Für den Euro, aber gegen Einwanderer?
In Lettland sperren sich viele Bürger gegen die Aufnahme von Mittelmeer-Flüchtlingen. Dabei sollen nur 250 Menschen untergebracht werden. Hinter den Ressentiments steckt auch das lettische Trauma, im eigenen Land lange zu einer Minderheit gehört zu haben.
Lettlands Flüchtlingspolitik ist ein heißes Eisen, von einer Befragung im Parlament wollte Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma deshalb nichts wissen. 250 Flüchtlinge ist ihr Land bereit aufzunehmen, doch dem Koalitionspartner "Nationalen Vereinigung" und der Opposition sind selbst so wenige zu viel.
Janis Dombrava vom Parlamentskomitee für Außenpolitik äußert die Bedenken der Gegner:
"Ich habe eine Zahl gehört von 250, ohne weitere Erklärung und ohne, dass das Parlament gefragt worden wäre. Handelt es sich um die Gesamtzahl oder muss man noch Familienangehörige dazurechnen? In Lettland hat es eine "historische Immigration" gegeben. Kein einziges Land in Europa hat eine solche Immigration erlebt wie Lettland und Estland und deswegen kann von der Aufnahme neuer Immigranten keine Rede sein."
Von den 60.000 Flüchtlingen, die die EU-Kommission auf die Mitgliedsländer verteilen möchte, will Estland 150 Personen aufnehmen. 100 weniger als Lettland. Der Chef der Lettischen Regionalen Vereinigung, Martinsch Bondras, warnt vor den angeblichen Risiken, die von den Asylsuchenden ausgehen könnten.
"Flüchtlinge aus Nordafrika und aus dem Nahen Osten können Verbindungen zum IS haben, dem Islamischen Staat, der seine schrecklichen Verbrechen auch bei uns verüben könnte. Und dann gibt es auch gesundheitliche Risiken, verschiedene Virusarten."
Mehr als drei Viertel sehen eine sehr große oder große Gefahr
Die Mehrheit der Letten wehrt sich gegen die Flüchtlinge, haben Arnis Kaktinsh und sein unabhängiges Umfrage-Institut SKDS gemessen. Mehr als drei Viertel sehen eine sehr große oder große Gefahr, die von Immigranten ausgeht. Ängste, die auf die sowjetische Okkupation zurückzuführen seien.
"Wenn man sich die ethnische Zusammensetzung in der Hauptstadt Lettlands, in Riga, anschaut, dann ist es so, dass 54 bis 56 Prozent der Bevölkerung Letten sind, also eine hauchdünne Mehrheit. Deswegen der Widerstand: Es ist das Bewusstsein, dass man sehr leicht wieder zu einer Minderheit werden kann."
Bis vor 20 Jahren gab es in Lettland zusammengenommen mehr Russen, Weißrussen und Ukrainer als Letten. Das Trauma, im eigenen Land zu einer Minderheit zu schrumpfen, sei nicht verheilt.
"Die Letten sehen in den Russischstämmigen immer noch Fremde, die Integration ist ein schmerzhafter Prozess, wegen des Traumas der Okkupation. Noch immer will rund die Hälfte der Letten die Russen nicht akzeptieren."
Selbst die Russischstämmigen sind noch Fremde
Die bislang von vielen Letten als Okkupanten geschmähten Russischstämmigen müssen für die Ablehnung von Flüchtlingen herhalten. Für Elizabete Krivcova, Sprecherin des Kongresses der Nichtrussen eine neue Demütigung.
"Dass ethnische Herkunft hier eine Rolle spielen kann, ist ein Skandal meiner Meinung nach. Aber das zeigt, warum wir hier über Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung sprechen. Das ist dieser Ideologische Hintergrund. Ethnische Letten sind sozusagen Staatsvolk und alle anderen haben weniger Wert, weil sie geschichtlich nicht zu Lettland gehören. Dass die Leute das nicht verstehen, dass sie was sie sagen rein rassistische Aussagen sind, das schockiert mich."
Die Letten wissen, dass sie sich unsolidarisch verhalten, obwohl sie doch von den westlichen Bündnissen mehr denn je überzeugt seien, sagt der Soziologe Arnis Kaktinsch.
"Der Beitritt zur EU, zur Euro-Zone, zur NATO – all das wird als Sicherheitspolitik begriffen, um engere Verbindungen zur westlichen Welt zu bekommen. Denn die Geschichte hat uns gelehrt, dass Russland früher oder später wieder gefährlich wird. Selbst jetzt in der Griechenlandkrise ist eine große Mehrheit für den Euro und nicht für eine eigene Währung, die gefährdet wäre."
Statt offensiv für die Flüchtlinge und einen größeren Solidaritätsbeitrag Lettlands zu werben, will die Regierung in Riga die Diskussion ersticken.