Lettischer Dirigent

Zwei sechste Symphonien

Mariss Jansons beim Neujahrskonzert 2012 in Wien.
Mariss Jansons beim Neujahrskonzert 2012 in Wien. © picture alliance / dpa / Herbert Neubauer
Von Haino Rindler |
Der Lette Mariss Jansons gilt als einer der bedeutendsten lebenden Interpreten russischer Musik. Für die Aufnahme der 13. Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erhielt er 2006 einen Grammy für die beste Orchesterleistung. Und nun legt er mit einer spannenden Gegenüberstellung nach: die beiden 6. Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch und Peter Tschaikowsky.
Wie vor einem Rätsel saßen die Zuhörer, als sie 1893 der Uraufführung in St. Petersburg lauschten. Denn das Ende, der Schluss von Tschaikowskys Pathetique war ungewohnt düster und still – kein heroisches Dur, sondern nachtschwarze h-Moll-Klänge verebben im Nichts. Todesahnungen des Komponisten? Diese Erklärung fand man erst später, als Tschaikowsky wenige Wochen nach der Uraufführung gestorben war.
Später tauchten etliche Deutungen auf - bis hin zu seiner unterdrückten Homosexualität. Fest steht, es ist eine Seelenbeichte, die für uns ein Rätsel bleiben sollte.
Dem Orchester viele schöne Farben entlocken
Mariss Jansons - das zeigt sich auch wieder an dieser Einspielung - ist ein Dirigent, der dem Orchester viele schöne Farben entlocken kann: die warmen weichen Streicher bei Tschaikowsky, die schrillen grotesken Holzbläser bei Schostakowitsch. Seine Interpretationen verfügen über einen doppelten Boden, eine trügerische Ebene, die bei Tschaikowsky bereits im Walzer die Todesahnung anklingen lässt, bei Schostakowitsch die Maskerade der rohen Beschwingtheit gar als Fratze überhöht.
Schostakowitschs 6. fand im gleichen Saal vor anderem Publikum statt. Dieses Publikum verstand sein Werk auch nicht, aber es reagierte eben nicht wie bei Tschaikowsky mit Ratlosigkeit, sondern mit tosendem Applaus.
Label: BR-KLASSIK
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