Lesley Nneka Arimah: "Was es bedeutet, wenn ein Mann aus dem Himmel fällt"
Aus dem Amerikanischen von Zoë Beck
CulturBooks Verlag, Hamburg 2019, 197 Seiten, 20 Euro
Rebellische Heldinnen
05:25 Minuten
Sie sind wild, rebellisch und müssen sich in einer feindseligen Welt behaupten: Starke Frauen stehen im Zentrum von Lesley Nneka Arimahs stilistisch extrem vielseitigen Erzählungen. In den USA erhielt sie dafür viel Lob und Preise.
Es gibt eine neue Stimme aus Nigeria, dem zur Zeit bedeutendsten afrikanischen Produktionszentrum für Weltliteratur: Lesley Nneka Arimah, als Tochter nigerianischer Eltern 1983 in London geboren, aufgewachsen teils in den USA, teils in Nigeria, mit Studienabschlüssen dreier amerikanischer Universitäten und derzeit in Minneapolis ansässig. Als Arimah 2017 mit dem Erzählungsband "Was es bedeutet, wenn ein Mann aus dem Himmel fällt" debütierte, wurde sie in den USA mit Lob und mit Preisen überschüttet.
Große stilistische Vielseitigkeit
Zu Recht: Ihre Sammlung von zwölf Erzählungen, die jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt, führt die ganze Bandbreite der literarischen Genres und stilistischen Register vor, über die Lesley Arimah verfügt. Das reicht vom psychologischen Realismus ihrer Storys über migrantische, zwischen Nigeria und den USA pendelnde Familien bis hin zu surrealen, dystopischen Parabeln, phantastischen Götter-Mythen und Experimenten mit Magischem Realismus.
Arimah lässt beispielsweise archaische, animistische Praktiken in ihrem Erzähl-Kosmos wiederaufleben. Die Geister von Toten suchen die Lebenden heim, und Puppen werden lebendig. So verfällt eine junge Afrikanerin in ihrer verzweifelten Sehnsucht nach einem Kind auf ein magisches Ritual: Sie formt einen Baby-Fetisch aus Garn, Wolle, Papier, Stroh oder Haaren, um ihm von einer mächtigen Mutterfigur Leben einhauchen zu lassen. Diese zapft als Gegenleistung für ihren Segen bei ihrer Kundin die Gefühle von Freude und Glück ab, die ihr selbst fehlen.
Arimah lässt beispielsweise archaische, animistische Praktiken in ihrem Erzähl-Kosmos wiederaufleben. Die Geister von Toten suchen die Lebenden heim, und Puppen werden lebendig. So verfällt eine junge Afrikanerin in ihrer verzweifelten Sehnsucht nach einem Kind auf ein magisches Ritual: Sie formt einen Baby-Fetisch aus Garn, Wolle, Papier, Stroh oder Haaren, um ihm von einer mächtigen Mutterfigur Leben einhauchen zu lassen. Diese zapft als Gegenleistung für ihren Segen bei ihrer Kundin die Gefühle von Freude und Glück ab, die ihr selbst fehlen.
Rebellisch und frech
Allen Erzählungen gemeinsam ist eine dezidiert weibliche Perspektive und ein ganz eigentümlicher aufsässiger Grundton, eine Stimmung von kaum gezügelter, jederzeit ausbruchsbereiter Wildheit. Nicht nur in den Familiengeschichten, auch in den afrikanischen Phantasien liegt der Fokus auf den Töchtern – eigensinnigen Mädchen und bockigen jungen migrantischen Frauen, die sich in einer unfreundlichen, oft sogar feindseligen Welt behaupten müssen, in der, was nicht passt, passend gemacht wird.
Dagegen wehren sich die Heldinnen – trotzig und widerborstig im Aufbegehren gegen den Erwartungsdruck der Familien, namentlich gegen die Bravheitsdressur der Mütter. Sie kämpfen darum, ihr inneres Feuer zu schützen. Im Zweifel würden sie ein kühnes und schwieriges einem angepassten Leben immer vorziehen.
Verletzliche Heldinnen
Ihren Schmerz, ihre Angst und Trauer über die Lieblosigkeit und Bosheit der Welt verbergen die Heldinnen hinter rebellischer Verstocktheit und frechem, störrischem Gehabe. Sie sträuben sich gegen das Verheiratet-Werden, sehnen sich aber insgeheim doch nach dem Richtigen. Sie liegen im Dauer-Clinch mit ihren Müttern, um abzulenken von ihrer Sehnsucht, geliebt zu werden.
Hinter ihrer zur Schau getragenen Biestigkeit und ihren ostentativ groben Manieren steckt ein heimliches Verlangen nach Wohlgelittenheit. Ein Schlüsselsatz in der letzten Erzählung des Bandes trifft auf die meisten Geschichten zu: "Mädchen mit Feuer im Leib werden gezwungen, aus dem Brunnen der Züchtigung zu trinken, bis die Flammen erlöschen."
Lagos als Schauplatz der Erzählungen
Häufiger Schauplatz dieser Storys ist die Wirtschaftsmetropole Lagos, mit ihrer Party-Szene und ihren Charity-Events. Hinter dem Glamour lässt Arimah aber auch die blutige Vergangenheit Nigerias, die Erinnerung an den Biafra-Krieg, immer wieder aufblitzen.
Das Setting der meisten Geschichten ist die Rumpf-Familie, und Arimah hat eine drastische Art, ihre jungen Heldinnen zu Halbwaisen zu machen. Ein schwerer Autounfall ist ihr Mittel der Wahl, um die Mädchen kurzerhand eines Elternteils zu berauben und ihr Grundvertrauen auf einen sicheren Halt im Leben zu erschüttern.
Komplexe Beziehungen zwischen Frauen
Die Väter sind zumeist weg – abgehauen, auf Arbeit im Ausland oder verunfallt –, wodurch sich die Hauptkonfliktzone auf das problematische Verhältnis zwischen Müttern und Töchtern verlagert und – damit verfilzt – auf die komplexe Dynamik weiblicher Freundschaften. Schlimm, wenn eine Witwe mit ihren Töchtern im Haushalt ihrer wohlhabenden Schwester unterkriechen muss, wo sie wie Dienstboten behandelt werden.
Auch vor der dämonischen Abgründigkeit bösartiger Mutterfiguren schreckt Lesley Arimah nicht zurück. In der Erzählung "Fallobst" lässt eine zynische Mutter ihr Töchterchen in Supermärkten absichtlich ausrutschen und sich im Sturz verletzen, um von den Firmen Schmerzensgeld wegen Fahrlässigkeit zu kassieren.