Abschieben nach Ruanda
Die neuen Unterkünften im Camp Gashora. Hier können traumatisierte Geflüchtete erst einmal zur Ruhe kommen. © picture alliance / empics / Victoria Jones
Briten und Dänen planen Modellversuch
27:14 Minuten
Schon länger verfolgt die britische Regierung den Plan, illegal ins Land eingereiste Migrant*innen in das ostafrikanische Ruanda abzuschieben. Schon jetzt finden Migranten in Ruanda Zuflucht, die in Libyen misshandelt wurden.
Das Flüchtlingszentrum Gashora wirkt auf den ersten Blick fast wie ein normales Dorf, wenn nicht der hohe Zaun drum herum wäre und die Wege nicht ganz so akkurat angelegt wären. An ihnen entlang ziehen sich kleine Häuser, die meisten aus roten Steinen gemauert. Auf Wäscheleinen flattern T-Shirts und Hosen. Kinder rennen auf dem Sportplatz einem Ball hinterher.
Es ist eine künstliche kleine Welt, die hier in Ruanda angelegt wurde, um Flüchtlingen ein Zuhause auf Zeit zu bieten. Etwa 600 Menschen leben momentan in Gashora. Lilly Carlisle vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen führt Besucher über das Gelände. “ETM steht für Emergency Transit Mechanism. Das Zentrum wurde im September 2019 eröffnet, einige Zeit, nachdem schon eine ähnliche Einrichtung im Niger in Betrieb genommen wurde", erklärt sie. "Hier sollen Asylsuchende unterkommen, die aus Libyen in Sicherheit gebracht wurden. Es ist eine Übergangslösung. Die Menschen werden nur hierher gebracht, wenn sie das wollen.“
Die Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Libyen sind grausam. Sie werden in Gefangenenlagern gequält und vergewaltigt. Vor fünf Jahren berichtete der Nachrichtensender CNN zudem über regelrechte Sklavenmärkte, auf denen die Menschen versteigert wurden. Die Europäische Union zeigte sich entsetzt. Seit Jahren hatte sie die libysche Küstenwache unterstützt, um Flüchtlinge daran zu hindern, über das Mittelmeer zu kommen. Doch solche Berichte konnten nicht mehr ignoriert werden. Die EU suchte nach einer Lösung, um die Menschen aus Libyen rauszuholen, ohne sie nach Europa reinzubringen. Da bot sich Ruanda an.
Rettung aus Libyen
„Das Zentrum ist entstanden, weil Ruandas Regierung sich dazu verpflichtet sah, bei der Lösung dieser Krise zu helfen", sagt Lilly Carlisle, "vor allem, weil viele der Flüchtlinge ursprünglich vom Horn von Afrika kommen.” In Gashora stammen die meisten Menschen aus Eritrea, dem Sudan und Somalia.
Mittags versammeln sich alle in einer Halle mit einer langen Theke für die Essensausgabe. Die Auswahl ist reichhaltig: Gemüse, Fleisch, Reis, Spaghetti. „Die Menschen, die hier leben, sind von humanitärer Hilfe abhängig. Alles wird für sie bereitgestellt. Um die Versorgung kümmert sich das UNHCR zusammen mit einigen Partnerorganisationen.“
Spontane Interviews sind hier nicht möglich. So gut wie alle Flüchtlinge haben traumatische Erfahrungen gemacht, die längst nicht verarbeitet sind. Eine falsche Frage könnte Wunden schnell wieder aufreißen. Doch einige haben sich bereit erklärt, ihre Situation zu schildern. Eine Frau, die hier Abrihet heißen soll, wartet in ihrer kleinen Unterkunft.
Die Leidensgeschichte ist lang
Sie ist erst vor ein paar Wochen angekommen, zusammen mit ihrem Sohn und zwei Töchtern. Ihr Heimatland ist Eritrea. Dort konnte sie nicht mehr bleiben, nachdem ihr Mann den Dienst beim Militär aufgeben wollte. Er wurde als Verräter festgenommen und inhaftiert. Seitdem hat sie nichts mehr von ihm gehört.
Abrihet hatte Angst, dass auch ihr und den Kindern etwas passieren könnte. Außerdem hatte die Familie kein Einkommen mehr. Darum packte sie ihre Sachen. „An den Straßensperren in Eritrea haben sie uns noch durchgelassen, weil ich gesagt habe, dass wir Familie besuchen wollten", sagt Abrihet. "Aber mir war klar, dass ich nicht ohne Hilfe in den Sudan kommen würde. Darum habe ich einen Menschenschmuggler engagiert.“
Sie wurde über die Grenze in das Nachbarland gebracht. Aber dann lief alles nicht mehr wie vereinbart. „Wir dachten, dass sie uns in ein Flüchtlingslager bringen. Stattdessen haben sie uns an einem anderen Ort über einen Monat festgehalten. Sie wollten mehr Geld als vereinbart. Dann kamen plötzlich Autos, auf deren Ladefläche sie uns geschmissen haben. Wir wurden nach Libyen gefahren.“
Ruanda als Zwischenstation
So ähnlich wie sie erleben es viele Flüchtlinge. Verschleppt nach Libyen, wo sie dann von einem Gefangenenlager in das nächste weitergereicht werden. Abrihet wurde schon im Sudan das erste Mal vergewaltigt. In Libyen ging ihre Tortur weiter. „Es war nie mein Plan, dorthin zu gehen", sagt sie. "Ich wollte Eritrea verlassen, weil mein Mann verhaftet wurde. Außerdem ist eine meiner Töchter krank. Ich wollte einfach nur irgendwo Hilfe finden.“
Sie muss das Interview für einige Zeit unterbrechen, weil die Gefühle sie überwältigen. Später erzählt sie noch, wie froh sie war, als das UNHCR ihre Ausreise nach Ruanda möglich machte. Hier gehe es ihnen allen viel besser. „Ich habe wieder Hoffnung. Wir sind jetzt noch nicht so lange hier, aber vielleicht haben wir die Chance, in ein anderes Land gebracht zu werden und dort ein glückliches Leben zu führen.“
Niemand will hier bleiben
Insgesamt etwa 1300 Menschen sind bisher in das Zentrum in Ruanda gebracht worden. Knapp die Hälfte von ihnen hat Asyl in einem anderen Land erhalten. Aufnahmeländer sind zum Beispiel Norwegen, Schweden, Kanada und Frankreich. Lilly Carlisle vom Flüchtlingshilfswerk erklärt, dass allen, die nach Gashora kommen, mehrere Auswahlmöglichkeiten gegeben werden.
„Als UNHCR bieten wir unseren Flüchtlingen drei Wege an: Asyl in einem anderen Land, die Rückkehr in die Heimat oder Integration hier in Ruanda", sagt Lilly Carlisle. "Wir fragen sie, was ihnen am liebsten wäre. Bisher hat jeder hier das Asylverfahren gewählt.“
Niemand will in Ruanda bleiben. Die Menschen glauben nicht, dass ihre Situation hier besser wäre, als in ihrer Heimat, und niemand will zurück in das Land, aus dem sie geflohen sind. Weil die Plätze in den Aufnahmeländern aber nicht ausreichen, füllt sich das Flüchtlingszentrum in Gashora mehr und mehr.
EU bezahlt Infrastruktur
Der Wohnraum in den 30 kleineren Häusern reicht schon länger nicht mehr aus. Jetzt wurde ein neues Gebäude gebaut. Dreistöckig, mit vielen einzelnen Zimmern. Etwa 300 Leute könnten hier untergebracht werden, sagt Lilly Carlisle. "Der Bau wurde von der Europäischen Union und Dänemark finanziert.“
Dänemark hat ein besonderes Interesse an dem Zentrum. Denn das Land plant genauso wie Großbritannien, selbst Flüchtlinge nach Ruanda zu bringen, allerdings nicht auf freiwilliger Basis. Die Menschen sollen keine Wahl haben, ob sie hierher ausgeflogen werden, sie sollen in Ruanda ihr Asylverfahren durchlaufen. Aus Großbritannien war schon im Juni ein erster Abschiebeflug geplant, damals noch von der Regierung unter Boris Johnson. Er wurde aber durch den Europäischen Menschengerichtshof in letzter Minute gestoppt. Auch vor dem High Court in London gab es Einwände. Doch der erklärte die Flüge jetzt für rechtmäßig – sehr zur Erleichterung vom jetzigen Premierminister Rishi Sunak, der die umstrittene Abschiebepolitik weiterverfolgt.
Die britische Migrationspolitik
„Ich will ein System in Kraft setzen, wonach jeder, der illegal nach Großbritannien kommt, nicht hierbleiben darf", sagte Rishi Sunak. "Wir wollen die Menschen entweder in ihre Heimatländer zurückschicken, wenn die Lage dort das zulässt, oder wir schicken sie in ein sicheres Land wie Ruanda.“
Damit alles für die Flüchtlinge bereit ist, hatte Großbritannien umgerechnet etwa 140 Millionen Euro überwiesen. In der Hauptstadt Kigali wurde dafür das sogenannte „Hope Hostel“ auf Vordermann gebracht, in dem 100 Menschen untergebracht werden können. Die ruandische Regierung präsentierte stolz die Zimmer, die ein bisschen wie Jugendherbergsräume aussehen.
Präsident Paul Kagame begreift die Abkommen mit Großbritannien und Dänemark als Chance, sich als verlässlicher Partner des Westens zu positionieren. Die engen Beziehungen zu zwei europäischen Ländern würden vermutlich dazu beitragen, dass weniger Kritik an seinem autoritären Führungsstil, an der Unterdrückung der Opposition und der Inhaftierung von politischen Gegnern laut würde.
Ein Deal mit vielen Fragezeichen
Regierungssprecher Alain Mukuralinda erwartet dementsprechend ungeduldig, dass die ersten Abschiebeflüge ankommen. „Seit der ersten Unterschrift steht Ruanda bereit, das Abkommen umzusetzen", sagt er. "Jetzt hatten wir sogar noch zusätzlich sechs Monate, um uns vorzubereiten. Wenn also morgen ein Flugzeug landet, kann Ruanda die Flüchtlinge willkommen heißen. Natürlich wissen wir noch nicht, wie viele ankommen werden. Es hängt alles von der Entscheidung der britischen Regierung ab.“
Aber nicht nur davon. Mit dem Abkommen werden sich noch weitere gerichtliche Instanzen beschäftigen. Die Modellversuche von Großbritannien und Ruanda, auf die auch einige andere europäische Länder interessiert schauen, bleiben vorerst im Planungsstadium.
Asylzentren mit unterschiedlicher Ausrichtung
Beim Rundgang durch das Zentrum in Gashora will Lilly Carlisle vom UNHCR noch einmal ganz deutlich machen, dass die freiwillige Unterbringung von traumatisierten Flüchtlingen aus Libyen etwas ganz anderes ist. „Es ist wichtig, dass die Unterbringung hier nur eine Übergangslösung ist. Es ist eine Notlösung", betont Lilly Carlisle. "Man muss sehen, was diese Menschen durchgemacht haben. Sie haben unvorstellbare Traumata erlebt. Wir wollen ihnen Hoffnung geben, dass sie sich anderswo ein neues Leben aufbauen können.“
Einer dieser Flüchtlinge ist auch der 22-jährige Ibrahim. Er stammt aus dem Sudan und hat eine verzweifelte Flucht über den Tschad nach Libyen hinter sich. Seine Familie hat er unterwegs verloren. In Gashora versucht er jetzt, möglichst viel zu lernen, um für die Zukunft gerüstet zu sein.
„Ich bin vor gut 20 Tagen hier angekommen", erzählt er. "Aber ich besuche schon dreimal in der Woche Computerkurse. Auch einen Sprachkurs will ich anfangen. Meine Papiere sind noch nicht in der Bearbeitung, aber ich hoffe, dass es bald so weit ist.“
Aufnahmeländer gesucht
Die Kurse in Gashora sind auch ein Mittel, die langen Tage zu strukturieren. Es gibt einige Angebote, sogar Fahrstunden, für alle, die sich eine berufliche Zukunft als Taxifahrer vorstellen können. Ibrahim lernt das alles gerade erst kennen. „Ich kann gar nicht sagen, wir froh ich bin, jetzt hier zu sein", sagt er. "Jetzt habe ich Hoffnung, bald irgendwo anzukommen. Ich möchte in einem sicheren Land leben und für mich selbst sorgen können.“
Es gibt allerdings viele, die schon länger als ein Jahr in Gashora sind. Gerade vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine ist es zuletzt noch schwieriger geworden, Aufnahmeländer für die Flüchtlinge zu finden. Eine Endstation wird das Zentrum darum nicht. Aber Ibrahim und die anderen werden einige Zeit warten müssen, bis sie ihr neues Leben starten können.