Lernen von der Evolution
Tiere vollbringen erstaunliche Leistungen. Sie koordinieren die Bewegung von sechs oder acht Beinen, orientieren sich meisterhaft an Gerüchen oder mit Hilfe elektromagnetischer Felder, gleiten mühelos in hohem Tempo durch das Wasser und spotten im Flug den Prinzipien des Auftriebs.
Die noch junge Disziplin der Biorobotik will deshalb der Evolution ein paar ihrer Tricks abschauen. Sie bastelt an Maschinen, mit denen einzelne Fähigkeiten von Insekten, Fischen oder Reptilien technisch umgesetzt werden können. Ralf Möller berichtet in "Das Ameisenpatent" über ein spannendes Forschungsfeld zwischen Verhaltensbiologie, Technik und Informatik.
Die Evolution hatte Millionen Jahre Zeit, um Insekten mit hoch spezialisierten Fähigkeiten auszustatten. Einige dieser Fähigkeiten versucht der Elektroingenieur und Professor des Lehrstuhls für Technische Informatik in Bielefeld Ralf Möller zu verstehen und nimmt dafür auch längere Reisen in Kauf. Zum Beispiel in die heiße Wüstensonne Tunesiens: Dort beobachten Biologen seit langem eine bestimmte Art von Ameisen. Diese Ameisen leben in einem Bau unter der Erde, der von außen nur durch ein unscheinbares Loch im Boden zu erkennen ist. Für die Futtersuche entfernen sie sich im Zickzack hunderte Meter von ihrem Bau – und wenn sie etwas Essbares gefunden haben, kehren sie auf direktem Weg dorthin zurück. Woher wissen die Tiere, welche Richtung sie einschlagen müssen?
Europäische Ameisen markieren ihren Weg mit Duftstoffen, aber diese Technik ist in der heißen Wüstensonne ausgeschlossen. Offensichtlich verfügen die Wüstenameisen über einen inneren Kompass und orientieren sich an sichtbaren Landmarken. Wie genau die Tiere ihren Bau wiederfinden, das hoffen Biologen und Elektroingenieure mit Hilfe der Biorobotik herauszufinden. Insektenforscher haben durch genaue Beobachtung des Tierverhaltens ein Modell entwickelt, das dieses Verhalten beschreibt. Ralf Möller und seine Kollegen versuchen mit ihren programmierten Maschinen zu überprüfen, inwieweit das Modell in der Lage ist, das tierische Verhalten adäquat nachzuahmen. Aber was das winzige Ameisengehirn mühelos schafft, ist trotz vieler Fortschritte noch keinem Roboter ebenbürtig gelungen.
Autonome Roboter, die sich in unbekannter, schwieriger Umgebung bewegen, empfindliche Messungen durchführen und unvorhersehbare Schwierigkeiten selbständig meistern können, wären auf vielen Gebieten einsetzbar. Nicht nur als Butler oder Servicekraft in Gebäuden, auch bei der Suche nach Verschütteten, als Minensucher und selbst als Scoutfahrzeug auf dem Mars wären solche Fähigkeiten hochwillkommen.
Der Ehrgeiz der Elektroingenieure besteht aber nicht einfach im Bau von Maschinen, die die gleiche Leistung wie ein Tier vollbringen (obwohl das allein oft schon eine kaum zu bewältigende Aufgabe ist). Sie möchten ihr Ziel am liebsten auch mit der gleichen Eleganz wie die Natur erreichen. Schließlich geht es darum, die Prinzipien zu verstehen, nach denen die tierischen Vorbilder arbeiten. Die Futterquelle, das Weibchen oder den Ameisenbau mit einem GPS-Sender anzusteuern ist keine Kunst. Aber Hummer, Grillen oder Ameisen haben kein GPS und finden trotzdem ihren Weg.
Die vergleichsweise kleinen Gehirne von Fliegen, Mäusen und Schlangen verfügen offensichtlich über eine erstaunlich Steuerungs-, Orientierungs-, Tast- und Fortbewegungsintelligenz. Das Wissen darum, wie die Natur diese Leistungen "programmiert" hat, ist noch immer sehr lückenhaft.
"Im Grunde", schreibt Möller, "sind Biorobotik-Experimente vor allem geeignet, um biologische Modelle zu verwerfen." Natürlich könnten viele dieser Modelle auch in Computersimulationen überprüft werden, gibt er zu. Aber erst mit dem Griff zum Lötkolben zeige sich, wie weit ein Modell in der Realität wirklich funktioniert.
Ralf Möller stellt in "Das Ameisenpatent" ein gutes Dutzend verblüffender Roboter-Projekte weltweit vor. Dabei öffnet er dem Leser in detaillierter, aber immer nachvollziehbarer Weise die Augen für die vielen Probleme, die sich bei der Betrachtung alltäglicher Fähigkeiten wie Orientierung und Fortbewegung auftun. Aber Möller ist nicht nur genau, sondern kommentiert seine Suche nach den Verhaltensbauplänen der Natur auch immer wieder mit wohltuendem Humor und selbstironischen Spitzen. Seine Versuchsbeschreibungen machen nicht nur die Wüste, sondern auch das Labor zum abenteuerlichen Schauplatz zahlreicher Fehlschläge und Erfolge.
Rezensiert von Gerrit Stratmann
Ralf Möller: Das Ameisenpatent. Bioroboter und ihre Vorbilder
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008
216 Seiten, 12,95 Euro
Die Evolution hatte Millionen Jahre Zeit, um Insekten mit hoch spezialisierten Fähigkeiten auszustatten. Einige dieser Fähigkeiten versucht der Elektroingenieur und Professor des Lehrstuhls für Technische Informatik in Bielefeld Ralf Möller zu verstehen und nimmt dafür auch längere Reisen in Kauf. Zum Beispiel in die heiße Wüstensonne Tunesiens: Dort beobachten Biologen seit langem eine bestimmte Art von Ameisen. Diese Ameisen leben in einem Bau unter der Erde, der von außen nur durch ein unscheinbares Loch im Boden zu erkennen ist. Für die Futtersuche entfernen sie sich im Zickzack hunderte Meter von ihrem Bau – und wenn sie etwas Essbares gefunden haben, kehren sie auf direktem Weg dorthin zurück. Woher wissen die Tiere, welche Richtung sie einschlagen müssen?
Europäische Ameisen markieren ihren Weg mit Duftstoffen, aber diese Technik ist in der heißen Wüstensonne ausgeschlossen. Offensichtlich verfügen die Wüstenameisen über einen inneren Kompass und orientieren sich an sichtbaren Landmarken. Wie genau die Tiere ihren Bau wiederfinden, das hoffen Biologen und Elektroingenieure mit Hilfe der Biorobotik herauszufinden. Insektenforscher haben durch genaue Beobachtung des Tierverhaltens ein Modell entwickelt, das dieses Verhalten beschreibt. Ralf Möller und seine Kollegen versuchen mit ihren programmierten Maschinen zu überprüfen, inwieweit das Modell in der Lage ist, das tierische Verhalten adäquat nachzuahmen. Aber was das winzige Ameisengehirn mühelos schafft, ist trotz vieler Fortschritte noch keinem Roboter ebenbürtig gelungen.
Autonome Roboter, die sich in unbekannter, schwieriger Umgebung bewegen, empfindliche Messungen durchführen und unvorhersehbare Schwierigkeiten selbständig meistern können, wären auf vielen Gebieten einsetzbar. Nicht nur als Butler oder Servicekraft in Gebäuden, auch bei der Suche nach Verschütteten, als Minensucher und selbst als Scoutfahrzeug auf dem Mars wären solche Fähigkeiten hochwillkommen.
Der Ehrgeiz der Elektroingenieure besteht aber nicht einfach im Bau von Maschinen, die die gleiche Leistung wie ein Tier vollbringen (obwohl das allein oft schon eine kaum zu bewältigende Aufgabe ist). Sie möchten ihr Ziel am liebsten auch mit der gleichen Eleganz wie die Natur erreichen. Schließlich geht es darum, die Prinzipien zu verstehen, nach denen die tierischen Vorbilder arbeiten. Die Futterquelle, das Weibchen oder den Ameisenbau mit einem GPS-Sender anzusteuern ist keine Kunst. Aber Hummer, Grillen oder Ameisen haben kein GPS und finden trotzdem ihren Weg.
Die vergleichsweise kleinen Gehirne von Fliegen, Mäusen und Schlangen verfügen offensichtlich über eine erstaunlich Steuerungs-, Orientierungs-, Tast- und Fortbewegungsintelligenz. Das Wissen darum, wie die Natur diese Leistungen "programmiert" hat, ist noch immer sehr lückenhaft.
"Im Grunde", schreibt Möller, "sind Biorobotik-Experimente vor allem geeignet, um biologische Modelle zu verwerfen." Natürlich könnten viele dieser Modelle auch in Computersimulationen überprüft werden, gibt er zu. Aber erst mit dem Griff zum Lötkolben zeige sich, wie weit ein Modell in der Realität wirklich funktioniert.
Ralf Möller stellt in "Das Ameisenpatent" ein gutes Dutzend verblüffender Roboter-Projekte weltweit vor. Dabei öffnet er dem Leser in detaillierter, aber immer nachvollziehbarer Weise die Augen für die vielen Probleme, die sich bei der Betrachtung alltäglicher Fähigkeiten wie Orientierung und Fortbewegung auftun. Aber Möller ist nicht nur genau, sondern kommentiert seine Suche nach den Verhaltensbauplänen der Natur auch immer wieder mit wohltuendem Humor und selbstironischen Spitzen. Seine Versuchsbeschreibungen machen nicht nur die Wüste, sondern auch das Labor zum abenteuerlichen Schauplatz zahlreicher Fehlschläge und Erfolge.
Rezensiert von Gerrit Stratmann
Ralf Möller: Das Ameisenpatent. Bioroboter und ihre Vorbilder
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008
216 Seiten, 12,95 Euro