Lesung "Atemprotokolle"
Eine Coronastation © picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow
Über Leben und Sterben mit Covid-19
10:04 Minuten
Mehrere Tage war die Theaterfrau Miriam Tscholl im vergangenen Dezember auf einer Intensivstation. Dort erfuhr sie, was Covid-19 im Klinikalltag bedeutet und was die Krankheit mit den Menschen macht. Nun erscheinen die Gespräche als Lesung.
Was geht in Menschen vor, die jeden Tag auf einer Covid-19-Station arbeiten? Acht Tage lang hat Miriam Tscholl Anfang Dezember 2021 Gespräche auf der Intensivstation der Nürnberger Klinik geführt, wo ihr Schwager als Seelsorger arbeitet.
Eigene Eindrücke sammeln
In den teils langen Gesprächen mit dem Klinikpersonal, mit Angehörigen von Verstorbenen und mit Genesenen sind insgesamt 500 Seiten Material geworden. Daraus entstand die Lesung „Atemprotokoll“, die in den Münchner Kammerspielen zu sehen ist. Sieben Schauspieler begleitet von einem Akkordeonspieler tragen Teile der Interviews vor.
Anstoß für das Projekt gab ein Gespräch mit ihrem Schwager, berichtet die Theaterfrau. Er habe erzählt, welche Eindrücke die Arbeit auf der Intensivstation bei ihm hinterließen. Weil sie viel dokumentarisch arbeite, habe sie das sehr interessiert.
Wohin mit der Wut?
Bei vielen Gespräche kam das Thema Wut auf. Denn bei dem Klinikpersonal habe es nach mehreren Coronawellen, die immer schlimmer wurden, eine Form der Resignation gegeben. Dadurch kam die Frage auf, wie mit der aufkommenden Wut umgegangen werden könnte. Denn dieses Gefühl passe nicht so recht zum Berufsethos, für alle da zu sein und zu helfen.
Hinzu kam die Auseinandersetzung über Impfungen. So habe es rund zehn Prozent der Patienten bzw. deren Angehörigen gegeben, die die Pflegenden auf der Station beschimpft oder bedroht hätte. Das sei eine sehr anstrengende Situation gewesen. „Das war ein schwieriges Thema für das Klinikpersonal“.
Trotz Leid auch Lachen
Bei der Lesung gebe es aber nicht nur traurige, sondern auch witzige Momente, unterstreicht Tscholl. „Da, wo viel Sterben ist, da ist auch viel Leben“, so die Theatermacherin. Sie habe bei ihrer Zeit auf der Station sowohl mit Pflegenden wie auch Angehörigen gelacht.
Sie selbst habe die Arbeit an den „Atemprotokollen“ demütiger gemacht, erläutert Tscholl. Sie gehe auch davon aus, dass es der Gesellschaft etwas bringe, wenn man sich gegenseitig zuhöre. „Fragen stellen ist für mich das Gegenteil von Beschimpfen.“
(rzr)