Letzte-Hilfe-Kurse

Wie wir Sterbende gut begleiten

08:29 Minuten
Die Hand einer jungen Person berührt den Fuss einer alten Person.
Leiden lindern und Sinnfragen besprechen: "Letzte-Hilfe-Kurse" geben Hinweise für eine gute Begleitung am Lebensende. © Getty Images / Halfpoint Images
Von Stefanie Oswalt |
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Erfahrung mit der Begleitung von Sterbenden hat hierzulande kaum noch jemand. Weil immer weniger Menschen in Großfamilien leben, ging viel Wissen verloren. Von einem Palliativmediziner entwickelte "Letzte-Hilfe-Kurse" sollen etwas davon zurückgeben.
Seniorenzentrum Köpenick in Berlin-Friedrichshagen, an einem Freitagnachmittag im Oktober. Die Sonne fällt mild durch die gelb leuchtenden Blätter der Platanen vor den großen Fenstern im Glasfoyer. Zwei ältere Herren und vier Damen mittleren Alters schauen erwartungsvoll auf das Arrangement aus Blumen und brennender Kerze, das in der Mitte des Stuhlkreises aufgebaut ist.

Der Tod wühlt Menschen auf

Geradezu fröhlich begrüßen Doris Bandermann und Alesya Brunner vom ambulanten Hospizdienst die kleine Gruppe. Sie wollen den Anwesenden so die Annäherung an das Thema leichter machen, denn wie sehr die Menschen der Tod aufwühlt, wird sogleich deutlich. Eine Kursteilnehmerin erzählt:
„Ich hadere schon ganz lange mit mir, dass ich diesen Kurs mache. Ich wurde sehr oft mit dem Tod konfrontiert, viel zu früh im Leben, wie gesagt: mit meiner Mutti mit zwölf. Vor zehn Minuten war die Welt noch in Ordnung, und ne halbe Stunde später...“.
Die Teilnehmenden bleiben anonym. Jeder hier hat schon Menschen in den Tod begleitet oder kümmert sich um Schwerkranke. Gemeinsam ist ihnen die Hilflosigkeit und ein Bedauern darüber, dass es in der heutigen Gesellschaft wenig Auseinandersetzung mit dem Tod gibt. Das beobachtet auch die Krankenschwester Ulla Rose vom mobilen Pflegedienst "Home Care Berlin".

Beim Leben in der Großfamilie gehört das Sterben dazu: Wenn die Großeltern mit in der Familie leben, erleben schon die Enkelkinder, wie die Großeltern sterben. Das ist zu der Zeit auch wenig angstbesetzt gewesen.

Ulla Rose, Krankenschwester

Doch das über Jahrhunderte und Jahrtausende tradierte Wissen ging verloren, sagt Rose, "weil die jungen Familien vielleicht in die Stadt zogen, die Eltern zum Teil allein starben und die Familien, die dann städtisch lebten, überhaupt keine Anbindung mehr an diesen Prozess hatten." Deshalb sei es notwendig, das eigentlich schon lange vorhandene Wissen heute wieder neu in die Gesellschaft zu tragen.

Sterben als Teil des Lebens

Rose bietet den von dem Flensburger Palliativmediziner Georg Bollig entwickelten Kurs mit vier Modulen immer wieder an. „Das erste Modul soll bewusst machen, dass Sterben ein Teil des Lebens ist - und zwar ein natürlicher Teil des Lebens“, erläutert Rose.
Im zweiten Modul geht es um Vorsorge und Entscheidungen. Hier wird erklärt, was eine Patientenverfügung ist und was bei einer Vorsorgevollmacht berücksichtigt werden muss. Die Kursteilnehmer und -teilnehmerinnen sollen überlegen, was auch ihnen selbst in einer Sterbesituation wichtig wäre. Im dritten Modul geht es darum, Leiden zu lindern, erklärt Rose.

In der Palliativmedizin geht es nicht mehr darum, das Leben zu verlängern. Es ist klar: Man kann nicht mehr kurativ agieren. Das heißt, all die Leiden, die ein Sterbender unter Umständen hat, kann man durch ärztliche oder pflegerische Maßnahmen gut lindern.

Ulla Rose, Krankenschwester

Im Kurs lernen die Teilnehmenden klassische Medikamente der Palliativ-Versorgung kennen, so Rose. Es gehe aber auch um die Frage: "Was kann ich selbst tun, bevor ich überhaupt mit Medikamenten anfange?"
Es ist dieser Punkt der Leidenslinderung, bei dem auch das Thema Spiritualität ins Spiel kommt. Denn der Kurs möchte für die Bedürfnisse der Sterbenden sensibilisieren und dazu gehört eben auch, sich auf mögliche spirituelle Nöte einzulassen.

Eine späte Sehnsucht nach Gott

„Die Spiritualität spielt schon deshalb eine große Rolle, weil sich am Ende des Lebens immer Sinnfragen stellen", sagt Rose. "Der Sinn nach schwerer Krankheit, der Sinn nach frühem Tod, der Sinn nach Einsamkeit, der Sinn nach Leid. Alles das sind Fragen, die den Betroffenen natürlich bewegen, aber auch diejenigen, die zurückbleiben.“
Alesya Brunner nennt ein Beispiel: "Ein gläubiger Mensch fängt an, mit Gott, mit seinem Glauben zu hadern, wenn er krank wird, und sagt: Ich bin immer zur Kirche gegangen, ich war immer in der Gemeinde aktiv, ich habe immer meinem Nachbarn die Taschen hoch getragen, und jetzt werde ich so bestraft.“
Doris Bandermann sagt, auch im vermeintlich säkularen Osten Deutschlands breche bei alten Menschen am Ende des Lebens oft eine Sehnsucht nach Gott auf. Sie frage sich dann: „Wartest du noch auf jemanden? Und dann gehen wir alles nochmal durch, und dann gucken wir, wer könnte es denn sein. - Aber manchmal sagen die auch: Bete doch mit mir.“

Frühzeitig mit dem Abschied auseinandersetzen

Oft könnten die Sterbenden erst loslassen, wenn sie von einem Pfarrer einen Segen erhalten haben, beobachtet Bandermann. Rose nennt als Sterbebegleiterin und interkulturelle Seelsorgerin noch einen anderen Aspekt. Die Gabe von Medikamenten werde nämlich in den Religionen unterschiedlich interpretiert:
„Im Islam gibt es zum Beispiel das Gebot, dass man rein vor Gott treten muss. Wenn ein Schwerstkranker Morphine bekommt, ist die Frage: Wie geht die Familie damit um? Betrachtet sie dies Morphin als Droge? Dann tritt der Sterbende nicht rein vor Gott. Oder können sie abstrahieren, dass es als Schmerzmittel eingesetzt wird? Dann ist es kein Problem.“
Solche Aspekte muss man kennen, um Sterbenden gut zur Seite stehen zu können. Im Letzte-Hilfe-Kurs greifen Wissensvermittlung und Verarbeitung persönlicher Erfahrungen und Ängste ineinander – auch beim vierten und letzten Modul.
Dort gehe es darum, sich mit dem Abschied zu befassen, und zwar schon, bevor der Abschied anfängt, erklärt Rose. "Die Trauer setzt schon ein, wenn mir klar ist: Der Mensch, den ich liebe oder begleite, stirbt. Die Trauer setzt ja nicht erst mit dem Versterben ein."

Abschiedsritual am Ende des Kurses

Nach über vier Stunden sind alle vier Module zumindest angerissen. Das Thema ist längst noch nicht erschöpft, aber alle fühlen sich dankbar und bereichert. Sie wollen sich weiter mit dem Thema beschäftigen.
„Es war sehr gut, vor allem hilfreich und vor allem eine sehr gute Information, wie man das eventuell nachmachen kann“, resümiert ein Teilnehmer. "Sehr aufschlussreich", sagt eine andere Teilnehmerin nach dem Kurs, "Sehr wichtig, damit umzugehen und den Tod, das Sterben zu verstehen.“
Beim Abschiedsritual am Ende des Kurses notieren alle einen Wunsch für sich selbst und einen verstorbenen Angehörigen auf einem Stück Teefilter. Angezündet schweben die Minilampions einen Augenblick durch die Luft, bevor sie verglühen. Dann werden noch Zertifikate für die erfolgreiche Kursteilnahme verteilt, bevor es in die kühle Herbstnacht hinausgeht.

"Letzte Hilfe Deutschland" ist ein gemeinnütziges Unternehmen und bietet bundesweit Kurse für die Begleitung Sterbender an.

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