Unterhaltsam - aber wenig effektiv
Das Lernen per Video ist nach den Erfahrungen des Mathematik-Professors Jörn Loviscach sehr populär - führt aber nicht immer zum gewünschten Erfolg. Dennoch stellt Loviscach, der an der Fachhochschule Bielefeld lehrt, auch selbst Videos für seine Studenten auf Youtube.
Moderatorin: So klingt Professor Jörn Loviscach auf YouTube – und so am Telefon: Einen schönen guten Tag!
Jörn Loviscach: Schönen guten Tag!
Moderatorin: Herr Loviscach, „Taschenrechner sind uncool" – wie viele Klicks hat das Video gebracht?
Loviscach: Ich muss raten. Ich hab es absolut gerade nicht parat. Einige Tausend, glaube ich.
Moderatorin: Immerhin.
Moderator: Im Prinzip lässt sich das ja messen, aber die Frage ist, wissen Sie auch, was danach und davon hängen bleibt? Wie viel können wir lernen aus solchen Formaten?
Loviscach: Da sprechen Sie gerade das größte Problem an. Diese Videos kommen sehr gut an beim Publikum, bei den Schülerinnen, bei den Studenten, Studentinnen. Die Frage ist, wie viel bleibt hängen, und die Beobachtung ist, dass nicht allzu viel hängen bleibt. Ganz im Gegenteil, sehr gut präsentierte Veranstaltungen, sehr locker präsentierte Vorlesungen und solche Geschichten, die vermitteln die Illusion, etwas gelernt zu haben, aber das ist oft nur eine Illusion.
Moderatorin: Das heißt, die Studenten werden vielleicht auch bequem und verwöhnt, also es interessiert sie nur noch, was unterhaltsam ist, und es wird irgendwann zu mühsam, sich das Schwarzbrot eines Fachs zu erarbeiten?
Eine gute Präsentation ist keine Garantie für den Lernerfolg
Loviscach: Ich weiß nicht, ob es so wirkt, aber es könnte zumindest so wirken. Es ist ganz viel Zuckerguss. Gerade, was bei TED stattfindet, ist ja nun wirklich Zuckerguss, Präsentationen vom Feinsten. Wunderschöne Beispiele für die besten Präsentationstechniken, auf jeden Fall. Didaktik, Lernen, etwas fürs Leben mitnehmen ist noch eine andere Geschichte.
Moderatorin: Ich dachte immer, beim Lernen schätzen Studenten vor allem den direkten persönlichen Austausch. Gerade der fehlt beim Lernen per Video. Trotzdem stellen Sie selber Videos ins Internet. Ich krieg das nicht so richtig zusammen.
Loviscach: Ja, ich auch nicht.
Moderatorin: Dann sind wir ja nicht alleine, schön.
Loviscach: Es gibt natürlich gerade in den Naturwissenschaften, in der Mathematik so eine ganz monströse Sammlung an "Stoff", von dem man glaubt, dass der jetzt behandelt sein muss. Jeder muss wissen, wo bestimmte Gleichungen herkommen, wie bestimmte Konstruktionen in der Mathematik gemacht werden. Und indem man das auf diese Weise auslagert, muss man es nicht als Vorlesung erzählen, und alle schlafen ein und sind bei Facebook oder sonst wo, sondern es steht da eben frei zur Verfügung, man kann sich das angucken, wann man will. Man kann es bei Übungsaufgaben mitnehmen. Es ist viel flexibler handzuhaben. Diese Videos stelle ich eigentlich erst mal für meine eigenen Studentinnen und Studenten ins Netz, damit die sich vorbereiten. Und damit ich keine frontale Vorlesung mehr machen muss, sondern dass die mich wirklich Face-to-face haben, dass wir wirklich miteinander arbeiten können.
Kostenlose Online-Kurse dienen der Reputation der Elite-Unis
Moderator: Im Prinzip, um noch mal auf diesen persönlichen Austausch zurückzukommen: Ist das so wie vorhin? Da hatten wir über das Spiel des Jahres gesprochen, über die Vorzüge von Brettspielen und die Vorzüge, um es mal so zu formulieren, von Gameboy-Spielen, von elektronischem Spielzeug. Sie sind praktisch für den Gameboy zuständig. Ich möchte noch etwas wissen über die Brettspiele gewissermaßen. Für die gute Reputation mussten ja Professoren – Sie sind ja auch einer –, möglichst viel Fachliteratur publizieren, allein oder mit Hilfe von Assistenten. Gibt es da so eine Art Konkurrenzsituation jetzt zwischen den Unis und dem, was man im Netz präsentiert?
Loviscach: Zwischen den "Elite"-Unis auf jeden Fall. Das Thema, was so vor zwei Jahren hochgekocht ist und jetzt ja am Abflauen ist, die MOOCs, die massiven offenen Onlinekurse, dass Universitäten Kurse eben für Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende machen, im Internet, gratis, das war natürlich definitiv so ein Reputationsthema. Standford hat inzwischen so irgendwas bei hundert-noch-was von diesen Kursen ins Netz gestellt, und alle anderen hängen natürlich weit hinterher und ärgern sich vielleicht dann auch, dass sie nicht mithalten können an der Stelle.
Moderatorin: Sie sagten gerade Gratiskurse im Internet von den Elite-Unis. Ich dachte, dass viele Elite-Unis ziemlich viel Geld dafür nehmen, also diese Videos nur gegen Gebühr freischalten und gerade deshalb kritisiert werden.
Loviscach: Oh nein. Der Trick ist so eine Art Freemium-Modell zu fahren. Diese Videos gibt es gratis, aber wenn jemand den offiziellen Schein, das offizielle Zeugnis haben will von Standford oder Harvard oder sonst was, dann muss er eben seine zigtausend Dollar zahlen.
Erstsemester brauchen noch reale Betreuung
Moderator: Herr Loviscach, liegt die Zukunft der Unis jetzt gewissermaßen im Netz? Wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie immer in der Mitte?
Loviscach: Genau, die – wie soll ich sagen – die traditionellen Erstsemester sind mit solchen Formaten doch arg überfordert. Die brauchen, wenn überhaupt, dann eine Mischung aus solchen elektronischen Anteilen und Präsenzbetreuung.
Moderator: Eine Idee wollte ich Ihnen noch vorschlagen, die hat sehr viel mit diesem Medium, mit unserem Radio zu tun. Wir haben am Anfang gehört, Taschenrechner sind uncool. Sie haben geschildert, wie man ohne sie auskommt. Das könnte man doch eigentlich auch als Podcast produzieren und dann unseren Hörern anbieten. Es geht doch darum, dieses Material jederzeit verfügbar zu machen – das ist im Radio möglich – und es so oft wie möglich abspielen zu können. Das ist doch die Idee dahinter?
Loviscach: Das ist die Idee dahinter. Dass man so dieses Grundlagenwissen im Netz stehen hat, abrufbereit.
Moderatorin: Das heißt, die nächsten Folgen würden Sie dann auch für uns verfertigen, für unsere Hörer? Wir müssten noch Sendezeit finden.
Loviscach: Das ist richtig. Andererseits ist natürlich dann die Frage, wozu das noch mal im Radio bringen, wenn es doch schon sowieso im Internet steht. Das ist natürlich dann eine heikle Geschichte.
Moderator: Weil Sie so noch mehr Adressaten erreichen über Deutschlandradio Kultur.
Loviscach: Das könnte sein. Interessant, ja.
Moderatorin: Also wir hören die Skepsis heraus, Herr Loviscach, Mathematikprofessor an der Fachhochschule Bielefeld, so eine Art akademischer YouTube-Star und vielleicht eine neue Radiostimme, aber das bleibt noch zu verhandeln. Auf jeden Fall danken wir Ihnen für das Gespräch.
Moderator: Vielen Dank für das Gespräch!
Loviscach: Ich bedanke mich!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.