Letzter Ausweg: Idiot werden
Wer sich heute als Bürger aktiv an der Demokratie beteiligt, muss fürchten, mit seinen Interessen ins Leere zu laufen. Das findet Hans-Christian Dany, Autor des Buchs "Morgen werde ich Idiot". Er meint: Wer heute seinen Widerstand öffentlich macht, wird berechenbar und der Protest verpufft. So sei es etwa der Bewegung "Stuttgart 21" ergangen - sie scheiterte.
Frank Meyer: Wir leben in einer radikalen Kontrollgesellschaft, wir werden beobachtet und ferngesteuert, und wir selbst überwachen uns, regulieren uns, optimieren uns selbst. Es wird Freiheit genannt, aber wir leben in einer maximalen Unfreiheit. So sieht der Künstler und Autor Hans-Christian Dany unsere Gesellschaft, und der Einzige, der sich dieser Kontroll-Gesellschaft entziehen kann, das ist: der Idiot. Das schreibt Hans-Christian Dany in seiner Flugschrift "Morgen werde ich Idiot". Jetzt ist er hier im Studio. Seien Sie herzlich willkommen!
Hans-Christian Dany: Hallo, guten Tag!
Meyer: Was sind denn das für Idioten, die Sie meinen in Ihrem Buch?
Dany: Es wird im Moment sehr viel diese absolute, totalitäre Kontrollgesellschaft beschworen, oder vor allem die Überwachungsgesellschaft. Und es gibt in der natürlich schon sehr, sehr viele Nischen. Es gibt zwar eine extrem weite Erfassung, aber in der gibt es auch sehr viele Bewegungsformen des Sich-Entziehens. Die muss man nur erst mal selber wählen. Und die Idioten, um die es mir geht, das ist der Versuch einer Figur – also der Sprachstamm des Idioten ist ja der Privatmann, der sich unterscheidet vom Bürger, der sich beteiligt …
Meyer: Der alte griechische Sprachstamm.
Dany: … genau. Der sich beteiligt an der Polis, also am politischen Leben. Dass es vielleicht darum geht, sich diesem – in der Form, wie man dazu aufgefordert wird, sich an der Gemeinschaft zu beteiligen, sich dem zu entziehen. Weil in dem Moment, wo man beginnt, mit der verordneten Gemeinschaft oder der Gesellschaft zu kommunizieren, ist man in diesen Kontrollmechanismen drin. Also dadurch, dass man ausspricht und auch, wenn man etwas dagegen ausspricht, beginnt man, sich daran zu beteiligen. Und Privatmann, das klingt dann nach der einzelnen Person. Mir geht es ja eher um so eine Massenbewegung der Idioten. Und viele, die sich so zusammenschließen zu Gruppen und die tauschen sich dann auch wieder untereinander aus, aber verzichten halt eine Zeit lang darauf, zu kommunizieren. Also dieses Kommunizieren scheint eben zu einer zentralen Steuerungseinheit in diesem Kontroll-, Überwachungs-, Gesellschaftsgefüge geworden zu sein.
Meyer: Und was meinen Sie mit Nicht-Kommunizieren? Das heißt, kein Internet mehr nutzen, sein Smartphone wegschmeißen – oder überhaupt mit niemandem mehr reden? Und was heißt es darüber hinaus, sich nicht mehr beteiligen? Heißt das auch, nicht mehr zu Wahlen gehen, sich an politischen Prozessen nicht mehr beteiligen, in keine Bürgerinitiative mehr zu gehen und so weiter – was heißt dieser Entzug?
Dany: Das heißt, sich genau diese ganzen Beispiele, die Sie genannt haben, anzugucken und zu betrachten, wo man dort wirklich die Möglichkeit hat, die gemeinschaftlichen Interessen zu artikulieren, oder wo man eigentlich seiner eigenen Steuerung zuarbeitet. Und das sind einfach so Strukturen, wie heute Politik gemacht wird. Bürgerinitiativen arbeiten natürlich, oder auch so Initiativen wie Stuttgart 21, wandeln sich um, kehren sich um in Sensoren von einem Unbehagen, das in der Gesellschaft ist, das dann wieder mit einbezogen werden kann. Das heißt, man erreicht eigentlich genau das Gegenteil, von dem man versucht, Widerstand zu artikulieren. Dieser Widerstand wird dadurch, dass er kommuniziert wird, berechenbar und kann integriert werden.
Meyer: Die Grundfigur Ihrer Argumentation ist ja, und Sie haben das ja auch schon beschrieben: Wer sich auf ein Gespräch mit der Macht einlässt – lassen wir mal außen vor, was die Macht dann konkret ist –, der hat eigentlich schon verloren. Man hat nur eine Chance, wenn man sich dem Gespräch verweigert. Ich erinnerte mich dann aber kurz mal historisch, dass andere Protestformen, die durchaus gegen die Argumente der Macht vorgehen und gegen die Institutionen der Macht vorgehen, doch eine Menge bewegt haben in der jüngeren Geschichte. Wenn man an 1989 denkt in den Ostblockstaaten oder an den Arabischen Frühling denkt. Also, da sieht man doch ganz plastisch, auf der Hand liegend, reale Proteste, die sich auf die Auseinandersetzung mit der Macht einlassen – die bewegen doch jede Menge!
Dany: Ja. Was Sie als Beispiel genannt haben, bezieht sich ja auf so klassische Formen der Autorität noch. Eigentlich auf noch so disziplinarische Systeme. Dieses Buch, also das Modell des Idioten, bezieht sich ja eher auf die postdemokratische Komfortzone Mitteleuropa, in der natürlich die Steuerung ganz, ganz anders funktioniert als in autoritären Systemen. Hier scheint es, in dieser Komfortzone, nicht mehr so sinnvoll, mit der Macht zu verhandeln.
Meyer: Und ich will mal noch ein Beispiel aufgreifen, das Sie auch in Ihrem Buch beschreiben. Sie schreiben relativ fasziniert von den Unruhen in England im Jahr 2011, also den Riots, wo ja auch in London zum Beispiel reihenweise Geschäfte geplündert wurden von Jugendlichen. Ist das eine in Ihrem Sinn idiotische Protestform, solche Plünderungen?
Dany: Das Faszinierende an London war einerseits diese Spiegelung, das eigentlich diese Welt des verordneten Konsums radikal gespiegelt wurde, die ganzen leeren Versprechen von Handys, Sportschuhen und so weiter. Man hat sich das alles genommen, hat auch so die verordnete Gier repräsentiert, dann aber im selben Moment das auch angezündet und total nein dazu gesagt. Also, das ist eine Figur, das ist eine Kippfigur, die die ganze Zeit hin- und herspringt, dass sie sagt, ja, klar, wir wollen diesen ganzen Quatsch. Und im nächsten Moment sagt: Nein, wir zünden den Laden jetzt einfach an.
Und das andere ist halt, dass es dabei keinen Text dazu gegeben hat. Also es ist eine Bewegung gewesen, die sprachlos geblieben ist und die sich dieser Integration durch Kommunikation entzogen hat. Und die dadurch auch nicht aufgehen konnte in diesem Immer-Wieder-Herstellen einer geordneten Situation, sondern einfach als Störung zurückblieb. Und das hat ja auch dann die sehr, sehr drastische Polizeireaktion wohl mit erklärt.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, der Künstler und Autor Hans-Christian Dany ist bei uns. Wir sprechen über seine Flugschrift "Morgen werde ich Idiot". Und wenn wir bei den Jugendlichen zum Beispiel bleiben, die nicht artikulieren, was sie wollen, was sie eigentlich anders wollen in einer Gesellschaft, wenn wir uns das als eine Gruppe von Idioten in Ihrem Sinne vorstellen – was können die dann aber in Bewegung setzen, wenn sie nicht sagen, wohin sie wollen, wenn sie sich rausnehmen, als unverbundene Asoziale aus der Gesellschaft?
Dany: Also, das Buch geht ja relativ stark zurück auf die kybernetischen Annahmen, und dass diese kybernetischen Annahmen inzwischen Teil der gesellschaftlichen Steuerung geworden sind. Und da geht es immer darum, Feedback zu geben, Rückmeldung zu geben, dass das Regelsystem verstehen kann, was dort schief läuft und es dementsprechend reguliert. Wenn jetzt die Störung nicht mehr vermittelt, warum sie das gar nicht mehr möchte, dann kommt, dann kriegt die Tasteinheit ein Problem.
Meyer: Wenn die Jugendlichen nicht mehr sagen, was sie wollen, wie sie leben wollen, dann kriegt die Gesellschaftsführung ein Problem, wie sie mit dieser Gruppe umgehen soll – so übersetzt.
Dany: Ja,
Meyer: Interessant ist ja auch, dass Sie nicht allein auf weiter Flur sind, sondern ähnlich wie Sie, oder von außen gesehen ähnlich wie Sie, der Schriftsteller Botho Strauß gerade auch den Idioten feiert. Auch er spricht davon, das soll der Außenstehende sein, der anderen Unbegreifliches spricht, der Gemeinschaftsstümper, seine Begriffe. Sehen Sie sich da? Wollen Sie beide dasselbe, Botho Strauß und Sie?
Dany: Ich schätze Botho Strauß sehr. Also, die frühen – wie "Der junge Mann" zum Beispiel als Roman. Beim Idiot treffen wir uns, glaube ich, nicht. Mein Bild der Idioten oder der idiotischen Gemeinschaft, die ich da vertrete, das sind keine Eliten, das kann auch gerne eine Massenbewegung werden. Die sind auch nicht beeindruckt von einer Raffinesse der Technik, wie sie Botho Strauß beschwört. Die sind eher etwas enttäuscht, dass irgendwie wie noch so in einem Science-Fiction-Roman der 60er-Jahre leben. Von daher unterscheiden sich die Figuren sehr, sehr stark. Es gibt bestimmte Überschneidungsmomente, aber meine Idioten möchten eigentlich auch eine ziemlich radikale Veränderung der Gesellschaft, was bei Botho Strauß eher nicht der Fall ist. Der möchte ja eher so bestimmte Bereiche rekonstruieren und bestimmte Egalisierung, die er an der Gesellschaft erkennt, wieder rückgängig machen zugunsten von kleinen Eliten aber.
Meyer: Genau. Aber läuft ihr Modell nicht auch auf einen Elitarismus hinaus? Dass Sie sagen, also da gehen Leute raus, weil sie sich der Massengesellschaft verweigern, und dem, was alle anderen machen im Mainstream? Und treffen Sie sich mit dem Modell Botho Strauß nicht auch an dem Punkt, dass Sie sagen, Demokratie, wie wir sie heute haben, ist für uns kein Modell mehr, was funktioniert? Wir wollen etwas anderes als die Demokratie.
Dany: Das sagt Botho Strauß ja nicht. Er sagt, er möchte nicht die Demokratisierung der Gesellschaft. Demokratie ja, aber – ich glaube, dass man eher heute von einer Postdemokratie sprechen sollte. Hinzu kommt natürlich auch so ein Verrat an der Demokratie durch den War of Terror. Da hat die Demokratie meines Erachtens sehr – kann derzeit nicht in der Form noch einlösen, was sie verspricht. Deswegen treffen wir uns da nicht. Also ich denke, dass das Modell der Demokratie bis zu einem Punkt, wo es nicht mehr reparabel ist, sich selbst zerstört hat. Und dass es erst mal eine Umwälzung geben muss.
Meyer: Und wenn wir mal unterstellen, das, was Ihnen vorschwebt, eine Massenbewegung der Menschen, der sich herausnehmenden, die Sie Idioten nennen, würde tatsächlich in Gang kommen – was für eine Gesellschaft sollte die erreichen? Wo sollte das hinführen?
Dany: Das ist natürlich ein Prozess. Und es geht mir ja auch in dem Buch nicht darum, auch ¬– die Vorstellung des Idioten ist ja sehr offen gehalten, ich möchte ja, dass andere die mit Leben erfüllen. Ich habe schon Vorstellungen von einer anderen Gesellschaftsordnung, die natürlich auch mit einem radikalen ökonomischen Umbau verbunden ist. Die könnte meines Erachtens von dieser Bewegung der Idioten gut getragen werden. Oder mitgetragen werden. Die würde sich dann ja langfristig auch mit anderen Bewegungen gerne verbinden. Nur ob das über den Begriff der Demokratie derzeit erreichbar ist, scheint mir eher fragwürdig.
Meyer: Der Idiot als Figur des Widerstandes. Beschrieben von Hans-Christian Dany in seinem Buch "Morgen werde ich Idiot". Und das angesprochene Buch von Botho Strauß, das heißt "Lichter des Toren. Der Idiot und seine Zeit". Hans-Christian Dany stellt sein Buch heute Abend in Berlin vor, danach gibt es dann Lesungen aus dem Buch in Hamburg, Köln und Frankfurt am Main. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Hans-Christian Dany: Hallo, guten Tag!
Meyer: Was sind denn das für Idioten, die Sie meinen in Ihrem Buch?
Dany: Es wird im Moment sehr viel diese absolute, totalitäre Kontrollgesellschaft beschworen, oder vor allem die Überwachungsgesellschaft. Und es gibt in der natürlich schon sehr, sehr viele Nischen. Es gibt zwar eine extrem weite Erfassung, aber in der gibt es auch sehr viele Bewegungsformen des Sich-Entziehens. Die muss man nur erst mal selber wählen. Und die Idioten, um die es mir geht, das ist der Versuch einer Figur – also der Sprachstamm des Idioten ist ja der Privatmann, der sich unterscheidet vom Bürger, der sich beteiligt …
Meyer: Der alte griechische Sprachstamm.
Dany: … genau. Der sich beteiligt an der Polis, also am politischen Leben. Dass es vielleicht darum geht, sich diesem – in der Form, wie man dazu aufgefordert wird, sich an der Gemeinschaft zu beteiligen, sich dem zu entziehen. Weil in dem Moment, wo man beginnt, mit der verordneten Gemeinschaft oder der Gesellschaft zu kommunizieren, ist man in diesen Kontrollmechanismen drin. Also dadurch, dass man ausspricht und auch, wenn man etwas dagegen ausspricht, beginnt man, sich daran zu beteiligen. Und Privatmann, das klingt dann nach der einzelnen Person. Mir geht es ja eher um so eine Massenbewegung der Idioten. Und viele, die sich so zusammenschließen zu Gruppen und die tauschen sich dann auch wieder untereinander aus, aber verzichten halt eine Zeit lang darauf, zu kommunizieren. Also dieses Kommunizieren scheint eben zu einer zentralen Steuerungseinheit in diesem Kontroll-, Überwachungs-, Gesellschaftsgefüge geworden zu sein.
Meyer: Und was meinen Sie mit Nicht-Kommunizieren? Das heißt, kein Internet mehr nutzen, sein Smartphone wegschmeißen – oder überhaupt mit niemandem mehr reden? Und was heißt es darüber hinaus, sich nicht mehr beteiligen? Heißt das auch, nicht mehr zu Wahlen gehen, sich an politischen Prozessen nicht mehr beteiligen, in keine Bürgerinitiative mehr zu gehen und so weiter – was heißt dieser Entzug?
Dany: Das heißt, sich genau diese ganzen Beispiele, die Sie genannt haben, anzugucken und zu betrachten, wo man dort wirklich die Möglichkeit hat, die gemeinschaftlichen Interessen zu artikulieren, oder wo man eigentlich seiner eigenen Steuerung zuarbeitet. Und das sind einfach so Strukturen, wie heute Politik gemacht wird. Bürgerinitiativen arbeiten natürlich, oder auch so Initiativen wie Stuttgart 21, wandeln sich um, kehren sich um in Sensoren von einem Unbehagen, das in der Gesellschaft ist, das dann wieder mit einbezogen werden kann. Das heißt, man erreicht eigentlich genau das Gegenteil, von dem man versucht, Widerstand zu artikulieren. Dieser Widerstand wird dadurch, dass er kommuniziert wird, berechenbar und kann integriert werden.
Meyer: Die Grundfigur Ihrer Argumentation ist ja, und Sie haben das ja auch schon beschrieben: Wer sich auf ein Gespräch mit der Macht einlässt – lassen wir mal außen vor, was die Macht dann konkret ist –, der hat eigentlich schon verloren. Man hat nur eine Chance, wenn man sich dem Gespräch verweigert. Ich erinnerte mich dann aber kurz mal historisch, dass andere Protestformen, die durchaus gegen die Argumente der Macht vorgehen und gegen die Institutionen der Macht vorgehen, doch eine Menge bewegt haben in der jüngeren Geschichte. Wenn man an 1989 denkt in den Ostblockstaaten oder an den Arabischen Frühling denkt. Also, da sieht man doch ganz plastisch, auf der Hand liegend, reale Proteste, die sich auf die Auseinandersetzung mit der Macht einlassen – die bewegen doch jede Menge!
Dany: Ja. Was Sie als Beispiel genannt haben, bezieht sich ja auf so klassische Formen der Autorität noch. Eigentlich auf noch so disziplinarische Systeme. Dieses Buch, also das Modell des Idioten, bezieht sich ja eher auf die postdemokratische Komfortzone Mitteleuropa, in der natürlich die Steuerung ganz, ganz anders funktioniert als in autoritären Systemen. Hier scheint es, in dieser Komfortzone, nicht mehr so sinnvoll, mit der Macht zu verhandeln.
Meyer: Und ich will mal noch ein Beispiel aufgreifen, das Sie auch in Ihrem Buch beschreiben. Sie schreiben relativ fasziniert von den Unruhen in England im Jahr 2011, also den Riots, wo ja auch in London zum Beispiel reihenweise Geschäfte geplündert wurden von Jugendlichen. Ist das eine in Ihrem Sinn idiotische Protestform, solche Plünderungen?
Dany: Das Faszinierende an London war einerseits diese Spiegelung, das eigentlich diese Welt des verordneten Konsums radikal gespiegelt wurde, die ganzen leeren Versprechen von Handys, Sportschuhen und so weiter. Man hat sich das alles genommen, hat auch so die verordnete Gier repräsentiert, dann aber im selben Moment das auch angezündet und total nein dazu gesagt. Also, das ist eine Figur, das ist eine Kippfigur, die die ganze Zeit hin- und herspringt, dass sie sagt, ja, klar, wir wollen diesen ganzen Quatsch. Und im nächsten Moment sagt: Nein, wir zünden den Laden jetzt einfach an.
Und das andere ist halt, dass es dabei keinen Text dazu gegeben hat. Also es ist eine Bewegung gewesen, die sprachlos geblieben ist und die sich dieser Integration durch Kommunikation entzogen hat. Und die dadurch auch nicht aufgehen konnte in diesem Immer-Wieder-Herstellen einer geordneten Situation, sondern einfach als Störung zurückblieb. Und das hat ja auch dann die sehr, sehr drastische Polizeireaktion wohl mit erklärt.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, der Künstler und Autor Hans-Christian Dany ist bei uns. Wir sprechen über seine Flugschrift "Morgen werde ich Idiot". Und wenn wir bei den Jugendlichen zum Beispiel bleiben, die nicht artikulieren, was sie wollen, was sie eigentlich anders wollen in einer Gesellschaft, wenn wir uns das als eine Gruppe von Idioten in Ihrem Sinne vorstellen – was können die dann aber in Bewegung setzen, wenn sie nicht sagen, wohin sie wollen, wenn sie sich rausnehmen, als unverbundene Asoziale aus der Gesellschaft?
Dany: Also, das Buch geht ja relativ stark zurück auf die kybernetischen Annahmen, und dass diese kybernetischen Annahmen inzwischen Teil der gesellschaftlichen Steuerung geworden sind. Und da geht es immer darum, Feedback zu geben, Rückmeldung zu geben, dass das Regelsystem verstehen kann, was dort schief läuft und es dementsprechend reguliert. Wenn jetzt die Störung nicht mehr vermittelt, warum sie das gar nicht mehr möchte, dann kommt, dann kriegt die Tasteinheit ein Problem.
Meyer: Wenn die Jugendlichen nicht mehr sagen, was sie wollen, wie sie leben wollen, dann kriegt die Gesellschaftsführung ein Problem, wie sie mit dieser Gruppe umgehen soll – so übersetzt.
Dany: Ja,
Meyer: Interessant ist ja auch, dass Sie nicht allein auf weiter Flur sind, sondern ähnlich wie Sie, oder von außen gesehen ähnlich wie Sie, der Schriftsteller Botho Strauß gerade auch den Idioten feiert. Auch er spricht davon, das soll der Außenstehende sein, der anderen Unbegreifliches spricht, der Gemeinschaftsstümper, seine Begriffe. Sehen Sie sich da? Wollen Sie beide dasselbe, Botho Strauß und Sie?
Dany: Ich schätze Botho Strauß sehr. Also, die frühen – wie "Der junge Mann" zum Beispiel als Roman. Beim Idiot treffen wir uns, glaube ich, nicht. Mein Bild der Idioten oder der idiotischen Gemeinschaft, die ich da vertrete, das sind keine Eliten, das kann auch gerne eine Massenbewegung werden. Die sind auch nicht beeindruckt von einer Raffinesse der Technik, wie sie Botho Strauß beschwört. Die sind eher etwas enttäuscht, dass irgendwie wie noch so in einem Science-Fiction-Roman der 60er-Jahre leben. Von daher unterscheiden sich die Figuren sehr, sehr stark. Es gibt bestimmte Überschneidungsmomente, aber meine Idioten möchten eigentlich auch eine ziemlich radikale Veränderung der Gesellschaft, was bei Botho Strauß eher nicht der Fall ist. Der möchte ja eher so bestimmte Bereiche rekonstruieren und bestimmte Egalisierung, die er an der Gesellschaft erkennt, wieder rückgängig machen zugunsten von kleinen Eliten aber.
Meyer: Genau. Aber läuft ihr Modell nicht auch auf einen Elitarismus hinaus? Dass Sie sagen, also da gehen Leute raus, weil sie sich der Massengesellschaft verweigern, und dem, was alle anderen machen im Mainstream? Und treffen Sie sich mit dem Modell Botho Strauß nicht auch an dem Punkt, dass Sie sagen, Demokratie, wie wir sie heute haben, ist für uns kein Modell mehr, was funktioniert? Wir wollen etwas anderes als die Demokratie.
Dany: Das sagt Botho Strauß ja nicht. Er sagt, er möchte nicht die Demokratisierung der Gesellschaft. Demokratie ja, aber – ich glaube, dass man eher heute von einer Postdemokratie sprechen sollte. Hinzu kommt natürlich auch so ein Verrat an der Demokratie durch den War of Terror. Da hat die Demokratie meines Erachtens sehr – kann derzeit nicht in der Form noch einlösen, was sie verspricht. Deswegen treffen wir uns da nicht. Also ich denke, dass das Modell der Demokratie bis zu einem Punkt, wo es nicht mehr reparabel ist, sich selbst zerstört hat. Und dass es erst mal eine Umwälzung geben muss.
Meyer: Und wenn wir mal unterstellen, das, was Ihnen vorschwebt, eine Massenbewegung der Menschen, der sich herausnehmenden, die Sie Idioten nennen, würde tatsächlich in Gang kommen – was für eine Gesellschaft sollte die erreichen? Wo sollte das hinführen?
Dany: Das ist natürlich ein Prozess. Und es geht mir ja auch in dem Buch nicht darum, auch ¬– die Vorstellung des Idioten ist ja sehr offen gehalten, ich möchte ja, dass andere die mit Leben erfüllen. Ich habe schon Vorstellungen von einer anderen Gesellschaftsordnung, die natürlich auch mit einem radikalen ökonomischen Umbau verbunden ist. Die könnte meines Erachtens von dieser Bewegung der Idioten gut getragen werden. Oder mitgetragen werden. Die würde sich dann ja langfristig auch mit anderen Bewegungen gerne verbinden. Nur ob das über den Begriff der Demokratie derzeit erreichbar ist, scheint mir eher fragwürdig.
Meyer: Der Idiot als Figur des Widerstandes. Beschrieben von Hans-Christian Dany in seinem Buch "Morgen werde ich Idiot". Und das angesprochene Buch von Botho Strauß, das heißt "Lichter des Toren. Der Idiot und seine Zeit". Hans-Christian Dany stellt sein Buch heute Abend in Berlin vor, danach gibt es dann Lesungen aus dem Buch in Hamburg, Köln und Frankfurt am Main. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.