Die Angst vor dem Schlussstrich
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Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen Roland Jahn hat den letzten Bericht seiner Behörde vorgestellt. Im Sommer geht sie im Bundesarchiv auf. Amtsvorgängerin Marianne Birthler vermisst dabei ein Bekenntnis zur politischen Bildungsarbeit.
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat am Freitag in Berlin seinen letzten Bericht vorgestellt. Die Stasiunterlagenbehörde wird bis zum Sommer aufgelöst, das Archiv mit Millionen Akten der DDR-Staatssicherheit wird Teil des Bundesarchivs in Koblenz. Rund 1300 Mitarbeiter werden übernommen, an den Standorten der Archive ändert sich nichts. Die Amtszeit Jahns endet im Juni. Das Stasiunterlagengesetz gilt aber weiterhin, die Akten sollen offen bleiben und Auskünfte weiter erteilt werden.
Wandel der Behörden-Aufgaben im Lauf der Jahre
Jahns Aussage, dass im Archiv weiterhin "enorm viel Stoff für die Gestaltung von Demokratie steckt", bejaht Marianne Birthler, seine Amtsvorgängerin von 2000 bis 2011. Man könne durch die Unterlagen viel darüber lernen, wie eine Diktatur funktioniere, wie sich Menschen unter Diktaturbedingungen verhielten, was Menschen zu Verrätern oder was sie solidarisch werden lasse und ihren Einsatz für Rechtsstaatlichkeit begründe.
Im Lauf der Jahre habe sich die Arbeit der Behörde verändert, sagt Birthler. Am Anfang habe erstens die Aufklärung der Schicksale der Stasi-Opfer gestanden, um den Menschen zu ermöglichen, "diese Dinge irgendwann hinter sich zu lassen. Das zweite war die große Frage: Wer hat mit der Stasi kollaboriert? Das hat mindestens die ersten zehn Jahre, also die Phase Gauck, ganz wesentlich bestimmt."
Nach ihrer Amtsübernahme habe sich das ein wenig geändert und man habe sich sehr stark auf den Aspekt der Forschung und politischen Bildung konzentriert. Erst im Laufe der Jahre habe sich gezeigt, was für eine wichtige Quelle die Stasiunterlagen für die DDR-Forschung seien.
"Denn die Stasi-Akten geben nicht nur Auskunft über die Wirkungsweise der Stasi, sondern auch über die Wirtschaft, über den Kulturbetrieb und viele andere Lebensbereiche, über die man ohne die Stasiunterlagen kein vollständiges Bild bekommt."
Skepsis gegenüber anstehender Transformation
Die Auflösung der Behörde und den Übergang der Unterlagen in die Zuständigkeit des Bundesarchivs Koblenz sieht Birthler mit Skepsis, weil unter anderem bis heute nicht geklärt sei, was aus der Forschungsarbeit der Behörde werden solle. Außerdem sei in den vergangenen zehn Jahren der Bereich der politischen Bildung "sehr zurückhaltend gefördert worden".
Dieser Bereich sei aber besonders wichtig, weil man Kinder und Jugendliche eher über konkrete Geschichten aus den Akten erreiche, als über dicke Bücher, die sie lesen sollten. "Für mich war das immer sehr wichtig. Ich hätte mir auch in den letzten Jahren etwas mehr davon gewünscht. Jetzt, bei dieser Transformation, weiß ich nicht, wie das zukünftig weitergehen soll." Offenbar sei Forschung und politische Bildung Behördenleiter Jahn nicht so wichtig gewesen, sagt Birthler.
Sorge um Anwendung der Archivregeln auf die Stasi-Unterlagen
Es sei zudem sehr wichtig, dass der Zugang zu den Akten weiterhin so problemlos wie bisher verlaufe. Sie hoffe, dass dies durch das Stasiunterlagengesetz tatsächlich auch so gewährleistet bleibe. Denn die eigentlichen Zugangsregelungen des Bundesarchivs würden manche Wege für Medien und Forschung versperren.
Das Interesse an den Akten sei jedenfalls bis heute ungebrochen, weil aktuell beispielsweise Kinder von Verstorbenen nach den Akten ihrer Eltern fragten. Man könne sich auch vorstellen, dass ein so großes Archiv weiterhin eine Eigenexistenz führe.
(rja)