Propaganda-Effekt
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Hitlers Medienstrategie unter die Lupe genommen
07:06 Minuten
Lutz Hachmeister
"Hitlers Interviews: Der Diktator und die Journalisten"Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024384 Seiten
28,00 Euro
Lutz Hachmeister untersucht, wie Hitlers Medienstrategie darauf ausgerichtet war, gezielt Propaganda zu verbreiten. Journalisten, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber standen, erhielten keine Interviews mit dem Diktator.
Wer Adolf Hitler interviewen wollte, hatte es nicht leicht: Fragen mussten vorab eingereicht werden, und vor der Freigabe wurde das Interview autorisiert; vor 1933 hatte Hitler auch oft ein Honorar verlangt, für die Parteikasse der NSDAP. Nach Kriegsbeginn gab es nur noch vier Gespräche, zwischen 1923 und 1938 jedoch sind rund hundert Interviews dokumentiert, mit Korrespondentinnen und Korrespondenten aus den USA, Großbritannien, Italien und Frankreich.
Ein eigenes Kapitel unter dem Titel „Faking Hitler“ ist darüber hinaus gefälschten Hitler-Interviews gewidmet: Die ersten Fälschungen stammen bemerkenswerterweise aus der Zeit des Münchner Putschversuchs von 1923.
Hitler nutzte Interviews für seine Propaganda
Tonbandaufzeichnungen oder Notizen existieren nicht, es gibt nur die publizierten Artikel, in denen Hitler zitiert wird. Für die Auslandskorrespondenten war ein Führer-Interview eine Trophäe, Hitler dagegen nutzte seine Interviews als Gelegenheit zur Propaganda: Es handle sich durchwegs um „sterile Überredungskommunikation“, so Hachmeister in seiner Einleitung. Hitler wettert gegen den Versailler Vertrag und gegen Reparationen, er will die Kolonien zurück und schimpft über den Bolschewismus, die Demokratie und das jüdische Finanzkapital.
Kaum je werden ihm Fragen zur Verfolgung der Juden gestellt, und geschieht es ausnahmsweise, wie in einem Interview von 1933 mit der New York Times, antwortet er, die angeblich verfolgten Juden würden friedlich in Berliner Cafés sitzen, und Millionen Deutsche litten nicht weniger als die Juden.
„Wenn du ihm eine Frage stellst, hält er eine Rede“, ärgerte sich der US-amerikanische Journalist Karl von Wiegand, der Hitler trotzdem mehrfach interviewte. Häufig wird Hitlers Gesprächsstil erwähnt: Er schrie und gestikulierte, als spräche er zu einer großen Menge; ein spanischer Reporter fürchtete gar um das Porzellan, das auf dem Tisch stand.
Ausführliche Biografien der Beteiligten bieten ein Sittengemälde des damaligen Medienbetriebs. Mit großer Sach- und Quellenkenntnis gelingt es Lutz Hachmeister, durch die Perspektive der Auslandskorrespondenten einen neuen Blick auf Hitler und seine Medienstrategie zu werfen. Gesprächspartner wurden gezielt ausgesucht, Interviews genau vorbereitet und für Themensetzungen genutzt. Publikationen, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden, erhielten von vornherein keinen Interviewtermin, unliebsame Journalisten riskierten zunehmend, aus Deutschland ausgewiesen zu werden.
Journalisten, die Hitler interviewten, glaubten ihm
Viele der Korrespondenten, die Hitler interviewten, standen seinem Gedankengut nahe und glaubten seine Behauptungen, dass er sich für Frieden und Wohlstand einsetze. Immerhin scheiterte 1942 ein Versuch des Propagandaministeriums, ein Interview zu lancieren, mit dem Hitler die Westalliierten von einer zweiten Front abhalten wollte: Es fand sich offenbar niemand mehr, der oder die sich für ein Interview „einbestellen“ ließ.
Im Schlusskapitel kommt Hachmeister schließlich auf Interviews mit anderen Diktatoren zu sprechen, auch im Hinblick auf die Aktualität des Themas angesichts der Medienpräsenz heutiger Diktatoren und Autokraten. Die Propaganda-Effekte für den Diktator seien immer größer als der Nachrichtenwert, gibt er zu bedenken. Die Schlussfolgerung hat er am Ende seiner Einleitung bereits vorweggenommen: „Interviews mit Diktatoren ergeben sehr wenig Sinn.“