Die Kunst des Trostspendens
Aus Angst, Falsches zu sagen, meiden viele Menschen Trauernde. Dabei brauchen gerade sie Beistand und Mitgefühl. Von Menschen, zu deren beruflichen Aufgaben das Trostspenden gehört, lässt sich da einiges lernen.
Bracke: "Telefonseelsorge"
Anrufer: (stammelt) "Ja, ich hab so was noch nie gemacht… bei so ner Stelle angerufen… Ja, warum ruf ich an? Anfang des Monats musste ich meine Frau beerdigen. Und seitdem weiß ich einfach nicht mehr weiter."
Ein Rollenspiel bei der Telefonseelsorge. Echte Gespräche, so ein eisernes Gesetz bei der Telefonseelsorge – dürfen nicht mitgeschnitten werden.
Bracke: "Ist es Ihnen recht, wenn ich ein bisschen frage, zu Ihnen, Ihrer Situation, Ihrer Frau auch. Ich spür so, wie schlimm das für Sie ist, dass ich gar nicht so viel sagen kann… "
24 Stunden sind die Leitungen besetzt. Jedes Jahr werden rund 22.000 Anrufe beantwortet. 22.000 Anrufe pro Jahr. Das Team um Leiterin Annelie Bracke spricht anonym mit Verlassenen, Selbstmördern oder Menschen, die einfach einsam sind. Sie alle wollen Trost. Und den finden sie in ihrem direkten Umfeld oft nicht.
"Man fragt meistens in Richtung Veränderung, Verbesserung. Und das ist aber nicht immer der Wunsch. Wenn ich zu schnell Ideen entwickle, was jemand tun könnte, dann beschäme ich die Person auch. Dann ist das so 'du hattest wohl die Idee noch nicht, aber ich hab sie jetzt! Mach doch mal das und das'."
Einfach zuhören – ohne Tipps und ohne Ratschläge. Das ist das Wichtigste, was ein Telefonseelsorger tun kann. Die Schwere einfach ertragen. Hilflos und ohnmächtig.
Szenenwechsel: Der Kinderhospizdienst "Schmetterlinge" in Neuss steht Menschen bei, denen das denkbar Schlimmste passiert.
Menschen wie Alice Schulz. Sie hat ihre kleine Tochter verloren. Nele lebte nur vier Minuten.
Sie hatte ein Moses-Körbchen – so nannte man das – wo sie reingebettet wurde, und sie stand neben mir. Die Schwestern unterhielten sich über Alltagsdinge. Wo ich sagte "Wie kann jetzt hier Radio laufen? Mein Leben bleibt gerade stehen und…" – tja, aber so ist das Leben.
Untröstliche Situationen aushalten
Der katholische Klinikseelsorger Christoph Dörpinghaus begleitet die verwaisten Eltern: in Trauergruppen und Einzelgesprächen.
"Trost wäre ja schon fast auch Sünde. Ganz platt: weil die Situation einfach untröstlich ist! Da ist im Moment kein guter Gedanke. Kein 'hat ja Sinn' – das kommt vielleicht erst später. Nach einigen Jahren."
Wie kann man so viel Leid mittragen? Das wird Christoph Dörpinghaus oft gefragt. Ohne eine tiefe Verankerung in seinem Glauben würde er diese Arbeit gar nicht aushalten. Andererseits sagt er: Der Umgang mit Tod führe ihm das Geschenk des Lebens noch einmal deutlich vor Augen. Und zwar täglich. Der Seelsorger ermutigt die verwaisten Eltern, das Unfassbare in Worte zu fassen. Finstere Bilder zu malen. Oder einfach mal wütend mit einem Hammer zuschlagen:
"Wir waren auch schon aufm Schrottplatz und haben ein altes Auto gekauft, was wir dann zerstört haben. Und diese ganz praktischen Dinge auch überlegen, und mitgehen. Und vielleicht nochmal Ideen geben, wenn jemand vor lauter Dunkelheit auf gar keine Ideen kommt. Und dann einen Vorschlag machen: sollen wir ne Kerze anzünden?"
Selbstmordgedanken kommen häufig in solch schweren Krisen. Anneli Bracke hat damit bei der Telefonseelsorge fast täglich zu tun:
"Dann ist ne Spielregel, dass ich nicht – was man auch vielleicht als Laie machen würde – automatisch schnell versuche zu sagen, dass das Leben aber trotzdem noch gut ist. Dann wird jemand, der in so ner Sackgasse ist, erst mal sich nicht ernst genommen fühlen. Deshalb ist es wichtig, zunächst zu verstehen: Welchen Sinn macht dieser Suizidgedanke für den, der anruft."
Spiritualität kann in diesen Gesprächen eine Rolle spielen – aber nur, wenn die Trauernden es wünschen. Sie geben den Takt vor. Seelsorger und Trauerbegleiter werten nicht, belehren nicht, nehmen sich selbst komplett zurück. Um diese Stärke aufzubringen, kann ein eigener gefestigter Glaube jedoch sehr hilfreich sein, findet Karl-Heinz Westermann, katholischer Klinikseelsorger:
"Ich glaube, es bedarf auch einer persönlichen Spiritualität. Da muss man sich irgendwann mal damit auseinandersetzen: Was bedeutet das für mich? Was bedeutet für mich Krankheit, Leid, Sterben, Tod?"
"Das Leid hat auch eine Würde"
Rückzug, Selbstfürsorge, Verankerung im Glauben. Das ermöglicht Karl-Heinz Westermann eine gute Begleitung in schweren Zeiten. Seine oberste Regel: Im Gegensatz zu vielen Laien möchte er kein Leid "wegmachen", lindern oder zum Verschwinden bringen.
"Ich glaub sogar, das darf man nicht, weil ich dem anderen sein Leid nicht wegnehmen kann und auch nicht darf. Das Leid hat auch eine Würde."
Den anderen in seinem Leid zu sehen und es ihm lassen. Ihm seine Würde lassen, während er leidet. Das ist eine ganz hohe Kunst, für die es eine umfassende Ausbildung und viel Training braucht. Doch was können Laien davon lernen? Für Anneli Bracke das Wichtigste: Dableiben. Nicht weglaufen. Aus Angst, etwas Falsches zu sagen.
"Es gibt nicht wirklich falsche Sätze. Es kommt immer mehr auf die innere Haltung an. Vielleicht kann man auch dann sagen: 'Ich bin jetzt wirklich sprachlos.'"
Am Ende bleibt nur die Gewissheit: Trösten heißt ganz oft: Nichts zu tun. Und aushalten. Das hat auch der verwaisten Mutter Alice Schulz bei dem Kinderhospizdienst "Schmetterlinge" ein wenig geholfen – auf dem langen Weg der Trauer um ihre kleine Tochter.
"Wir haben eine Trauerspirale als Mandala gemalt, und da guck ich jeden Morgen und Abend drauf, und kann nur nicken und sagen: Ja, das stimmt, genauso ist es. Dies Hoch und Tief, die guten Zeiten werden immer länger, und die schwarzen Momente sind aber nach wie vor da und werden mich auch ein Leben lang begleiten, aber immer nur noch klein."