Lese-Boom im Land der Analphabeten

Von Christian Schmitt |
Es ist nicht immer üblich, dass gleich der Präsident höchstpersönlich eine Buchmesse eröffnet. Doch am Erscheinen von Dr. Abdul Kamal wird deutlich, welchen Stellenwert das Lesen in Indien hat. Oder haben soll. Die Buchmesse in Neu Delhi kann sich tatsächlich sehen lassen. Mit 450 Ausstellern ist sie zwar nicht so groß wie das Vorbild in Frankfurt, die Besucherzahlen allerdings liegen zwischen sechshunderttausend und einer Million. Tendenz steigend.
Indien wird im Oktober 2006 Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse sein. Eine Delegation aus Deutschland soll dafür schon heute den Indern Lust auf deutsche Bücher machen. Am Stand stehen Werke von Mario Adorf bis zur heilenden Kraft von Zauberpflanzen. Ein Querschnitt durch die deutsche Literatur soll gezeigt werden, sowohl Romane als auch Sachbücher. Diether Schmidt, von der Frankfurter Delegation ist von der Resonanz begeistert.

"Indische Leser und Leserinnen interessieren sich für deutsche Literatur, sowohl für Fiction als auch für Non-Fiction. Es gibt in Indien eine Reihe von Leuten, ganz viele Leute, die Deutsch studieren, die die deutsche Sprache lernen. Die auch in Deutsch lesen wollen. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass der Besuch am Stand, und das Interesse an deutschen Büchern sehr hoch sein wird."

Lesen ist in Indien zum Trend geworden, wer liest, zeigt, dass er zur oberen Bildungsschicht gehört. Diese Tendenz ist auf der New Delhi Book Fair offensichtlich. Natürlich zur Freude der Aussteller:

"Als wir das erste Mal hier waren, gab es circa 200 Aussteller. Jetzt sind es 450! Der Buchmarkt zieht wirklich an. Die Preise steigen zwar, aber es gibt wirkliche Buchliebhaber. Jemand, der Bücher will, kann hier jedes Buch kaufen, das er mag. Er wird dafür lieber auf eine Hose oder ein T-Shirt verzichten, aber er wird sich ein Buch kaufen."
Doch Indiens bitterarme Mehrheit der Bevölkerung wird kaum die wenigen Rupien, die sie besitzt, für ein Buch ausgeben. Vor allem, weil immer noch mehr als 40% der Inder nicht lesen können. Die Situation der Frauen sieht noch schlechter aus. Theoretisch herrscht Schulpflicht für alle, doch viele indische Mädchen bleiben immer noch hinter dem Herd gefangen. Mehr als die Hälfte von ihnen wird niemals den Zugang zu einem Buch finden.

Indiens Präsident ist dennoch zuversichtlich. Mit fahrenden Bibliotheken will er die Bücherwelten auch in die indischen Dörfer bringen. Eine gesicherte Schulbildung soll allen Schichten das Lesen ermöglichen. Die Buchwirtschaft erwartet von der Regierung schnelles Handeln. Dann nämlich, kann Shakti Malik, Präsident des indischen Verlegerverbandes seinen Plan verwirklichen, wie er die Alphabetisierungsquote erhöhen will.

"Alles in Indien wächst zur Zeit. Die Automobilwirtschaft, die Handybranche, einfach alles. Das gleiche gilt für Bücher. Sobald den Leuten günstige und gute Bücher geboten werden, wird die Analphabetenquote sinken."

Einen anderen Weg zeigt die Zeitung "Exact". Neu auf dem Markt und nur für Kinder gemacht. Täglich gibt es drei verschiedene Ausgaben für Kinder und Jugendliche von fünf bis achtzehn. In der Kindergarten-Ausgabe wird das Alphabet gelernt, dazu kommen kurze, einfache Saetze. Dickes, beschichtetes Papier soll die Haltbarkeit verlängern und macht die Zeitung kindertauglich. Die Junior und Senior-Ausgaben von Exact beinhalten unerwartet ernste Nachrichten, für Kinder verständlich aufbereitet. Auch über die Bombenanschläge von London.

Für Redakteurin Manjula Tandan aber steht der Spaß am Lesen im Vordergrund.

"Wir wollen diesen Druck abbauen, dass man unbedingt lesen MUSS, dass man die Zeitung gelesen haben MUSS. Mit unserem kreativen Konzept wollen wir erreichen, dass nun der Wunsch von den Kindern kommt. Dass sie sagen, Ja, wir wollen diese Zeitung lesen, zwei Stunden, drei Stunden lang am Tag. Das soll unser Erfolg werden."
Im Mittelpunkt der Buchmesse stehen eindeutig Sachbücher. "Freies Reden leicht gemacht", "erfolgreiche Firmenpräsentationen", "Positives Denken". Der Aufschwung in Indien schlägt sich auch im Buchmarkt nieder. Als Kontrast, zeigt sich auch das klassische Indien, unzählige Yogaschulen präsentieren ihre Methoden. Großen Umsatz bei Sachbüchern machen jedoch Biografien von Adolf Hitler. "Mein Kampf" ist ein Bestseller in Indien, Geschichten rund um Hitler faszinieren. Die Inder malen sich das verzerrte Bild eines standhaften Helden im Kampf gegen England.

Doch das ist nicht das Einzige, was die Inder an Büchern aus Deutschland interessiert. Die Buchmesse-Delegation um Diether Schmidt streckt daher bereits jetzt ihre Fühler aus und erntet großen Zuspruch. Zahlreiche indische Aussteller, die im nächsten Jahr nach Deutschland kommen sollen, besuchen auf der Book Fair das Seminar: "Frankfurter Buchmesse: Ihre Chance."

"Es gilt auch, sich die gegenseitigen Vorstellungen, die man davon hat, von diesem Schwerpunkt, einmal zu erklären. Weil ich denke, dass viele sowohl hier in Indien auch als in Deutschland viel zu wenig wissen, von der gegenseitigen Verlagslandschaft. Sich zwar kennen, aber viel zu wenig wissen, wie gearbeitet wird, was man für Vorstellungen hat. Das gilt es auch auszutauschen. Das alles wird Thema sein, neben vielem anderen auch."

Wie in Deutschland, gibt es übrigens auch in Indien eine Konkurrenz von zwei großen Buchmessen, nicht unbedingt zu deren Vorteil. Um beide Buchmessen zu besuchen, fehlt den Meisten das Geld. Shakti Malik macht die Konkurrenz der Buchmessen nichts aus, im Gegenteil. Als Verleger will er Bücher in die Welt bringen, das ist es, was zählt.

"Buchmessen sind doch nicht im Wettbewerb miteinander. Jeder profitiert davon, die Verleger natürlich auch. Ich denke, es sollte mindestens fünf bis sechs Buchmessen im Jahr geben. So sollte das sein."