Lernfähigkeit erwirbt man schon im Mutterleib
Was ein Mensch in den Monaten bis zu seiner Geburt erfährt, ist Grundlage für das, was er danach lernen wird. Unter den vielen Veröffentlichungen zur Pränatalpsychologie sticht der von den holländischen Psychotherapeutenpaar I. und H. Krens herausgegebene Band "Grundlagen einer vorgeburtlichen Psychologie" hervor.
Schon im Mutterleib wird gelernt. Was ein Mensch in den Monaten bis zu seiner Geburt erfährt, ist Grundlage für das, was er danach weiter lernen wird. Das zeigt die moderne Pränatalpsychologie. Über das Kind im Mutterleib sind in diesem Jahr mehrere Bücher erschienen. Unter ihnen sticht der von den holländischen Psychotherapeuten Inge und Hans Krens herausgegebene Sammelband "Grundlagen einer vorgeburtlichen Psychologie" hervor, weil er sich fachlich anspruchsvoll und doch für Laien verständlich dem Thema nähert.
Das Buch beginnt mit einem Beitrag der holländischen Psychologin Sylvia Nossent, in dem sie die Grundzüge einer neuen Sicht der embryonalen Entwicklung skizziert. Entwicklung werde nicht durch genetische Informationen regiert. Die neuere Forschung zeige vielmehr, dass sich Erbe und Umwelt wechselseitig in einem dynamischen Prozess gestalten, an dem der Embryo durch eigene Aktivität beteiligt ist. Die Autorin schildert ein anschauliches Beispiel für diese Behauptung aus der Tierforschung: Entenküken bevorzugen den Lockruf der eigenen Art. Sie tun dies aber nicht, wenn man ihnen vor dem Schlüpfen die Stimmbänder verklebt und sie daher ihre eigene Stimme nicht hören können.
Die Stimmäußerung des Embryos selbst, der einige Tage vor dem Schlüpfen ein Stück der Eierschale aufpickt, ist also notwendig, um es auf das Muttertier auszurichten. Diese Ausrichtung ist weder genetisch determiniert noch allein durch äußere Reize gelernt, sondern Ergebnis einer Entwicklung in einem System, zu der die Aktivität des Embryos hinzugehört.
Aus einem Beitrag des irischen Pränatalpsychologen Peter Hepper erfahren wir ein anderes Beispiel zur Bedeutung der Eigenaktivität des Embryos. In der Forschung zur Herausbildung der Rechtshändigkeit geht man bislang davon aus, dass deren Ursache in der Asymmetrie des Gehirns liegt. Beobachtungen an Feten zeigen aber Folgendes: Embryos üben bereits zwischen der fünften und zehnten Schwangerschaftswoche Funktionen der Arme ein. In dieser Zeit werden diese Bewegungen noch nicht vom Gehirn kontrolliert, sondern von Muskeln und Rückenmark. Aus unbekanntem Grund bevorzugen aber die meisten schon dann Bewegungen mit der rechten Hand. Die ersten Hirnasymmetrien findet man dagegen erst in der 16. Schwangerschaftswoche.
Die Aktivität des Embryos und die Anregungen, die er erhält, vor allem seine Interaktion mit der Mutter bestimmen die Verschaltungen, die die Nervenzellen im Gehirn bilden, schreibt der Hirnforscher Gerald Hüther, und nicht genetische Programme. Ein deutlicher Beleg dafür ist der Befund, dass Kinder später eher an einer Aufmerksamkeitsstörung oder unter Schlafstörungen leiden, wenn die Mutter während der Schwangerschaft unter Angst oder Stress litt. Denn vieles von dem, was die Kinder als ‘angeboren’ mit auf die Welt bringen, haben sie im Mutterleib gelernt. Das sind zum Beispiel auch Vorlieben für Geschmack - in Abhängigkeit vom Essen der Mutter - oder für Musik, die sie im Mutterleib gehört haben.
Hüther schreibt, dass das Gehirn Erinnerungsbilder vom Austausch des Fetus mit der äußeren Welt bewahre. Diese lassen sich später nicht in Worte fassen, könnten aber bruchstückhaft und verschwommen über Körperempfindungen abgerufen werden. Das unterstützt Psychotherapeuten, die mit körperlichen und kreativen Methoden versuchen, an vorgeburtlichen traumatischen Erfahrungen von Patienten zu arbeiten. Das Buch gibt allen, die mit Schwangeren, Frühgeborenen, Säuglingen und kleinen Kindern zu tun haben, viele gute Informationen. An Entwicklungstheorie interessierte Menschen finden hier zugleich ein gut begründetes neues Verständnis von menschlicher Entwicklung, das vom alten Streit um ‘Erbe oder Umwelt’ wegkommt.
Sachbuch: "Grundlagen einer vorgeburtlichen Psychologie" von Krens & Krens (Hg.)/ Vandenhoeck & Ruprecht. 2005
Das Buch beginnt mit einem Beitrag der holländischen Psychologin Sylvia Nossent, in dem sie die Grundzüge einer neuen Sicht der embryonalen Entwicklung skizziert. Entwicklung werde nicht durch genetische Informationen regiert. Die neuere Forschung zeige vielmehr, dass sich Erbe und Umwelt wechselseitig in einem dynamischen Prozess gestalten, an dem der Embryo durch eigene Aktivität beteiligt ist. Die Autorin schildert ein anschauliches Beispiel für diese Behauptung aus der Tierforschung: Entenküken bevorzugen den Lockruf der eigenen Art. Sie tun dies aber nicht, wenn man ihnen vor dem Schlüpfen die Stimmbänder verklebt und sie daher ihre eigene Stimme nicht hören können.
Die Stimmäußerung des Embryos selbst, der einige Tage vor dem Schlüpfen ein Stück der Eierschale aufpickt, ist also notwendig, um es auf das Muttertier auszurichten. Diese Ausrichtung ist weder genetisch determiniert noch allein durch äußere Reize gelernt, sondern Ergebnis einer Entwicklung in einem System, zu der die Aktivität des Embryos hinzugehört.
Aus einem Beitrag des irischen Pränatalpsychologen Peter Hepper erfahren wir ein anderes Beispiel zur Bedeutung der Eigenaktivität des Embryos. In der Forschung zur Herausbildung der Rechtshändigkeit geht man bislang davon aus, dass deren Ursache in der Asymmetrie des Gehirns liegt. Beobachtungen an Feten zeigen aber Folgendes: Embryos üben bereits zwischen der fünften und zehnten Schwangerschaftswoche Funktionen der Arme ein. In dieser Zeit werden diese Bewegungen noch nicht vom Gehirn kontrolliert, sondern von Muskeln und Rückenmark. Aus unbekanntem Grund bevorzugen aber die meisten schon dann Bewegungen mit der rechten Hand. Die ersten Hirnasymmetrien findet man dagegen erst in der 16. Schwangerschaftswoche.
Die Aktivität des Embryos und die Anregungen, die er erhält, vor allem seine Interaktion mit der Mutter bestimmen die Verschaltungen, die die Nervenzellen im Gehirn bilden, schreibt der Hirnforscher Gerald Hüther, und nicht genetische Programme. Ein deutlicher Beleg dafür ist der Befund, dass Kinder später eher an einer Aufmerksamkeitsstörung oder unter Schlafstörungen leiden, wenn die Mutter während der Schwangerschaft unter Angst oder Stress litt. Denn vieles von dem, was die Kinder als ‘angeboren’ mit auf die Welt bringen, haben sie im Mutterleib gelernt. Das sind zum Beispiel auch Vorlieben für Geschmack - in Abhängigkeit vom Essen der Mutter - oder für Musik, die sie im Mutterleib gehört haben.
Hüther schreibt, dass das Gehirn Erinnerungsbilder vom Austausch des Fetus mit der äußeren Welt bewahre. Diese lassen sich später nicht in Worte fassen, könnten aber bruchstückhaft und verschwommen über Körperempfindungen abgerufen werden. Das unterstützt Psychotherapeuten, die mit körperlichen und kreativen Methoden versuchen, an vorgeburtlichen traumatischen Erfahrungen von Patienten zu arbeiten. Das Buch gibt allen, die mit Schwangeren, Frühgeborenen, Säuglingen und kleinen Kindern zu tun haben, viele gute Informationen. An Entwicklungstheorie interessierte Menschen finden hier zugleich ein gut begründetes neues Verständnis von menschlicher Entwicklung, das vom alten Streit um ‘Erbe oder Umwelt’ wegkommt.
Sachbuch: "Grundlagen einer vorgeburtlichen Psychologie" von Krens & Krens (Hg.)/ Vandenhoeck & Ruprecht. 2005