"Leser zu einem Leben als Flüchtling einladen"
Deutschland liegt im Roman der dänischen Autorin Janne Teller mit halb Europa im Krieg. So kommt es, dass eine wohlhabende Familie ausgerechnet nach Ägypten flüchten und dort von vorn beginnen muss. Aufgemacht ist das Jugendbuch "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier" als Reisepass. Teller hat früher in verschiedenen Krisenregionen für humanitäre Organisationen gearbeitet. Für jedes Übersetzungsgebiet ihres Buches hat sie den Krieg in ein anderes Gebiet verlegt.
"Wenn bei uns Krieg wäre, wohin würdest du gehen? Wenn durch die Bomben der größte Teil des Landes, der größte Teil der Stadt in Ruinen läge? Wenn das Haus, in dem du und deine Familie lebt, Löcher in den Wänden hätte? Wenn alle Fensterscheiben zerbrochen, das Dach weggerissen wäre? Der Winter steht bevor, die Heizung funktioniert nicht, es regnet herein. Ihr könnt euch nur im Keller aufhalten. Deine Mutter hat Bronchitis, und bald wird sie wieder eine Lungenentzündung bekommen. Dein großer Bruder hat schon früh bei einem Vorfall mit einer Mine drei Finger der linken Hand verloren und unterstützt gegen den Willen deiner Eltern die Milizia. Deine kleine Schwester wurde von Granatsplittern am Kopf verletzt, sie liegt in einem Krankenhaus, dem es an allem fehlt. Deine Großeltern starben, als eine Bombe ihr Pflegeheim traf. Du bist noch unversehrt, aber du hast Angst. Morgens, mittags, abends, nachts. Jedes Mal, wenn in der Ferne die Raketen abgefeuert werden, zuckst du zusammen, jedes Mal, wenn du am Horizont Licht aufscheinen siehst und du nicht weißt, ob die Rakete dieses Mal in deine Richtung fliegt. Jedes Mal, wenn es irgendwo kracht, zuckst du zusammen."
Britta Bürger: Die dänische Schriftstellerin Janne Teller hat den Anfang ihres neuen Buches selbst für uns gelesen. Herzlich willkommen!
Janne Teller: Danke schön!
Bürger: Deutschland liegt in dieser Geschichte mit halb Europa im Krieg, was dazu führt, dass die Familie flüchtet, und zwar ausgerechnet nach Ägypten. So kann das gehen, dass die Zeitgeschichte uns einholt, denn Sie haben das Buch natürlich lange vor den aktuellen Umbrüchen in der arabischen Welt geschrieben. Welches Ziel haben Sie mit diesem Perspektivwechsel verfolgt?
Teller: Ich möchte gern den Leser zu einem Leben als Flüchtling einladen. Und es kann immer schwer sein, sich ein Leben von Leuten ganz anderer Kulturen vorzustellen. Aber wenn ich in diesem Buch mir vorstelle einen Krieg in Europa und eine europäische Familie, die flüchten muss, dann ist das vielleicht viel leichter, sich vorzustellen, dass es sein eigenes Leben ist.
Bürger: Sie beschreiben, wie die Familie in Deutschland von hier lebenden griechischen und französischen Heckenschützen bedroht wird, wie also das vermeintlich sichere europäische Gefüge ins Wanken gerät. Ich fand das sehr schwierig, mir vorzustellen, dass Griechen und Franzosen und Italiener schlagartig unsere Feinde werden könnten, weil das Buch die Gründe für diesen fiktiven Krieg ausklammert. Geht es Ihnen vor allen Dingen um so eine Art Versuchsanordnung?
Teller: Ich glaube, wir könnten einen Krieg wieder in Europa haben, hier habe ich die ökonomische Krise, was passiert, wenn wirklich in Europa wir eine größere ökonomische Krise haben. Wir sehen doch, dass Griechenland, Portugal, Irland und so weiter ... Und in diesem Buch war das, Deutschland möchte nicht mehr für alle zahlen. Aber es könnte auch eine Atomkatastrophe sein, es könnte anders sein. Weil das Wichtigste in diesem Buch ist nicht der Krieg, das ist die Flucht, und was passiert, wenn man in einer anderen Kultur sich einpassen muss. Was passiert denn mit der Identität, mit dem Leben?
Bürger: Wird die deutsche Flüchtlingsfamilie in Ägypten mit denselben Vorurteilen und Problemen konfrontiert wie arabische oder afrikanische Flüchtlinge in Deutschland?
Teller: Ja, das glaube ich, es sind die gleichen Probleme. Sie leben in einem Zeltlager für zwei Jahre, sie können keine Arbeit kriegen – dieses Problem, man wäre ein Mensch zweiter oder dritter Klasse. Diese Familie war ganz wohlhabend, gute Ausbildungen, aber dann kommt man nach Ägypten, man ist gar nichts plötzlich. Sie können die Sprache nicht und sie können keine Arbeit kriegen. Und wenn, am Ende, die Mutter fängt an, Kuchen zu backen, den der Sohn und der Vater verkaufen kann, dann ist das wirklich nicht die Arbeit, die sie gerne möchten machen.
Bürger: Teilweise muss man darüber auch schmunzeln, etwa wenn Sie schreiben, dass es kein Land gibt, das weitere fünf Flüchtlinge haben will, die die Sprache nicht beherrschen und die nicht wissen, wie man sich in einer klassischen Kulturgesellschaft – damit ist Ägypten dann gemeint – benimmt. Und es hört nicht auf, als der Krieg vorbei ist, und die deutschen Flüchtlinge beginnen, sich in Ägypten zu integrieren. Als der Jugendliche dort nämlich heiratet, selbst Kinder bekommt, die dann Arabisch sprechen und all dies, bleiben die Deutschen in Ägypten Fremde.
Teller: Ja, man bleibt immer fremd, denn dieses Wort Integration, glaube ich, ist eine Fiktion. Über Generationen ja, aber die erste Generation kann es nie schaffen. Man ist da immer ein Fremder.
Bürger: Sie erzählen diese Geschichte konsequent aus der Perspektive eines Jugendlichen, der uns Leser duzt und immer direkt anspricht. Was bezwecken Sie mit diesem pädagogischen Trick?
Teller: Ja, wenn ich etwas schreibe, dann analysiere ich nie. Für mich war es so, dass dieser 14-jährige Junge, er erzählt seine Geschichte seinen Freunden, Bekannten, dem Leser, und es ist wirklich, ach, du musst dieses verstehen. Ich glaube, es hilft, mindestens wenn ich mit jungen Leuten gesprochen habe, sie fühlten, dass sie in dieser Geschichte eingezogen ...
Bürger: Ja, dass sie wirklich gemeint sind, angesprochen wurden.
Teller: Ja. Das ist, wie ein Freund sie anspricht.
Bürger: Das Buch ist zuerst in Dänemark erschienen, doch Sie haben die deutsche Fassung ja gezielt überarbeitet. Haben Sie das für mehrere Länder gemacht, und wie unterscheiden sich die Bücher?
Teller: Ja, jedes Buch will sich verändern für jedes Land. Ich mache noch eins für Spanien jetzt, aber in Dänemark war es ein Krieg zwischen den nordischen Ländern – ich habe ein bisschen, ja, kann man sagen, jugoslawische Situation mir vorgestellt, aber in den nordischen Ländern. Und hier musste ja ein Krieg in Deutschland sein. Für alle Länder werden die ein bisschen verschieden.
Bürger: Die Schriftstellerin Janne Teller ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, und wir sprechen über ihr neues Buch "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier". Gab es denn 2001 einen konkreten Anlass für Sie, dieses Buch in Dänemark zu schreiben?
Teller: Ja, ich fühlte, dass die Debatte über Flüchtlinge sehr hassvoll geworden war. Dann ist es sehr wichtig, immer zu erinnern, dass wir sprechen von Menschen, wir sprechen von Schicksalen, unglücklichen Schicksalen. Und wir waren doch ein Land, das sehr tolerant ist, Menschen in Not zu helfen, und plötzlich war es nicht mehr so, es war, wie Dänemark sich verändert hat. Und ich möchte selber gern eine Geschichte erzählen, wo ich sage, das dreht sich doch um menschliches Verständnis. Wir müssen einander verstehen, wir müssen verstehen, dass diese Leute nicht zum Spaß zu uns kommen. Es ist nicht sehr schön, sein Land zu verlassen.
Bürger: Sie haben ja bis 1995, also bevor Sie sich ausschließlich aufs Schreiben konzentriert haben, in verschiedenen Krisenregionen für humanitäre Organisationen gearbeitet – in Bangladesch und Simbabwe, in Mosambik und Tansania. Ist Ihr Buch auch eine direkte Folge dieser Erfahrungen?
Teller: Ich habe vielmals in Tansania und Mosambik Flüchtlinge gesprochen, und was mich besonders beeindruckt hat, war immer, dass die Flüchtlinge nach Hause gehen möchten. Oft konnten sie nicht, aber das war ihr Traum. Und das große Unglück war immer, dass sie nicht nach Hause gehen konnten. Und das hat mich immer sehr stark beeindruckt.
Bürger: Schon Ihr Buch "Nichts", das hat ja eine heftige Debatte ausgelöst. "Nichts" war der Titel, darin setzten sich auch Kinder mit dem Sinn des Lebens auseinander, ließen sich allerdings zu unglaublichen Gewalthandlungen hinreißen. Vor allem Erwachsene, darunter auch viele Pädagogen, haben Sie jetzt dafür angegriffen, und es wurde darüber gestritten, wie viel man Kindern in so einem Buch, Jugendlichen, zumuten sollte. Welche Haltung haben Sie dazu?
Teller: Ja, da gibt es Grausamkeiten, aber nicht mehr als in jedem Computerspiel oder jedem Krimi, die Kinder sehen, gibt es weniger in diesem Buch. Und ich habe ein Buch geschrieben, dass ich gern mit 14 gelesen hätte. Es war ein Buch, das ich noch brauchte zum Lesen. Ich musste in diesem dunklen Haus, wo die Fragen waren für mich, ich musste da reingehen und die Fenster öffnen und sehen, was gibt es hinter diesen Fragen. Ich hatte selber Angst davor. Und für mich ist das Buch ein sehr hoffnungsvolles Buch. Wenn ich mit Jugendlichen spreche, dann höre ich immer, dass das Buch hoffnungsvoll ist. Und da gibt es etwas, das ist stark und beeindruckt sie auch viel, aber einige Erwachsene, die fühlen sich sehr provoziert vom Buch.
Bürger: Bleibt abzuwarten, wie die Kinder und Jugendlichen auf das neue Buch reagieren. Der Hanser-Verlag hat dazu eine Internetadresse eingerichtet: www.janne-teller-krieg.de, da können die Jugendlichen sich dann danach äußern zu diesem Buch. Und wir sollten unbedingt noch kurz über die Illustrationen des Buchs reden und die ungewöhnliche Aufmachung als Reisepass. Es ist wirklich ein Hingucker, aber auch die Zeichnungen von Helle Vibeke Jensen, die sind interessant. Was für eine Bildidee zieht sich durch das Buch?
Teller: Der Reisepass ist natürlich das wichtigste Dokument für einen Flüchtling und oft das Dokument, das sie nicht haben können. Und der Verlag hat Helle Vibeke Jensen gefunden, sie ist ein sehr bekannter Illustrator in Dänemark, und sie hat diese wunderbare Illustration gemacht – ein bisschen absurd, aber es ist, ich glaube immer ein bisschen mehr nachzudenken. Es ist ein bisschen auch wie ein Muster oft, ein Muster wie eine Granatenexplosion.
Bürger: Ja, das sieht auf den ersten Blick aus wie so ein Tapetenmuster, wie ein altmodisches Tapetenmuster, und dann sieht man erst, dass es eigentlich dieser Jugendliche ist, der sich zusammenkauert, und dass Granaten einschlagen – dann löst sich dieses Muster auf.
Teller: Es ist ganz schön, finde ich. Und ich war sehr überrascht, dass jemand diesen kleinen Text illustrieren konnte. Aber jetzt bin ich sehr froh, sie haben es gemacht so schön.
Bürger: Janne Teller, danke, dass Sie bei uns waren!
Teller: Danke schön!
Bürger: "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier", so heißt das neue Buch für Jugendliche ab zwölf. Es ist im Hanser-Verlag erschienen, 64 Seiten, gebunden wie ein Reisepass, kosten 6,90 Euro. Und Janne Teller ist damit gerade auf Lesereise in Deutschland. Sonnabend wird sie bei der lit.Cologne in Köln sein, Montag in Göttingen und Dienstag in Hamburg.
Links bei dradio.de:
Die Faszination der Grausamkeit
Janne Teller: "Nichts. Was im Leben wichtig ist", Carl Hanser Verlag, München 2010, 140 Seiten
Britta Bürger: Die dänische Schriftstellerin Janne Teller hat den Anfang ihres neuen Buches selbst für uns gelesen. Herzlich willkommen!
Janne Teller: Danke schön!
Bürger: Deutschland liegt in dieser Geschichte mit halb Europa im Krieg, was dazu führt, dass die Familie flüchtet, und zwar ausgerechnet nach Ägypten. So kann das gehen, dass die Zeitgeschichte uns einholt, denn Sie haben das Buch natürlich lange vor den aktuellen Umbrüchen in der arabischen Welt geschrieben. Welches Ziel haben Sie mit diesem Perspektivwechsel verfolgt?
Teller: Ich möchte gern den Leser zu einem Leben als Flüchtling einladen. Und es kann immer schwer sein, sich ein Leben von Leuten ganz anderer Kulturen vorzustellen. Aber wenn ich in diesem Buch mir vorstelle einen Krieg in Europa und eine europäische Familie, die flüchten muss, dann ist das vielleicht viel leichter, sich vorzustellen, dass es sein eigenes Leben ist.
Bürger: Sie beschreiben, wie die Familie in Deutschland von hier lebenden griechischen und französischen Heckenschützen bedroht wird, wie also das vermeintlich sichere europäische Gefüge ins Wanken gerät. Ich fand das sehr schwierig, mir vorzustellen, dass Griechen und Franzosen und Italiener schlagartig unsere Feinde werden könnten, weil das Buch die Gründe für diesen fiktiven Krieg ausklammert. Geht es Ihnen vor allen Dingen um so eine Art Versuchsanordnung?
Teller: Ich glaube, wir könnten einen Krieg wieder in Europa haben, hier habe ich die ökonomische Krise, was passiert, wenn wirklich in Europa wir eine größere ökonomische Krise haben. Wir sehen doch, dass Griechenland, Portugal, Irland und so weiter ... Und in diesem Buch war das, Deutschland möchte nicht mehr für alle zahlen. Aber es könnte auch eine Atomkatastrophe sein, es könnte anders sein. Weil das Wichtigste in diesem Buch ist nicht der Krieg, das ist die Flucht, und was passiert, wenn man in einer anderen Kultur sich einpassen muss. Was passiert denn mit der Identität, mit dem Leben?
Bürger: Wird die deutsche Flüchtlingsfamilie in Ägypten mit denselben Vorurteilen und Problemen konfrontiert wie arabische oder afrikanische Flüchtlinge in Deutschland?
Teller: Ja, das glaube ich, es sind die gleichen Probleme. Sie leben in einem Zeltlager für zwei Jahre, sie können keine Arbeit kriegen – dieses Problem, man wäre ein Mensch zweiter oder dritter Klasse. Diese Familie war ganz wohlhabend, gute Ausbildungen, aber dann kommt man nach Ägypten, man ist gar nichts plötzlich. Sie können die Sprache nicht und sie können keine Arbeit kriegen. Und wenn, am Ende, die Mutter fängt an, Kuchen zu backen, den der Sohn und der Vater verkaufen kann, dann ist das wirklich nicht die Arbeit, die sie gerne möchten machen.
Bürger: Teilweise muss man darüber auch schmunzeln, etwa wenn Sie schreiben, dass es kein Land gibt, das weitere fünf Flüchtlinge haben will, die die Sprache nicht beherrschen und die nicht wissen, wie man sich in einer klassischen Kulturgesellschaft – damit ist Ägypten dann gemeint – benimmt. Und es hört nicht auf, als der Krieg vorbei ist, und die deutschen Flüchtlinge beginnen, sich in Ägypten zu integrieren. Als der Jugendliche dort nämlich heiratet, selbst Kinder bekommt, die dann Arabisch sprechen und all dies, bleiben die Deutschen in Ägypten Fremde.
Teller: Ja, man bleibt immer fremd, denn dieses Wort Integration, glaube ich, ist eine Fiktion. Über Generationen ja, aber die erste Generation kann es nie schaffen. Man ist da immer ein Fremder.
Bürger: Sie erzählen diese Geschichte konsequent aus der Perspektive eines Jugendlichen, der uns Leser duzt und immer direkt anspricht. Was bezwecken Sie mit diesem pädagogischen Trick?
Teller: Ja, wenn ich etwas schreibe, dann analysiere ich nie. Für mich war es so, dass dieser 14-jährige Junge, er erzählt seine Geschichte seinen Freunden, Bekannten, dem Leser, und es ist wirklich, ach, du musst dieses verstehen. Ich glaube, es hilft, mindestens wenn ich mit jungen Leuten gesprochen habe, sie fühlten, dass sie in dieser Geschichte eingezogen ...
Bürger: Ja, dass sie wirklich gemeint sind, angesprochen wurden.
Teller: Ja. Das ist, wie ein Freund sie anspricht.
Bürger: Das Buch ist zuerst in Dänemark erschienen, doch Sie haben die deutsche Fassung ja gezielt überarbeitet. Haben Sie das für mehrere Länder gemacht, und wie unterscheiden sich die Bücher?
Teller: Ja, jedes Buch will sich verändern für jedes Land. Ich mache noch eins für Spanien jetzt, aber in Dänemark war es ein Krieg zwischen den nordischen Ländern – ich habe ein bisschen, ja, kann man sagen, jugoslawische Situation mir vorgestellt, aber in den nordischen Ländern. Und hier musste ja ein Krieg in Deutschland sein. Für alle Länder werden die ein bisschen verschieden.
Bürger: Die Schriftstellerin Janne Teller ist zu Gast im Deutschlandradio Kultur, und wir sprechen über ihr neues Buch "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier". Gab es denn 2001 einen konkreten Anlass für Sie, dieses Buch in Dänemark zu schreiben?
Teller: Ja, ich fühlte, dass die Debatte über Flüchtlinge sehr hassvoll geworden war. Dann ist es sehr wichtig, immer zu erinnern, dass wir sprechen von Menschen, wir sprechen von Schicksalen, unglücklichen Schicksalen. Und wir waren doch ein Land, das sehr tolerant ist, Menschen in Not zu helfen, und plötzlich war es nicht mehr so, es war, wie Dänemark sich verändert hat. Und ich möchte selber gern eine Geschichte erzählen, wo ich sage, das dreht sich doch um menschliches Verständnis. Wir müssen einander verstehen, wir müssen verstehen, dass diese Leute nicht zum Spaß zu uns kommen. Es ist nicht sehr schön, sein Land zu verlassen.
Bürger: Sie haben ja bis 1995, also bevor Sie sich ausschließlich aufs Schreiben konzentriert haben, in verschiedenen Krisenregionen für humanitäre Organisationen gearbeitet – in Bangladesch und Simbabwe, in Mosambik und Tansania. Ist Ihr Buch auch eine direkte Folge dieser Erfahrungen?
Teller: Ich habe vielmals in Tansania und Mosambik Flüchtlinge gesprochen, und was mich besonders beeindruckt hat, war immer, dass die Flüchtlinge nach Hause gehen möchten. Oft konnten sie nicht, aber das war ihr Traum. Und das große Unglück war immer, dass sie nicht nach Hause gehen konnten. Und das hat mich immer sehr stark beeindruckt.
Bürger: Schon Ihr Buch "Nichts", das hat ja eine heftige Debatte ausgelöst. "Nichts" war der Titel, darin setzten sich auch Kinder mit dem Sinn des Lebens auseinander, ließen sich allerdings zu unglaublichen Gewalthandlungen hinreißen. Vor allem Erwachsene, darunter auch viele Pädagogen, haben Sie jetzt dafür angegriffen, und es wurde darüber gestritten, wie viel man Kindern in so einem Buch, Jugendlichen, zumuten sollte. Welche Haltung haben Sie dazu?
Teller: Ja, da gibt es Grausamkeiten, aber nicht mehr als in jedem Computerspiel oder jedem Krimi, die Kinder sehen, gibt es weniger in diesem Buch. Und ich habe ein Buch geschrieben, dass ich gern mit 14 gelesen hätte. Es war ein Buch, das ich noch brauchte zum Lesen. Ich musste in diesem dunklen Haus, wo die Fragen waren für mich, ich musste da reingehen und die Fenster öffnen und sehen, was gibt es hinter diesen Fragen. Ich hatte selber Angst davor. Und für mich ist das Buch ein sehr hoffnungsvolles Buch. Wenn ich mit Jugendlichen spreche, dann höre ich immer, dass das Buch hoffnungsvoll ist. Und da gibt es etwas, das ist stark und beeindruckt sie auch viel, aber einige Erwachsene, die fühlen sich sehr provoziert vom Buch.
Bürger: Bleibt abzuwarten, wie die Kinder und Jugendlichen auf das neue Buch reagieren. Der Hanser-Verlag hat dazu eine Internetadresse eingerichtet: www.janne-teller-krieg.de, da können die Jugendlichen sich dann danach äußern zu diesem Buch. Und wir sollten unbedingt noch kurz über die Illustrationen des Buchs reden und die ungewöhnliche Aufmachung als Reisepass. Es ist wirklich ein Hingucker, aber auch die Zeichnungen von Helle Vibeke Jensen, die sind interessant. Was für eine Bildidee zieht sich durch das Buch?
Teller: Der Reisepass ist natürlich das wichtigste Dokument für einen Flüchtling und oft das Dokument, das sie nicht haben können. Und der Verlag hat Helle Vibeke Jensen gefunden, sie ist ein sehr bekannter Illustrator in Dänemark, und sie hat diese wunderbare Illustration gemacht – ein bisschen absurd, aber es ist, ich glaube immer ein bisschen mehr nachzudenken. Es ist ein bisschen auch wie ein Muster oft, ein Muster wie eine Granatenexplosion.
Bürger: Ja, das sieht auf den ersten Blick aus wie so ein Tapetenmuster, wie ein altmodisches Tapetenmuster, und dann sieht man erst, dass es eigentlich dieser Jugendliche ist, der sich zusammenkauert, und dass Granaten einschlagen – dann löst sich dieses Muster auf.
Teller: Es ist ganz schön, finde ich. Und ich war sehr überrascht, dass jemand diesen kleinen Text illustrieren konnte. Aber jetzt bin ich sehr froh, sie haben es gemacht so schön.
Bürger: Janne Teller, danke, dass Sie bei uns waren!
Teller: Danke schön!
Bürger: "Krieg. Stell dir vor, er wäre hier", so heißt das neue Buch für Jugendliche ab zwölf. Es ist im Hanser-Verlag erschienen, 64 Seiten, gebunden wie ein Reisepass, kosten 6,90 Euro. Und Janne Teller ist damit gerade auf Lesereise in Deutschland. Sonnabend wird sie bei der lit.Cologne in Köln sein, Montag in Göttingen und Dienstag in Hamburg.
Links bei dradio.de:
Die Faszination der Grausamkeit
Janne Teller: "Nichts. Was im Leben wichtig ist", Carl Hanser Verlag, München 2010, 140 Seiten