Schlafen ist individuelle Anarchie
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In ihrem neuen Album wirft die Schweizer Frauenband Les Reines Prochaines einen bissigen Blick auf die staatliche Verfassung ihres Landes - und auch einen selbstironischen auf das eigene Alter.
"Es ist die Verfassung von uns selbst als immer älter werdende Frauen: Was, jetzt bin ich schon 60? Ach, jetzt werde ich 70? Und da fühlt man sich ähnlich wie mit 20 und hat viele Möglichkeiten, die plötzlich aufgehen. Die Welt hat sich wirklich an uns gewöhnt – einerseits. Aber natürlich auch die Verfassung des Staates und unserer Gesellschaft", sagt Muda Mathis, eine der Gründerinnen von Les Reines Prochaines.
Es gibt viele Verfassungen, die auf dem neuen Album der Reines Prochaines besungen werden. Die des Staates macht ihnen etwas mehr Sorgen als die eigene, obgleich die Reines gerade sehr optimistisch auf die gegenwärtige Schweiz schauen. Der Neoliberalismus der 90er weicht einer grüneren, feministischeren Bewegung.
Der Trübsinn wird zu den Rechten geschickt
Den Rechtsruck, den wir hierzulande erleben, haben sie nicht zu beklagen. Die SVP ist zwar schon lange etabliert, verliert aber zunehmend an Bedeutung. Der Trübsinn wird im gleichnamigen Song mir nichts, dir nichts zu den Rechten geschickt, als wäre es das einfachste auf der Welt.
Die Welt wäre ein ausnahmslos schöner Ort, wenn die Reines sie regieren dürften. Wenige andere Musikerinnen schaffen es so elegant, radikale Utopien zu formulieren, ohne als naiv oder gar spinnert abgestempelt zu werden.
"Ich denke, das Umfeld oder die Freundinnen, die Freunde rundrum, das hilft schon, wenn ich dann sehr traurig bin, dann kommen die anderen und sagen 'komm jetzt, komm!'", sagt Sus Zwick und Muda Mathis ergänzt:
"Es zeigt einfach auch, dass es ein bisschen Distanz braucht zu den eigenen Emotionen, dann sind sie schon nicht mehr so groß. Man soll die eigenen Emotionen immer auch wieder ein bisschen kleiner machen können."
Selbstironischer Blick aufs Alter
In den letzten 32 Jahren durchliefen insgesamt zehn Künstlerinnen das Kollektiv, gerade sind sie mit Muda Mathis, Sus Zwick und Fränzi Madörin zu dritt. Zuletzt waren sie mit ihrem Programm "Schildkrötenritt" auf Tour.
Der Song Schildkrötenritt referiert übrigens mal wieder selbstironisch aufs eigene Alter und beschreibt nichts weniger als Sex, Sex im Alter, ein beliebtes Thema für TV-Dokumentationen und Ratgeberliteratur und für die Reines Prochaines natürlich auch.
"Zu unserer Verfassung" gibt einen tiefen Einblick in den Kosmos der Schweizer Musikpreisträgerinnen mit deutlichen Messages wie "Ja zum Nein" und "Es ist nie zu spät". Bei dem nicht müde werdenden Aktivismus der Frauen darf der Eskapismus nicht fehlen, wenn sie die Zeit durch Nichts-Tun verschwenden möchten und im letzten Song das Credo proklamieren: Schlafen ist individuelle Anarchie!
"Ich find schlafen super!", sagt Muda Mathis. Und Sus Zwick meint: "Wir schlafen sehr gerne. Ich möchte ja gerne der Anarchie den schlechten Ruf wegnehmen. Für die Einen sind Anarchisten immer nur Schwarzer Block und Bombenleger, aber es gibt eben auch ganz viele tolle Erfindungen und Ansätze. Die müsste man eigentlich ein bisschen propagieren. Das ist jetzt noch etwas, das ich tun kann in den nächsten Songs."