Norbert Sachser: "Der Mensch im Tier. Warum Tiere uns im Denken, Fühlen und Verhalten oft so ähnlich sind"
Rowohlt-Verlag 2018
256 Seiten, 20 Euro
Die erstaunlichen Fähigkeiten der Tiere
08:20 Minuten
Feige Fische, eifersüchtige Hunde und clevere Orang-Utans: Das Denken und Fühlen von Tieren ist komplexer, als man lange angenommen hat. Sogar bei Stichlingen oder Blattkäfern findet man individuelle Charaktere, sagt der Verhaltensbiologe Norbert Sachser.
Wer einen Hund, eine Katze oder ein anderes Haustier hält, weiß es bereits seit langem: Tiere sind klüger und verständiger, als viele denken.
Inzwischen wird diese Erkenntnis auch von der Tierverhaltensforschung bestätigt. In den letzten 20 Jahren habe es eine Revolution des Tierbildes gegeben, sagt Norbert Sachser, Professor für Zoologie an der Universität Münster und einer der bekanntesten deutschen Verhaltensbiologen.
Der Wandel in unserem Bild vom Tier betreffe unter anderem den Bereich Lernen und Kognition, so der Verhaltensforscher. So könnten alle Tiere lernen - und einige sogar denken:
"Manche erkennen sich sogar im Spiegel, was zum Beispiel neun Monate alte Kinder nicht können", betont Sachser. Einige wenige Tierarten seien zudem empathiefähig. Sie seien in der Lage, die Welt aus dem Blickwinkel eines anderen zu sehen und ihr Verhalten dementsprechend auszurichten. "Das können die Menschenaffen, das können Delfine, das können interessanterweise auch einige Rabenvögel. Das können zwei-, dreijährige Kinder noch nicht."
Orang-Utans können mehr als Versuch und Irrtum
Wenn Tiere Probleme lösen, dann folgen sie auch keineswegs immer nur dem Schema Versuch und Irrtum. Sachser schildert als Beispiel den Fall eines Orang-Utans, der mit einem Reagenzglas konfrontiert wird, das zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, auf dem eine Nuss schwimmt.
Das Tier will die Nuss haben, schafft es aber nicht, sie mit dem Finger aus dem Reagenzglas zu fischen: "Dann schaut er sich im Zimmer um, sieht, irgendwo ist Wasser, nimmt ein Maul voll Wasser, spuckt das in das Reagenzglas rein, der Wasserspiegel steigt und er kommt an die Erdnuss ran", berichtet der Verhaltensbiologe. "Solche Versuche zeigen sehr klar, dass Tiere denken können."
Auch sind Tiere Sachser zufolge zu komplexeren Emotionen fähig. Tiere seien zum Beispiel eifersüchtig: "Da gibt es sehr schöne Untersuchungen bei Hunden, die durchaus zeigen, wenn Herrchen oder Frauchen sich nicht um den eigenen Hund kümmern, den ignorieren und sich dafür mit anderen Hunden beschäftigen, dass wir dann genau die Reaktionen beim Hund haben, die wir auch beim Menschen in einer Eifersuchtssituation erwarten würden."
Schließlich habe die Forschung der letzten zehn Jahre ergeben, dass Tiere stabile Persönlichkeiten ausbildeten. Und nicht nur Säugetiere wie Hunde oder Katzen. Individuelle, stabile Charaktere zeigten auch zum Beispiel Kohlmeisen oder Stichlinge:
"Wenn Sie sich da die Tiere, die einzelnen Individuen anschauen, dann sehen Sie, dass die voneinander verschieden sind in ihrem Verhalten. Der eine ist eher mutig, der andere ist eher feige", sagt Sachser. Teste man die Tiere vier Wochen später noch einmal, zeigten sie identisches Verhalten. "Der, der damals der mutigste war, ist wieder der mutigste. Der feigste ist wieder der feigste. Und mittlerweile ist das selbst für eine Art von Blattkäfern gezeigt worden."
(uko)