Lettland

Große Scheine, wenig Begeisterung

In einem Rigaer Geschäft: Seit dem 1. Januar 2014 wird in Lettland mit dem Euro bezahlt.
In einem Rigaer Geschäft: Seit dem 1. Januar 2014 wird in Lettland mit dem Euro bezahlt. © picture alliance / dpa / Foto: Valda Kalnina
Von Tim Krohn |
Nur ungern hatten sich die Letten von ihrem Lat getrennt. Die Einführung des Euro wurde als pragmatische Notwendigkeit angesehen. Dabei zeigt die Währungsumstellung bereits Wirkung - die Wirtschaft wächst wieder. Doch die Menschen stehen dem neuen Geld skeptisch gegenüber.
Anitas Hände riechen nach Fisch und Dill, nach Speck und Kräutern. Die 78-Jährige hat einen kleinen Stand auf dem Zentralmarkt in Riga. Allzu viel los ist heute nicht. Schlecht fürs Geschäft, meint sie, aber immer gut für ein Schwätzchen.
"Den Lauch hier verkaufe ich für zwei Euro. Aber die Menschen hier greifen nicht zu, dabei ist das doch ein guter Preis. 20 Cent für hundert Gramm, das ist doch billig!“
Anita kramt einen ganzen Haufen Cent-Münzen aus ihrer Kitteltasche und schüttelt mit dem Kopf.
"Ich finde es nicht gerade leicht mit dem Euro. Hier, die dunklen kleinen Kopeken oder Centmünzen oder was, die sind mal größer mal kleiner. Meine Güte, ich bin 78. Damit komme ich nicht klar!“
Es gebe viel zu viele kleine Münzen, bestätigen Anitas Kunden. Und die Euro-Scheine, meine Güte, viel zu große, sperrige Lappen seien das doch!
Kundin: "Ja, ich habe mir schon ein größeres Portemonnaie gekauft, das braucht man für den Euro. Unser Geld, der Lat, war ja viel kleiner. Jetzt hast du das Portemonnaie voll, man denkt sich schon ´Wow! Hab ich viel Geld!` Aber wenn du dann alles bezahlst, ist es doch wieder halb leer."
Sindija, die mit dem neuen Portemonnaie, kauft ein bisschen Lauch und Spargel, spanische Erdbeeren und polnische Tomaten.
"Ein bisschen anders ist das schon. Ich rechne immer noch um und gucke, wie viel das denn in Lat wäre. Ständig ist man dabei, mit dem Kopf alles auszurechnen. Aber wir werden uns schon noch daran gewöhnen. Es kommt einem jetzt alles viel teurer vor. Aber wenn man die Preise in Lat umrechnet, merkt man schnell: es ist alles ein und dasselbe.
Euro gleich Teuro?
Die Preise in Euro sind gerne mal aufgerundet. Aber dass der Euro ein Teuro sei, darüber gehen die Meinungen hier weit auseinander.
Irina, Verkäuferin: "Teurer! Viel teurer ist das Leben geworden. Schauen Sie, ich bin eben einkaufen gegangen, nur Quark und Sahne und 13 Euro waren im Nu weg. Das spürt man schon, denn das ist das Geld, das ich heute verdient habe. Dabei habe ich nun wirklich nichts Besonderes gekauft. Die Preise für die Alltagsprodukte sind definitiv teurer geworden. Für ältere Menschen wird das schwierig! Über Käse zum Beispiel will ich gar nicht erst sprechen. Das sind Wahnsinnspreise."
Lidija, Kundin: "Ach, das ist doch kein Problem ... Egal, auch wenn die unsere Währung das fünfte Mal wechseln würden, kein Problem, muss man halt rechnen. Viermal haben wir schon neues Geld bekommen, oder? Wir hatten die Rubel zu Sowjetzeiten, dann das russische Übergangsgeld, dann den Lat und jetzt den Euro... viermal!“
Lidija ist eine typische Lettin: macht alles mit, erträgt es in geradezu stoischer Ruhe. Vor einem Vierteljahrhundert begann der Zerfall der Sowjetunion, dann kam die Unabhängigkeit, das zähe Ringen ums Überleben. Vor zehn Jahren ging es in die EU. Lettland erlebte einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung
und dann ging doch wieder alles schief. Es kam der Crash, der drohende Staatsbankrott. Lettland hing am Tropf des Internationalen Währungsfonds.
Jeder fünfte Einwohner verlor seinen Job, jeder Zehnte ging dauerhaft ins Ausland. Und trotzdem:
Sandra Kalniete: "Es gibt so ein Sprichwort bei uns: man sollte nicht zu viel und nicht zu heiß davon essen! Wir laufen nicht mit geballten Fäusten durch die Straßen und verdammen gleich die ganze Welt. Die Letten haben einfach die Zähne zusammengebissen und sind sehr geduldig durch diese Krise gegangen. Mit wirklich großen menschlichen Opfern.“
Konsequent die Krise überwunden
Sandra Kalniete war damals Außenministerin und EU Kommissarin. Sie ist stolz darauf, was ihre Landsleute in den fünf Jahren seit der Krise geschafft haben. Der Euro, meint sie, sei der gerechte Lohn dafür. In der deutsch-baltischen Handelskammer in Riga knallen schon die Korken. Kammervorstand Maren Diale Schellschmidt hat zum Empfang geladen – zehn Jahre EU und die Einführung des Euro wollen gefeiert werden. Laut ist es hier und beinahe euphorisch. Denn alles bisher scheint geglückt zu sein.
Maren Diale Schellschmidt: "Lettland hat ganz schnell und konsequent die Krise überwunden. Ich freue mich, dass wir wieder Wachstum haben. Nach den ersten Monaten sind wir begeistert. Sowohl organisatorisch als auch von der Stimmung ist alles glatt gelaufen... Lettland wird in D wieder mehr wahrgenommen. Das merken wir als Kammer auch schon an den Anfragen. Viele in Deutschland nehmen die Euroeinführung als letztes Signal, dass Lettland endgültig ein Teil von Westeuropa ist. Und dann kommt das Interesse von deutschen Unternehmen und das ist schön."
Die neuen Zahlen der Deutsch-Baltischen Handelskammer machen Mut. Der Privatkonsum in Lettland wird zum neuen Wachstumsmotor. Die wirtschaftliche Entwicklung liegt wieder über dem EU-Durchschnitt. Weit über die Hälfte der befragten Unternehmer rechnet sogar damit, dass sich die wirtschaftliche Lage noch weiter verbessert. Der baltische Tiger, wie er früher einmal genannt wurde, hat neue Zähne bekommen.
Jan Brink: "Im Nachhinein weiß man das jetzt natürlich, dass die Leute hier sehr anpassungs- und leidensfähig und willig sind. Deshalb ist Lettland so schnell wieder auf die Beine gekommen. Lettland wird wieder wahrgenommen, auch als Investitionsziel.“
Jan Brink ist ein deutscher Immobilienunternehmer in Riga. Auch er ist sich sicher, dass Lettland durch die neue Währung nur profitieren wird. Und sie tut es schon längst.
"Die tatsächlichen Auswirkungen auf die Wirtschaft sind gar nicht so groß, weil Lettland den Euro eigentlich schon vor der Einführung eingeführt hatte. So viele Verträge waren in Euro abgeschlossen und der Lat war an den Euro gekoppelt. Es ist also mehr ein psychologischer Punkt jetzt.“
Mit der Psychologie aber ist es bekanntlich so eine Sache. Der Song dieses Frühjahrs ist dieser hier: "Danke, kleiner Lat" wird da gesungen.
Die Letten haben den Lat geliebt. Mit dem Euro fremdeln sie noch. Der Abschied vom ersten eigenen Geld tut immer noch weh. Der Euro, das räumen alle im Land ein, war eine rein pragmatische Entscheidung.
Galina, Verkäuferin: "Der Lat, das war unser eigenes Geld. Aber das hier... das ist fremd, das ist nicht unser Geld. Also gebt uns den Lat zurück. Wir sollten dafür demonstrieren. Wir wollen alle den Lat zurück, bitte!“
Galina, die russisch-stämmige Verkäuferin auf dem Zentralmarkt in Riga, weiß ganz genau: niemand wird auf sie hören. Der Euro wird bleiben.
NATO, EU und Westanbindung empfinden die Letten inzwischen als eine Art Lebensversicherung gegenüber dem großen Nachbarn aus Russland. Gerade jetzt während der Krise in der Ukraine. Nicht nur deshalb sind die Skeptiker im Land erstaunlich ruhig geworden. In Riga öffnen in diesem Jahr immer mehr Bau- und Möbelmärkte, ein symbolisch wichtiges Zeichen. Denn wer sich neu einrichtet, sagen die Menschen, dem geht es gut.
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