Manche Hotelgäste können besser Geschichten erzählen als andere. Manche sind witzig. Manche hatten ein interessantes Leben. Manche erinnern sich besser als andere.
Anne de Marcken
© Suhrkamp Verlag
Erzählende Zombies
05:54 Minuten

Anne de Marcken
Aus dem Englischen übersetzt von Clemens J. Setz
Es währt für immer und dann ist es vorbeiSuhrkamp Verlag, Berlin 2025151 Seiten
23,00 Euro
Zu gern würden sich die Zombies erinnern: an ihre Namen, ihre Geschichte. In "Es währt für immer und dann ist es vorbei" zeichnet Anne de Marcken eine Welt nach der Apokalypse, in der eine Untote den Kreislauf des Tötens durchbricht.
Der Titel führt womöglich in die Irre. Denn wenn die Welt untergeht, ist hier erstmal gar nichts vorbei. Vielmehr fängt Anne de Marcken dann erst an. In ihrem mehrfach ausgezeichneten Romandebüt sind die Telefonleitungen tot, Großstädte verwaist und Zombies machen mit unbändigem Hunger Jagd auf die wenigen verbliebenen Menschen der Erde. Doch de Marckens Untote sind rätselhaft. Sie – die laut ihrem selbsternannten spirituellen Anführer “die Grenze der bisherigen Ontologie überschritten” haben und “den wahren Sinn des Lebens verstehen” können – wohnen in einem Hotel.
An ihr vorangegangenes Leben können sich die Zombies nur bruchstückhaft erinnern, auch ihre Namen sind vielen entfallen. Deshalb sitzen die untoten Hotelgäste beieinander und sagen einen Namen nach dem anderen auf, schreiben Namen an Wände und in den Staub, immer in der Hoffnung, ihren eigenen wiederzuerkennen. Und sie erzählen sich Geschichten, um zu erinnern:
Genevieve, die Erzählerin dieses melancholischen Zombieromans, erinnert sich zwar auch nicht an ihren Namen. Aber an eine geliebte Person, die sie in ihren Gedanken oft noch adressiert. Mit ihr war sie glücklich in den Dünen, mit ihr verlor sie ein Kind.
Groteske Untoten-Komik
Genevieve ist wahrscheinlich eine der interessanteren Geschichtenerzählerinnen, die uns durch diese post-apokalyptische Welt führt, in der in Beckett’scher Manier groteske Untoten-Komik auf philosophische Untiefen trifft.
Zu Beginn des Romans verliert Genevieve einen Arm. Für einen Zombie nicht weiter tragisch, sollte man meinen. Doch der Verlust wird für sie zur persönlichen Katastrophe. Der abgetrennte Arm wird eingeäschert, ehrfurchtsvoll kratzt Genevieve einen Platz unterhalb ihrer Rippen frei und legt eine untote sprechende Krähe hinein. Mit dem einsilbigen, in scheinbar zusammenhanglosen Wörtern kommunizierenden Herzersatz macht sie sich auf nach Westen.
Weil der Westen die letzte Zuflucht ist. Ich gehe westwärts, weil ich dich im Westen erinnere.
Anne de Marckens Roman erzählt von Genevieve Reise und von der Trauer eines Zombies.
Einfühlsame Zombie-Poetik
Die schmucklosen selbstbehauptenden Sätze, für die es kaum einen besseren Übersetzer gegeben hätte als Clemens J. Setz, werfen allen kulturellen Ballast von der untoten Stereotype aus dem blutrünstigen Zombiefilm. Sie nähern sich Genevieve und ihren Leidensgenossen in einer einfühlsamen – mal trivial-komischen, mal herzzerreißend-tragischen – Poetik der Zombies:
Untotsein bedeutet Überflüssigsein, für immer. Der Mond ist immer voll. Wir träumen, ohne zu schlafen. Wir weigern uns, zur Erde zurückzukehren. Hunger ist unerbittlich.
Genevieves Reise wird ein Ziel finden. Aber hier wartet keine Erlösung, allenfalls ein klein wenig Trost auf sie – und die Gewissheit für uns Lebende, dass wir nach dem Ende der Welt im Zombie-Hotel sicherlich auch Anschluss und Verständnis fänden.