Lesen und Schreiben als soziales Event
Eine Truppe Literaturbegeisterter aus Hildesheim sieht großartige Zeiten für das Buch heraufziehen. Im digitalen Zeitalter lesen und verfassen wir unsere Romane und Dramen gemeinsam - so die Botschaft. Das Internet macht's möglich.
Der Buchmarkt schrumpft. Die großen Buchhandelsketten schließen Filialen. Verlage kämpfen mit sinkenden Auflagen. Autoren unterschreiben voller Sorgen Aufrufe wie "Wir sind die Urheber’". Die Digitalisierung wälzt die Buchbranche um und dämpft die Stimmung. Nur eine eher kleine Stadt in Niedersachsen bewahrt die gute Laune. In Hildesheim, wo man das kreative Schreiben lehrt, sieht Professor Stephan Porombka eine Boomzeit der Literatur heraufziehen.
"Wie lebendig die Szene ist und wie viel los ist im Grunde genommen, und zwar so viel los, dass man nicht davon sprechen kann, dass die Literatur auf irgendeine Art und Weise in die Krise kommt, denn wir machen hier keine Krisengespräche, sondern dass wir eher in das eintreten, was wir dann die Boomzeit der Literatur genannt haben, wobei Boomzeit eben einfach heißt, dass wir nicht mehr über ein einziges Format nachdenken, sondern dass die Literatur dauernd neu formiert und neu formatiert wird, dass es neue Programme gibt, dass es neue Plattformen gibt und dass es neue Apps gibt, mit denen gearbeitet wird, und die jedes Mal neue Möglichkeiten dafür zur Verfügung stellen, wie wir mit Texten umgehen können."
"Litflow – Thinktank für die nächste Literatur" hieß die zweitägige Konferenz im Berliner Theaterdiscounter nahe dem Alexanderplatz, auf der die Hildesheimer Kuratoren um Stephan Porombka gutgelaunt das Flüssigwerden des Textes in verschiedenen Medien dank der elektronischen Verschaltung begrüßten. Ideen und schon existierende Projekte wollte man zeigen, Ungewöhnliches, Wildes, Radikales wie die Geschichten schreibenden Programme von Larry Birnbaum.
Die programmatische Offenheit wirkte manchmal naiv, technische Möglichkeiten wurden immer als "revolutionär" bejubelt. Andererseits wollte dieser intellektuell und technisch hochqualifizierte Spielplatz von Geschäftsmodellen nichts wissen. LitFlow stellte keine literarische, sondern eine technisch-soziale Utopie vor.
Lesen war immer sozial, sagt Bob Stein, der Papst des social reading. Die Inkunabeln aus der Vor-Gutenberg-Zeit waren voller Anmerkungen, man las nicht allein. Wir, sagt Stein, gehen also zurück zur Zukunft. Mit seinen Programmen werden Texte im Netz gemeinsam gelesen und kommentiert – von Freunden, von Studenten, von Experten, im privaten Kreis oder mit der ganzen Welt.
Zum social reading tritt das social writing: An die Stelle des einsamen Autors tritt das Kollektiv. Rita Bollig erzählte, wie Autor, Programmierer und Marketingmitarbeiter beim deutschen Unterhaltungsverlag Bastei Lübbe Stoffe transmedial aufbereiten, um sie als Buch, als App, als Film, als ebook und in anderen Formen zu verkaufen.
Noch weiter geht Javier Martinez von der Computerspielfirma LudicPhilosophy: Spieler werden zu Autoren.
"Unsere Idee war einfach, dass die Geschichte tatsächlich im Kopf des Spielers passiert. Was natürlich seine Implikationen hat, weil am Ende – man hat jetzt hier geredet über social reading. Ich glaube, wir machen eine soziale Autorschaft. Im Grunde sind es Spieler, die in einem Team spielen und einen Fall zu lösen haben durch verschiedene Beweise. Sie benutzen den weißen Raum zwischen den Medien, die tatsächlich die Story schaffen, Jedes Team erlebt eine andere Geschichte."
Letztlich kreiste "Litflow" immer um das Gleiche: um den Grenzen aufhebenden Effekt – nein, nicht des Kapitals, sondern der digitalen Technik. Alles fließt ineinander: Autor und Leser, Wirklichkeit und Fiktion, Text und Bild und Ton. Wendige Köpfe unter den Konferenzteilnehmern wie Kathrin Passig malten sich schon aus, wie die Technik Grenzen wieder aufrichten kann. Ein "Gentle Reader" solle, so Passig, dem Autor die lästigen Leser schön färben, die ihm auf allen Kanälen dreinreden wollen.
Bei alldem gehe es ja gar nicht um Literatur, sondern um Genres, um Spiele, um Unterhaltung protestierte der Schriftsteller Ingo Niermann:
"Interessant ist eben, dass Literatur, obwohl es die geringste Infomenge, also Buch viel weniger als ein Foto, als ein Film, als ein Musikstück, als ein Game hat, dass es trotzdem die Sache ist, die sich diesem Wechsel ins Digitale so lange versperrt hat. Mittlerweile wird zwar sehr, sehr viel auf Kindle gelesen, aber es ist eben interessant: Je mehr es um anspruchsvolle Literatur geht, desto geringer wird der Prozentsatz."
Niermann kündigte an, mit Mathias Gatza, Autor, davor Verleger und Suhrkamp-Lektor, einen E-book-Verlag nur für anspruchsvolle Literatur zu gründen. Autoren wollten nicht ständig Feedback von Lesern bekommen, sie wollten schreiben und gelesen werden. Diese Menschen erschienen aber den meisten Teilnehmern von "Litflow" wohl als unangebracht individualistische und aussterbende Gattung.
Nachzulesen und zu hören ist die Veranstaltung auf litradio.net, dem Webradio der Hildesheimer Universität
"Wie lebendig die Szene ist und wie viel los ist im Grunde genommen, und zwar so viel los, dass man nicht davon sprechen kann, dass die Literatur auf irgendeine Art und Weise in die Krise kommt, denn wir machen hier keine Krisengespräche, sondern dass wir eher in das eintreten, was wir dann die Boomzeit der Literatur genannt haben, wobei Boomzeit eben einfach heißt, dass wir nicht mehr über ein einziges Format nachdenken, sondern dass die Literatur dauernd neu formiert und neu formatiert wird, dass es neue Programme gibt, dass es neue Plattformen gibt und dass es neue Apps gibt, mit denen gearbeitet wird, und die jedes Mal neue Möglichkeiten dafür zur Verfügung stellen, wie wir mit Texten umgehen können."
"Litflow – Thinktank für die nächste Literatur" hieß die zweitägige Konferenz im Berliner Theaterdiscounter nahe dem Alexanderplatz, auf der die Hildesheimer Kuratoren um Stephan Porombka gutgelaunt das Flüssigwerden des Textes in verschiedenen Medien dank der elektronischen Verschaltung begrüßten. Ideen und schon existierende Projekte wollte man zeigen, Ungewöhnliches, Wildes, Radikales wie die Geschichten schreibenden Programme von Larry Birnbaum.
Die programmatische Offenheit wirkte manchmal naiv, technische Möglichkeiten wurden immer als "revolutionär" bejubelt. Andererseits wollte dieser intellektuell und technisch hochqualifizierte Spielplatz von Geschäftsmodellen nichts wissen. LitFlow stellte keine literarische, sondern eine technisch-soziale Utopie vor.
Lesen war immer sozial, sagt Bob Stein, der Papst des social reading. Die Inkunabeln aus der Vor-Gutenberg-Zeit waren voller Anmerkungen, man las nicht allein. Wir, sagt Stein, gehen also zurück zur Zukunft. Mit seinen Programmen werden Texte im Netz gemeinsam gelesen und kommentiert – von Freunden, von Studenten, von Experten, im privaten Kreis oder mit der ganzen Welt.
Zum social reading tritt das social writing: An die Stelle des einsamen Autors tritt das Kollektiv. Rita Bollig erzählte, wie Autor, Programmierer und Marketingmitarbeiter beim deutschen Unterhaltungsverlag Bastei Lübbe Stoffe transmedial aufbereiten, um sie als Buch, als App, als Film, als ebook und in anderen Formen zu verkaufen.
Noch weiter geht Javier Martinez von der Computerspielfirma LudicPhilosophy: Spieler werden zu Autoren.
"Unsere Idee war einfach, dass die Geschichte tatsächlich im Kopf des Spielers passiert. Was natürlich seine Implikationen hat, weil am Ende – man hat jetzt hier geredet über social reading. Ich glaube, wir machen eine soziale Autorschaft. Im Grunde sind es Spieler, die in einem Team spielen und einen Fall zu lösen haben durch verschiedene Beweise. Sie benutzen den weißen Raum zwischen den Medien, die tatsächlich die Story schaffen, Jedes Team erlebt eine andere Geschichte."
Letztlich kreiste "Litflow" immer um das Gleiche: um den Grenzen aufhebenden Effekt – nein, nicht des Kapitals, sondern der digitalen Technik. Alles fließt ineinander: Autor und Leser, Wirklichkeit und Fiktion, Text und Bild und Ton. Wendige Köpfe unter den Konferenzteilnehmern wie Kathrin Passig malten sich schon aus, wie die Technik Grenzen wieder aufrichten kann. Ein "Gentle Reader" solle, so Passig, dem Autor die lästigen Leser schön färben, die ihm auf allen Kanälen dreinreden wollen.
Bei alldem gehe es ja gar nicht um Literatur, sondern um Genres, um Spiele, um Unterhaltung protestierte der Schriftsteller Ingo Niermann:
"Interessant ist eben, dass Literatur, obwohl es die geringste Infomenge, also Buch viel weniger als ein Foto, als ein Film, als ein Musikstück, als ein Game hat, dass es trotzdem die Sache ist, die sich diesem Wechsel ins Digitale so lange versperrt hat. Mittlerweile wird zwar sehr, sehr viel auf Kindle gelesen, aber es ist eben interessant: Je mehr es um anspruchsvolle Literatur geht, desto geringer wird der Prozentsatz."
Niermann kündigte an, mit Mathias Gatza, Autor, davor Verleger und Suhrkamp-Lektor, einen E-book-Verlag nur für anspruchsvolle Literatur zu gründen. Autoren wollten nicht ständig Feedback von Lesern bekommen, sie wollten schreiben und gelesen werden. Diese Menschen erschienen aber den meisten Teilnehmern von "Litflow" wohl als unangebracht individualistische und aussterbende Gattung.
Nachzulesen und zu hören ist die Veranstaltung auf litradio.net, dem Webradio der Hildesheimer Universität