"Ein echter Klezmer spielt nicht, er redet mit Gott"
Im KZ musste er fröhliche Lieder spielen – das rettete ihm das Leben. Doch dass er seinen Bruder nicht genug schützen konnte, lässt Leopold Kozlowski-Kleinman bis heute keine Ruhe. Nun wird er 100 und steht trotzdem auf der Bühne.
Es ist die Probe für ein großes Fest: Auf der Bühne am Klavier sitzt Leopold Kozlowski-Kleinman. Noch ist nicht klar, ob er auch am Abend spielen wird, ob die Kraft reicht oder die Aufregung doch zu groß ist. Mit durchgedrücktem Rücken, leuchtenden Augen und in Strickjacke sitzt er am Klavier.
"Er ist ein unglaublicher Musiker"
Am Abend wird er dann tatsächlich mit seiner Tochter Marta, 67 Jahre alt, auf der Bühne stehen und im Duett singen. Ebenso mit der Sängerin und Schauspielerin Kamila Klimczak: "Er ist ein unglaublicher Musiker und ein wunderbarer Lehrer, der Seele und Herz vermittelt."
Ihre Schwester Emilia, ebenfalls eine junge Sängerin, ergänzt: "Die Geschichte unseres Landes ist stark verbunden mit der jüdischen Tradition. Das ist heute nicht mehr so sichtbar, genau deshalb arbeiten wir daran mit dem Meister dieser Musik. Er ist einer der besten Lehrer dafür."
Am Abend werden auch sie für Leopold singen und haben sich in das Repertoire der jiddischen Lieder eingearbeitet. "Wir geben was wir können denn die Musik ist uns so nah – und doch etwas anders als die polnische Tradition, die wir kennengelernt haben. Also müssen wir jetzt das Beste tun."
Beide sind mit eigenem Repertoire längst auf Bühnen in und außerhalb Polens unterwegs, singen in hebräischer, jiddischer und polnischer Sprache und erarbeiten sich das Wissen derer, die Poesie und Lieder hinterlassen haben, wie Mordechaj Gebirtig, ein in Krakau geborener Tischler, der im Ghetto ums Leben kam.
Kozlowski-Kleinman wuchs noch in einem Stetl auf
Für Leopold Kozlowski-Kleinman gehört die Musik seit der Kindheit im kleinen Stetl Przemyslany zum Alltag: Der Vater hatte einen Friseurladen und zog wann immer es ging mit seiner Kapelle durch die Dörfer. Er spielte Fidel, der Ortsschneider war Klarinettist, der Freund Herszele Dudlzak war Tänzer und spielte die Trommel. Es war die Kindheit, die Leopold Kozlowski-Kleinman für immer prägen sollte. Er spielt Akkordeon und Klavier und musiziert mit anderen bis heute so, wie er es von seinem Vater übernommen hat. "Was ist Klezmer Musik?", fragt Leopold Kozlowski-Kleinman und sagt dann: "Ein echter Klezmer spielt nicht, er redet mit Gott. Er ist hier, aber er ist – mit der Meinung – mit dem Herzen in der Synagoge. Klezmer spielt nicht. Er betet. Heute spielt er so, morgen spielt er anders."
Leopold Kozlowski-Kleinmann überlebte Getto, Lager, Haft und Flucht. Bei Partisanen fand er später Anschluss und Sicherheit, entkam mehrfach knapp dem Tod. Für seine Familie galt dieses Glück nicht. In die Synagoge geht er heute nur noch an den hohen Feiertagen wie Yom tov, erzählt der 100-Jährige: "In Yom tov habe ich ein Gebet, ein spezielles Gebet für meine erschossene Mama, meinen Vater, meinen Bruder"
Die Vergangenheit lässt ihm keine Ruhe
Dass es ihm nicht gelang, seinen Bruder Dolko auf der Flucht besser zu schützen, lässt ihm bis heute keine Ruhe. Die Erinnerungen sind schmerzhaft – auch jene an seine Zeit im Lager:
"Es waren Banditen. Es waren Untermenschen. Aber: Ich habe in Lagern einen Deutschen gehabt, der hat mir Essen gegeben. Andere haben auf mich geschossen. Andere haben von mir gemacht Dreck. Das haben gemacht die Banditen, die Gestapo. Die Mörder."
Im KZ musste er fröhliche Lieder spielen
Weil er Musik spielen konnte, durfte er weiterleben. Doch um welchen Preis?
"Der Lagerführer hat drei Tage verboten, ich soll nicht essen. Nach drei Tagen haben sie mich genommen, ich hab gespielt: 'Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei. Nach jedem Dezember kommt wieder ein Mai.'"
Mit dem polnischen Autor Jacek Cygan hat Leopold Kozlowski-Kleinman seine Biografie als Buch veröffentlicht. Oft standen beide auf den Bühnen von Synagogen und Theatern – so auch am Geburtstag des – letzten galizischen Klezmers. Auch Wojtek Ornat ist einer der engsten Wegbegleiter und gehörte zu den Gratulanten: "Für mich ist es ein unglaublicher Tag, denn Leopold ist der Schatz unserer Kultur und ich hoffe, es ist nicht das letzte Konzert, was wir heute Abend von ihm hören. Ich bin sehr glücklich. Er ist so besonders. Ich glaube, er hat viel verändert."
Das Geschenk eines Hundertjährigen
Und so sitzt der Hundertjährige auch an diesem Abend am Klavier und schenkt der Welt Musik. Er begleitet Kamila Klimczak. Sie sagt: "Wir hoffen, dass wir die Musik für immer bewahren, und dass vor allem unsere Generation diese Songs sehr mag." Ihre Schwester Emilia steht neben ihr und nickt.
"Ich denke, die Polen sind an traditioneller jüdischer Musik interessiert. Das sehen wir, wenn wir Konzerte geben. Wenn man diese Lieder erstmal kennt und wir von Menschen wie Leopold, diese Kunst erlernen, dann schaffen wir es auch, unserer Generation diese Musik nahe zu bringen. Wir machen das so, wie er es gut findet. Das ist unser Job!"
Jüdischer Freestyle in D-Moll
Und so wird auch dieser Klezmer-Song weiter existieren in der Handschrift des Leopold Kozlowski-Kleinmann, der aus seinem Leben manch eine Anekdote erzählen kann:
"Nach Yehudi Menuhin ist jetzt Itzhak Perlman der beste Geiger und Klezmer und der ist zu mir gekommen nach Krakau: 'Spiel Klezmermusik ohne Noten!'. Ich frage ihn: Was spielen wir? Der hat rausgeholt seine Stradivari und ich hier auf einem alten Piano. Sagt er: 'D Moll – das ist eine jüdische Tonart.' Wir haben gespielt, als wären wir seit 100 Jahre bekannt.'"
"Wer Klezmermusik lernen will, muss hier anfangen", sagt der hochbetagte Musiker und zeigt auf sein Herz. "Hier sind die Noten. Das Herz diktiert ihm, was er macht – auf seiner Geige, seiner Klarinette oder Klavier."