wort gemeldet hat, immer wieder kritisch gegenüber dem Islam. Leon de Winter, dessen jüngstes Werk "Geronimo" in gewisser Weise dem Großthema nahesteht. Leon de Winter, zugeschaltet von der Buchmesse in Frankfurt, ich grüße Sie!
Leon de Winter Grüße Sie, danke!
Frenzel: Ihr Buch spielt vor der Folie der echten Jagd auf Osama bin Laden. Sie schreiben diese Geschichte ein bisschen um, Osamas Doppelgänger wird getötet, er selbst bleibt am Leben. Ist das Fiktion oder ist das auch ein Kommentar zur Zeit?
Winter: Na ja, wenn ein Buch gut funktioniert … Mein erster Auftrag ist natürlich, eine spannende und unterhaltsame Geschichte zu schreiben. Wenn es auch noch etwas sagen könnte über unsere Wirklichkeit: Ja, natürlich, gerne! Ich schreibe so eine Geschichte nicht in einem Vakuum, das ist natürlich auch meine Verarbeitung dieser Ereignisse. Ich war verführt von dieser Möglichkeit, eine eigene Version von dieser Bin-Laden-Tötung zu schreiben und das war sehr spannend.
Frenzel: Es gibt einen Punkt, an dem haben sich Kritiker ein bisschen gestoßen: Der Osama bin Laden in Ihrem Buch erpresst den Präsidenten Barack Obama damit, dass er seine wahre religiöse Identität offenbaren könnte, dass Obama nämlich Moslem ist. Herr de Winter, bedienen Sie mit diesem Gedanken nicht die Ressentiments, die die Tea Party oder die auch ein Donald Trump immer wieder bemüht haben?
Winter: Ja, das ist möglich. Aber das Verrückte ist, dass ich bei den Recherchen, die ich machte, fand, dass Hillary Clinton damit angefangen hat, mit dieser ersten Beschuldigung, dass vielleicht Präsident Obama Moslem ist. Das hat ihre Kampagne 2008 im Frühjahr schon verbreitet. Und dadurch dachte ich, na ja, ich kann es auch benutzen. Also, es kommt nicht aus dem verrückten Gehirn von Trump, sondern aus den Kampagnekreisen von Hillary Clinton in 2008. Also, alles ist möglich, man beschimpft einander, man beschuldigt einander. Also, in dieser kulturellen Umwelt ist meine Geschichte eigentlich ziemlich klein.
Frenzel: Sie beschreiben den Krieg der USA gegen den Terror als Kampf mit Rückständigen, die sich die Vernichtung der westlichen Wertegemeinschaft auf ihre Fahnen geschrieben haben. Wie schauen Sie auf das, was sich heute im Nahen Osten abspielt?
Winter: Na ja, wir sind da aus unserer Perspektive eigentlich machtlos. Das sind sehr alte, große Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten. Was sich jetzt abspielt in dieser großen Zivilisation namens Islam, ist eine innerliche Krise. Es hat zu tun mit Antworten auf die Modernität und das ist die große Frage des Islams. Und das führt sogar zu schrecklichen Geschehnissen, Kriegen, Zusammenstößen, von Marokko bis Pakistan sieht man eine große Welt, eine große klassische Welt, die an sich leidet und langsam implodiert mit schrecklichen Folgen und massenhaften Tötungen. Was können wir tun? Vielleicht ein bisschen begrenzen, den Opfern helfen, aber die Lösung gibt es nicht, jedenfalls nicht bei uns.
Frenzel: Der Islamismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts, das haben Sie einmal gesagt. Ist es da nicht die Pflicht, allen Menschen Schutz zu gewähren, die davor fliehen?
Winter: Ja, das ist das Dilemma. Und dann müssen wir in Kategorien denken und wir hassen es natürlich, in Kategorien zu denken, das erinnert uns an dunkle Zeiten im vergangenen Jahrhundert. Die einen wohl, die anderen nicht, weil wir dann eine Selektion machen müssen. Und das sind schreckliche, schreckliche Sachen. Denn es sind natürlich nicht alle Flüchtlinge und es gibt sogar Flüchtlinge, auch echte Flüchtlinge, die ebenso radikal denken wie die Leute, die sie hinter sich gelassen haben. Also, es ist nicht einfach, es ist sehr komplex.
Frenzel: Sie sind in diesen Tagen in einem Land zu Gast, in dem die Kanzlerin gesagt hat, der berühmte Satz: Wir schaffen das. Ist das falscher Optimismus aus einer Perspektive …
Winter: Kein Land schafft es, wenn man Hunderttausende von jungen, unverheirateten Männern zulässt. Jedes Land kann nur scheitern bei so was. Kein Land ist imstande, so vielen Menschen eine Zukunft zu bieten, eine moderne Perspektive auf Bürgersinn, Bürgerschaft ihnen zu geben, etwas zu unterrichten, was damit zusammenhängt. Denken Sie mal an Sexualität: Das sind keine Roboter, diese Männer, das sind keine Puppen, das sind Menschen mit echten Bedürfnissen, mit echten Trieben. Was machen wir damit? Das verneinen? Das hat unsere Kanzlerin gemacht – denn für mich ist sie auch so eine Art unsere Kanzlerin, ich sage auch "unsere Kanzlerin" –, wir haben nicht Hunderttausende von Priestern, die im Zölibat leben, aus Syrien empfangen. Nein, das führt zu ziemlich komplizierten Inzidenten, die wir alle hassen. Wenn man nicht darüber nachdenkt, dann hat man etwas nicht gut gemacht und wirklich, wirklich Fehler gemacht. Und das hat Frau Merkel, die ich sehr bewundere, wirklich, sie hat leider diese Fehler gemacht.
Frenzel: Flandern und die Niederlande sind spannende Ehrengäste dieses Jahr in Frankfurt, auch weil Sie gerade in den Niederlanden Phänomene ja schon länger haben, die bei uns neu sind, den Rechtspopulismus zum Beispiel. Leute wie Geert Wilders. Herr de Winter, ist das nicht de facto das größere Problem für unsere Gesellschaft als die Frage, wie viele Moslems hier leben?
Winter: Das weiß ich nicht. Wenn es eine Zunahme von Neonazismus gibt, dann ist das sehr ernst. Aber es geht nicht um die Frage von Muslimen, das ist nicht die richtige Frage, es geht um Islamisten. Und wir haben noch keine Idee, welche Menschen gekommen sind, die jetzt ohne Zweifel sehr friedlich sind … Wir sehen die gleiche Tendenz überall. Überall in der Welt, wo es größere Migrantengruppen gegeben hat, in westlichen, offenen, modernen Gesellschaften … Wir sehen die gleichen Ereignisse in Amerika, in Australien, Neuseeland, überall im Westen Europas, es ist die gleiche Reaktion: Wie machen wir das, wenn wir Menschen empfangen, mit gutem Herzen, aus Überzeugung, mit Integrität, wie machen wir das, die eigentlich Auffassungen haben, die weniger offen und weniger liberal sind als die mit … Wenn wir diese Menschen begrüßen … Es war keine große Freude, in Syrien zu überleben, diese Tyrannei unter dieser Assad-Familie konnte nur existieren durch die Kollaboration durch die große Gruppe von Menschen. Es war wie damals in der DDR, jedermann war mitverantwortlich für diese Tyrannei. Menschen, die da gelebt haben oder aufgewachsen sind, leben jetzt unter uns. Das sind nicht alle moderne, offene, liberal denkende Menschen. Ist das notwendig, um hier überleben zu können? Na, es hilft, es hilft. Natürlich gibt es eine Grenze, eine Grenze bei Gewalt. Nie erlauben wir Gewalt, von welcher Seite auch immer. Aber das alles reduzieren und die Reaktionen darauf zu … Ach, aber das sind natürlich die Rechtsradikalen, die sich da auf diese Weise manifestieren! – Das ist zu einfach! Es ist ein breit gefühltes Unbehagen, wir sollten sehr ruhig das alles analysieren und versuchen, diese Migrationsgruppe sich auf eine gute Weise integrieren zu lassen, und ihnen helfen zu akzeptieren, dass Werte und Offenheit und Freiheit miteinander zusammenhängen.
Frenzel: Der niederländische Autor Leon de Winter, von der Frankfurter Buchmesse. Herr de Winter, ich danke Ihnen für das Gespräch!
Winter: Gern gemacht!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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