Leuchtende Schwerter
Das Geldverdienen ist auch für Chinas Unternehmen schwieriger geworden. Ständig steigende Löhne, neue Sozialabgaben, teure Rohstoffe, ein höherer Währungskurs, strengere Umweltgesetze. Darunter leidet auch die Spielwarenbranche - und schaut sich zuhause nach neuen Märkten um.
Ununterbrochen laufen die Fließbänder. Sieben Stück in einer Halle. An jedem Band sitzen bis zu 40 Arbeiterinnen nebeneinander. Dicht an dicht, in pinker Arbeitskleidung. Pro Band wird ein Spielzeugtyp zusammengesetzt. An der Produktionslinie Nummer drei entsteht ein circa 40 Zentimeter langer Plastikstab. Kinder können damit fechten, erzählt der Vorarbeiter Chen Fei.
"Das sind Leuchtschwerter. Die haben einen Griff und machen Geräusche. Hier sitzen zwei kleine Lautsprecher. Das Endprodukt kann leuchten und produziert acht verschiedene Töne."
Jede Arbeiterin führt einen Montageschritt aus, legt das halbfertige Leuchtschwert anschließend wieder aufs Band und lässt es zur nächsten Kollegin weiterrollen. Eine stanzt ein kleines Loch für die Halterung, eine andere setzt die Batterie ein. Die letzte testet Lampe und Ton. An jedem Fließband hängt ein Zeitplan. Darauf steht, wie lang jeder Arbeitsschritt dauern darf. Das Zusammensetzen eines Leuchtschwerts dauert insgesamt 400 Sekunden. Dann fällt es hinten vom Band und wird verpackt.
Vor der Montage werden die Einzelteile produziert. Die Fabrik verarbeitet Unmengen an Plastik. Angeliefert als kleine Kügelchen, dann in Maschinen, groß wie ein Auto, erhitzt, in Form gegossen, und hinten wieder ausgespuckt als Puppenbein, Spielzeug-Kühlerhaube oder eben Leuchtschwert-Gehäuse.
Knapp Tausend Menschen arbeiten in der Fabrik. Sie liegt in Shenzhen, in Südchina bei Hongkong. Shenzhen ist traditionell das wichtigste Zentrum der Spielzeugindustrie in China und damit auf dem Globus. Denn mehr als 70 Prozent aller Spielzeuge der Welt kommen aus der Volksrepublik. Der Hongkonger Nelson Ma ist der Chef der Firma Gealex, zu der die Fabrik gehört. Ein fröhlicher Endfünfziger mit goldener Uhr, dunkler Limousine und Chauffeur.
"China begann mit der Öffnung seiner Wirtschaft ab dem Jahr 1978. Zwei Jahre später kam Deng Xiaoping und gründete die Sonderwirtschaftszone Shenzhen. Die ersten Hongkonger Geschäftsleute, die sich hier niederließen, waren alles Spielzeugfabrikanten wie ich. Wir waren die ersten Abenteurer nach den Reformen. Ich erinnere mich noch daran, wie billig Arbeitskräfte damals waren. In Shenzhen zahlten wir zwei Yuan für einen Achtstunden-Tag."
Pro Monat verdienten die Arbeiter 50 bis 60 Yuan, einen Bruchteil dessen, was in der britischen Kolonie Hongkong damals üblich war. Ein Paradies für Unternehmer. Gigantische Fabriken mit Zigtausenden von Arbeitern entstanden. 1990 gab es 1200 Spielzeug-Firmen in Shenzhen und im benachbarten Dongguan noch einmal 1000. Wahre Goldgruben. Doch diese Zeiten sind vorbei. Arbeiter verdienen heute 50 Mal so viel wie Anfang der 80er-Jahre, bis zu 3000 Yuan oder 350 Euro im Monat. In der Welt der globalen Massenproduktion ist das längst kein Billiglohn mehr. Und auch sonst steigen die Kosten. Rohstoffe werden immer teurer. Der Wert der chinesischen Währung nimmt unaufhörlich zu, was Chinas Produkte auf dem Weltmarkt teuerer macht. Nelson Ma klagt sehr:
"2009 hatten wir die Finanzkrise. Jetzt die Euro-Krise. Die Spielzeugindustrie geht durch schwierige Zeiten. Auch aus China selbst kommt Druck. Das neue Arbeitsrecht und immer mehr Sozialgesetze. Das belastet unsere Industrie mehr denn je. Daher der Scherz: Wenn du jemanden wirklich hasst, lass ihn als Spielzeugfabrikant arbeiten."
Nach Jahrzehnten der satten Gewinne wäre Mitleid mit Nelson Ma, dem Hongkonger Spielzeug-Tycoon, vermutlich unangebracht. Doch es ist unbestritten: Chinas Spielzeugindustrie steckt in einem tiefen Strukturwandel, der Opfer fordert. Von den einst 1200 Spielzeugfirmen in Shenzhen sind nur noch rund 400 übrig. Die anderen mussten schließen oder zogen in günstigere Regionen.
Jedes Jahr heben die Provinz- und Kommunalregierungen die Mindestlöhne an. Der jüngste Fünfjahresplan gibt einen Anstieg von mindestens 13 Prozent im Jahr vor. De facto nahmen die Löhne im Jahr 2011 durchschnittlich gar um 22 Prozent zu. Trotzdem fehlt es in den Fabriken an Arbeitskräften. Fließbandjobs sind nicht mehr so begehrt wie früher. Die junge Generation der vom Land in die Küstenstädte gezogenen Wanderarbeiter ist anspruchsvoller geworden und kann sich das auch erlauben. Der 23-jährige Zhou Wei zum Beispiel. Er stammt aus der Binnenprovinz Jiangxi und arbeitet seit zwei Jahren in Shenzhen.
"Es ist doch gut, wenn man sich nicht allzu schnell zufrieden gibt. Es ist doch gut, ehrgeizig zu sein. Meine Eltern sind schon zufrieden, wenn sie genug Geld haben, um sich ein schönes chinesisches Neujahrsfest zu leisten. Leute wie ich haben andere Ziele. Ich weiß nicht, ob ich immer in Shenzhen bleiben will. Vielleicht bleibe ich an der Küste. Aber wenn sich etwas bietet, würde ich auch wieder gern zurück nach Hause ziehen.""
Ständig steigende Löhne, neue Sozialabgaben, teure Rohstoffe, ein höherer Währungskurs, strengere Umweltgesetze: Das Geldverdienen ist für Chinas Unternehmen schwieriger geworden. Von der Regierung ist das durchaus gewollt. Das Ziel ist, Chinas Industrie zu modernisieren und die Firmen zur Innovation zu zwingen: Weg von der billigen Handarbeit, hin zu Technologie und größerem Mehrwert. Die Spielzeugbranche, einst an der Spitze des chinesischen Wirtschaftswunders, ist von diesem Wandel mit am stärksten betroffen. Es gibt verschiedene Wege, dem Kostendruck zu begegnen. Tony Chow ist auch ein Hongkonger Spielzeugfabrikant der ersten Stunde. In seiner Shenzhener Fabrik arbeiten derzeit noch 1500 Arbeiter. Doch das könnte sich bald ändern.
""Wir sollten darüber nachdenken, unsere Produktion durch Automatisierung zu beschleunigen. Wir sollten uns nicht mehr nur auf die menschliche Arbeitskraft konzentrieren. Es wird immer schwieriger, Arbeiter zu finden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in China haben sich stark verbessert. Jobs gibt es nicht mehr nur in den Fabriken. Bei jedem Arbeitsprozess sollten wir deshalb darüber nachdenken, wie wir Maschinen einsetzen können."
In Tony Chows Fabrik läuft gerade der Filly Einhorn Regenbogenturm vom Band, für den deutschen Markt. 68 Zentimeter hoch, rosa Plastik, mit mehreren aufklappbaren Zimmerchen, in die man Figuren stellen kann. Chow produziert den Turm im Auftrag des deutschen Spielzeugunternehmens Simba-Dickie. Rund 70 Prozent der Spielzeuge des Konzerns sind "Made in China", sagt Andreas Melchhart. Er ist der Geschäftsführer der Hongkonger Niederlassung von Simba. Der Strukturwandel in China mache sich auch geographisch bemerkbar:
"Es ist mit Sicherheit so, dass hier in Südchina, wo der Hauptteil der Spielzeugindustrie angesiedelt ist, keine neuen Spielzeugfabriken mehr eröffnen werden. Es bewegt sich schon Richtung Norden, weil hier einfach noch die Personalkosten geringer sind. Und da müssen wir mitziehen, beziehungsweise unsere Partner müssen hier mitziehen."
Der Zug ins Landesinnere hat begonnen, in die Regionen, aus denen früher die Wanderarbeiter an die Küste zogen. Jetzt kommen die Fabriken zu ihnen. Manche Hersteller verlegen Teile der Produktion sogar ganz heraus aus China, etwa nach Vietnam oder Indonesien, wo die Löhne noch deutlich niedriger sind als in China. Doch keines dieser Länder bietet eine mit China vergleichbare Zulieferindustrie, Infrastruktur und Expertise in der Spielzeugherstellung, sagt Melchhart:
"Man kommt nach wie vor nicht an China vorbei. China wird teurer, die Leute verdienen mehr. Produktionen werden teurer, werden technologisierter. Das ist auch ein Grund. Weil Arbeitskräfte teurer werden, wird natürlich mehr in Maschinen investiert. Aber es bewegt sich nach wie vor noch in einem Rahmen, dass ich an China nicht vorbei komme. Auf die nächsten fünf bis zehn Jahre sehe ich hier noch keine Gefahr, dass wir zu teuer produzieren, so dass sich ein Europäer das chinesische Spielzeug nicht mehr leisten kann."
Doch mit Preissteigerungen ist zu rechnen. Auch wenn der Einzelhandel seine Gewinnmargen reduziert, dürften Spielzeuge in Europa um drei bis fünf Prozent pro Jahr teurer werden, schätzt Andreas Melchhart. Chinas Arbeiter verlangen einen größeren Anteil am Kuchen.
Mehr Maschinen, andere Standorte, höhere Preise: So reagiert die Spielzeugindustrie auf die gestiegenen Produktionskosten und trüben Exportaussichten. Doch es gibt Lichtblicke - und die kommen aus dem Land selbst: Denn während China als Produktionsstandort immer kostspieliger wird, liegen auf dem großen chinesischen Binnenmarkt die Absatz-Chancen der Zukunft.
Besuch auf der Spielwarenmesse in Shanghai. Knapp eintausend Aussteller sind hier vertreten. Hallen voller Spielzeug: Hier bleibt kein Kinderwunsch offen. Was neu ist: Auf dieser Messe geht es nicht um den Export. Hier spazieren fast keine Ausländer durch die Gänge. Kaum eine der Marken hat internationalen Bekanntheitsgrad. Dies ist eine Messe für China. Chinesische Marken suchen chinesische Vertriebspartner für den wachsenden heimischen Spielzeugmarkt. Shen Jian stellt mit seiner Firma Goodbaby Kinderwagen her:
"Noch verkaufen wir mehr ins Ausland als nach China. 70 Prozent unserer Produkte gehen in den Export, 30 Prozent nach China. Aber die ganze Welt schielt auf den chinesischen Markt, und der Trend ist klar: Hier spielt die Musik. China wird unser wichtigster Standort."
Chinas Spielzeugmarkt wächst in atemberaubender Geschwindigkeit. Bis 2015 soll er sich glatt verdoppeln auf knapp sieben Milliarden Euro, so eine Schätzung des Chinesischen Spielwaren-Verbandes. Mit dem steigenden Wohlstand füllen sich die chinesischen Kinderzimmer mit Spielwaren. Der Markt im Westen hingegen wächst nur noch langsam. Und die schlechten Konjunkturaussichten verheißen nichts Gutes. Lange Zeit produzierten Chinas Spielzeughersteller vor allem für ausländische Marken. Sie waren reine Bestellungsempfänger. Jetzt orientieren sie sich um, sagt Liang Mei vom chinesischen Branchenverband:
"Chinesische Spielzeugfirmen erforschen nun den heimischen und den internationalen Markt. Um in China zu verkaufen, müssen sie Marken aufbauen. Sie müssen auch von der reinen Herstellung zum Design übergehen. Danach kommen noch das Marketing, der Vertrieb und die Werbung."
Immer mehr Hersteller gehen diesen Weg. Die chinesischen Spielzeug-Marken werden professioneller. Und nicht nur die Chinesen selbst haben das Potenzial des Milliarden-Marktes erkannt. Auch die internationalen Marken wollen in der Volksrepublik nicht mehr nur produzieren, sondern auch verkaufen. Sie tasten sich langsam vor. Der deutsche Spielzeughersteller Siku, vor allem bekannt durch Spielfahrzeuge vom Auto bis zum Traktor, ist seit vier Jahren auf dem chinesischen Markt. Das Geschäft steckt noch in den Kinderschuhen, sagt Edmond Fung, der den regionalen Verkauf der Siku-Spielzeuge von Hongkong aus leitet. 80 Prozent der Ware werde zwar in China produziert, aber nur ein winziger Bruchteil im Land verkauft, so Fung. Trotzdem lohne sich das Engagement.
"Wenn man sich den chinesischen Markt anschaut, die Bevölkerung, das Wirtschaftswachstum, ist klar: Da gibt es ein großes Potenzial. In China leben 1,34 Milliarden Menschen. 16 Prozent davon sind Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. Das ist für uns eine gute Startmenge."
Siku ist deutlich teurer als chinesische Marken, sagt Fung, oft um das Doppelte. Doch das ist auch Prinzip. Die Firma stellt ihre deutsche Herkunft in den Vordergrund. In China steht das für Qualität. Wer es sich leisten kann, kauft hier oft lieber eine ausländische Marke als eine einheimische. Noch sind die internationalen Marken schwach vertreten. Auf der Shanghaier Messe muss man lange nach ihnen suchen.
Auch Nelson Ma, der Hongkonger Fabrikant, ist nach Shanghai zur Messe geflogen. Chinas Markt, sagt auch er, ist die Zukunft der Branche. Er will sich umschauen, neu orientieren. Denn irgendwie muss es ja weiter gehen, trotz der Wirtschaftsprobleme.
"Wenn Sie mich fragen, warum ich immer noch in dieser Branche arbeite, dann sage ich Ihnen: Weil man diese Branche braucht. Die Leute werden nicht aufhören, Spielzeug zu kaufen, nur weil sie teurer werden. Kinder brauchen Spielzeug. Das ist nicht irgendein Konsumprodukt, sondern Spielzeug ist notwendig."
"Das sind Leuchtschwerter. Die haben einen Griff und machen Geräusche. Hier sitzen zwei kleine Lautsprecher. Das Endprodukt kann leuchten und produziert acht verschiedene Töne."
Jede Arbeiterin führt einen Montageschritt aus, legt das halbfertige Leuchtschwert anschließend wieder aufs Band und lässt es zur nächsten Kollegin weiterrollen. Eine stanzt ein kleines Loch für die Halterung, eine andere setzt die Batterie ein. Die letzte testet Lampe und Ton. An jedem Fließband hängt ein Zeitplan. Darauf steht, wie lang jeder Arbeitsschritt dauern darf. Das Zusammensetzen eines Leuchtschwerts dauert insgesamt 400 Sekunden. Dann fällt es hinten vom Band und wird verpackt.
Vor der Montage werden die Einzelteile produziert. Die Fabrik verarbeitet Unmengen an Plastik. Angeliefert als kleine Kügelchen, dann in Maschinen, groß wie ein Auto, erhitzt, in Form gegossen, und hinten wieder ausgespuckt als Puppenbein, Spielzeug-Kühlerhaube oder eben Leuchtschwert-Gehäuse.
Knapp Tausend Menschen arbeiten in der Fabrik. Sie liegt in Shenzhen, in Südchina bei Hongkong. Shenzhen ist traditionell das wichtigste Zentrum der Spielzeugindustrie in China und damit auf dem Globus. Denn mehr als 70 Prozent aller Spielzeuge der Welt kommen aus der Volksrepublik. Der Hongkonger Nelson Ma ist der Chef der Firma Gealex, zu der die Fabrik gehört. Ein fröhlicher Endfünfziger mit goldener Uhr, dunkler Limousine und Chauffeur.
"China begann mit der Öffnung seiner Wirtschaft ab dem Jahr 1978. Zwei Jahre später kam Deng Xiaoping und gründete die Sonderwirtschaftszone Shenzhen. Die ersten Hongkonger Geschäftsleute, die sich hier niederließen, waren alles Spielzeugfabrikanten wie ich. Wir waren die ersten Abenteurer nach den Reformen. Ich erinnere mich noch daran, wie billig Arbeitskräfte damals waren. In Shenzhen zahlten wir zwei Yuan für einen Achtstunden-Tag."
Pro Monat verdienten die Arbeiter 50 bis 60 Yuan, einen Bruchteil dessen, was in der britischen Kolonie Hongkong damals üblich war. Ein Paradies für Unternehmer. Gigantische Fabriken mit Zigtausenden von Arbeitern entstanden. 1990 gab es 1200 Spielzeug-Firmen in Shenzhen und im benachbarten Dongguan noch einmal 1000. Wahre Goldgruben. Doch diese Zeiten sind vorbei. Arbeiter verdienen heute 50 Mal so viel wie Anfang der 80er-Jahre, bis zu 3000 Yuan oder 350 Euro im Monat. In der Welt der globalen Massenproduktion ist das längst kein Billiglohn mehr. Und auch sonst steigen die Kosten. Rohstoffe werden immer teurer. Der Wert der chinesischen Währung nimmt unaufhörlich zu, was Chinas Produkte auf dem Weltmarkt teuerer macht. Nelson Ma klagt sehr:
"2009 hatten wir die Finanzkrise. Jetzt die Euro-Krise. Die Spielzeugindustrie geht durch schwierige Zeiten. Auch aus China selbst kommt Druck. Das neue Arbeitsrecht und immer mehr Sozialgesetze. Das belastet unsere Industrie mehr denn je. Daher der Scherz: Wenn du jemanden wirklich hasst, lass ihn als Spielzeugfabrikant arbeiten."
Nach Jahrzehnten der satten Gewinne wäre Mitleid mit Nelson Ma, dem Hongkonger Spielzeug-Tycoon, vermutlich unangebracht. Doch es ist unbestritten: Chinas Spielzeugindustrie steckt in einem tiefen Strukturwandel, der Opfer fordert. Von den einst 1200 Spielzeugfirmen in Shenzhen sind nur noch rund 400 übrig. Die anderen mussten schließen oder zogen in günstigere Regionen.
Jedes Jahr heben die Provinz- und Kommunalregierungen die Mindestlöhne an. Der jüngste Fünfjahresplan gibt einen Anstieg von mindestens 13 Prozent im Jahr vor. De facto nahmen die Löhne im Jahr 2011 durchschnittlich gar um 22 Prozent zu. Trotzdem fehlt es in den Fabriken an Arbeitskräften. Fließbandjobs sind nicht mehr so begehrt wie früher. Die junge Generation der vom Land in die Küstenstädte gezogenen Wanderarbeiter ist anspruchsvoller geworden und kann sich das auch erlauben. Der 23-jährige Zhou Wei zum Beispiel. Er stammt aus der Binnenprovinz Jiangxi und arbeitet seit zwei Jahren in Shenzhen.
"Es ist doch gut, wenn man sich nicht allzu schnell zufrieden gibt. Es ist doch gut, ehrgeizig zu sein. Meine Eltern sind schon zufrieden, wenn sie genug Geld haben, um sich ein schönes chinesisches Neujahrsfest zu leisten. Leute wie ich haben andere Ziele. Ich weiß nicht, ob ich immer in Shenzhen bleiben will. Vielleicht bleibe ich an der Küste. Aber wenn sich etwas bietet, würde ich auch wieder gern zurück nach Hause ziehen.""
Ständig steigende Löhne, neue Sozialabgaben, teure Rohstoffe, ein höherer Währungskurs, strengere Umweltgesetze: Das Geldverdienen ist für Chinas Unternehmen schwieriger geworden. Von der Regierung ist das durchaus gewollt. Das Ziel ist, Chinas Industrie zu modernisieren und die Firmen zur Innovation zu zwingen: Weg von der billigen Handarbeit, hin zu Technologie und größerem Mehrwert. Die Spielzeugbranche, einst an der Spitze des chinesischen Wirtschaftswunders, ist von diesem Wandel mit am stärksten betroffen. Es gibt verschiedene Wege, dem Kostendruck zu begegnen. Tony Chow ist auch ein Hongkonger Spielzeugfabrikant der ersten Stunde. In seiner Shenzhener Fabrik arbeiten derzeit noch 1500 Arbeiter. Doch das könnte sich bald ändern.
""Wir sollten darüber nachdenken, unsere Produktion durch Automatisierung zu beschleunigen. Wir sollten uns nicht mehr nur auf die menschliche Arbeitskraft konzentrieren. Es wird immer schwieriger, Arbeiter zu finden. Die wirtschaftlichen Verhältnisse in China haben sich stark verbessert. Jobs gibt es nicht mehr nur in den Fabriken. Bei jedem Arbeitsprozess sollten wir deshalb darüber nachdenken, wie wir Maschinen einsetzen können."
In Tony Chows Fabrik läuft gerade der Filly Einhorn Regenbogenturm vom Band, für den deutschen Markt. 68 Zentimeter hoch, rosa Plastik, mit mehreren aufklappbaren Zimmerchen, in die man Figuren stellen kann. Chow produziert den Turm im Auftrag des deutschen Spielzeugunternehmens Simba-Dickie. Rund 70 Prozent der Spielzeuge des Konzerns sind "Made in China", sagt Andreas Melchhart. Er ist der Geschäftsführer der Hongkonger Niederlassung von Simba. Der Strukturwandel in China mache sich auch geographisch bemerkbar:
"Es ist mit Sicherheit so, dass hier in Südchina, wo der Hauptteil der Spielzeugindustrie angesiedelt ist, keine neuen Spielzeugfabriken mehr eröffnen werden. Es bewegt sich schon Richtung Norden, weil hier einfach noch die Personalkosten geringer sind. Und da müssen wir mitziehen, beziehungsweise unsere Partner müssen hier mitziehen."
Der Zug ins Landesinnere hat begonnen, in die Regionen, aus denen früher die Wanderarbeiter an die Küste zogen. Jetzt kommen die Fabriken zu ihnen. Manche Hersteller verlegen Teile der Produktion sogar ganz heraus aus China, etwa nach Vietnam oder Indonesien, wo die Löhne noch deutlich niedriger sind als in China. Doch keines dieser Länder bietet eine mit China vergleichbare Zulieferindustrie, Infrastruktur und Expertise in der Spielzeugherstellung, sagt Melchhart:
"Man kommt nach wie vor nicht an China vorbei. China wird teurer, die Leute verdienen mehr. Produktionen werden teurer, werden technologisierter. Das ist auch ein Grund. Weil Arbeitskräfte teurer werden, wird natürlich mehr in Maschinen investiert. Aber es bewegt sich nach wie vor noch in einem Rahmen, dass ich an China nicht vorbei komme. Auf die nächsten fünf bis zehn Jahre sehe ich hier noch keine Gefahr, dass wir zu teuer produzieren, so dass sich ein Europäer das chinesische Spielzeug nicht mehr leisten kann."
Doch mit Preissteigerungen ist zu rechnen. Auch wenn der Einzelhandel seine Gewinnmargen reduziert, dürften Spielzeuge in Europa um drei bis fünf Prozent pro Jahr teurer werden, schätzt Andreas Melchhart. Chinas Arbeiter verlangen einen größeren Anteil am Kuchen.
Mehr Maschinen, andere Standorte, höhere Preise: So reagiert die Spielzeugindustrie auf die gestiegenen Produktionskosten und trüben Exportaussichten. Doch es gibt Lichtblicke - und die kommen aus dem Land selbst: Denn während China als Produktionsstandort immer kostspieliger wird, liegen auf dem großen chinesischen Binnenmarkt die Absatz-Chancen der Zukunft.
Besuch auf der Spielwarenmesse in Shanghai. Knapp eintausend Aussteller sind hier vertreten. Hallen voller Spielzeug: Hier bleibt kein Kinderwunsch offen. Was neu ist: Auf dieser Messe geht es nicht um den Export. Hier spazieren fast keine Ausländer durch die Gänge. Kaum eine der Marken hat internationalen Bekanntheitsgrad. Dies ist eine Messe für China. Chinesische Marken suchen chinesische Vertriebspartner für den wachsenden heimischen Spielzeugmarkt. Shen Jian stellt mit seiner Firma Goodbaby Kinderwagen her:
"Noch verkaufen wir mehr ins Ausland als nach China. 70 Prozent unserer Produkte gehen in den Export, 30 Prozent nach China. Aber die ganze Welt schielt auf den chinesischen Markt, und der Trend ist klar: Hier spielt die Musik. China wird unser wichtigster Standort."
Chinas Spielzeugmarkt wächst in atemberaubender Geschwindigkeit. Bis 2015 soll er sich glatt verdoppeln auf knapp sieben Milliarden Euro, so eine Schätzung des Chinesischen Spielwaren-Verbandes. Mit dem steigenden Wohlstand füllen sich die chinesischen Kinderzimmer mit Spielwaren. Der Markt im Westen hingegen wächst nur noch langsam. Und die schlechten Konjunkturaussichten verheißen nichts Gutes. Lange Zeit produzierten Chinas Spielzeughersteller vor allem für ausländische Marken. Sie waren reine Bestellungsempfänger. Jetzt orientieren sie sich um, sagt Liang Mei vom chinesischen Branchenverband:
"Chinesische Spielzeugfirmen erforschen nun den heimischen und den internationalen Markt. Um in China zu verkaufen, müssen sie Marken aufbauen. Sie müssen auch von der reinen Herstellung zum Design übergehen. Danach kommen noch das Marketing, der Vertrieb und die Werbung."
Immer mehr Hersteller gehen diesen Weg. Die chinesischen Spielzeug-Marken werden professioneller. Und nicht nur die Chinesen selbst haben das Potenzial des Milliarden-Marktes erkannt. Auch die internationalen Marken wollen in der Volksrepublik nicht mehr nur produzieren, sondern auch verkaufen. Sie tasten sich langsam vor. Der deutsche Spielzeughersteller Siku, vor allem bekannt durch Spielfahrzeuge vom Auto bis zum Traktor, ist seit vier Jahren auf dem chinesischen Markt. Das Geschäft steckt noch in den Kinderschuhen, sagt Edmond Fung, der den regionalen Verkauf der Siku-Spielzeuge von Hongkong aus leitet. 80 Prozent der Ware werde zwar in China produziert, aber nur ein winziger Bruchteil im Land verkauft, so Fung. Trotzdem lohne sich das Engagement.
"Wenn man sich den chinesischen Markt anschaut, die Bevölkerung, das Wirtschaftswachstum, ist klar: Da gibt es ein großes Potenzial. In China leben 1,34 Milliarden Menschen. 16 Prozent davon sind Kinder zwischen 0 und 14 Jahren. Das ist für uns eine gute Startmenge."
Siku ist deutlich teurer als chinesische Marken, sagt Fung, oft um das Doppelte. Doch das ist auch Prinzip. Die Firma stellt ihre deutsche Herkunft in den Vordergrund. In China steht das für Qualität. Wer es sich leisten kann, kauft hier oft lieber eine ausländische Marke als eine einheimische. Noch sind die internationalen Marken schwach vertreten. Auf der Shanghaier Messe muss man lange nach ihnen suchen.
Auch Nelson Ma, der Hongkonger Fabrikant, ist nach Shanghai zur Messe geflogen. Chinas Markt, sagt auch er, ist die Zukunft der Branche. Er will sich umschauen, neu orientieren. Denn irgendwie muss es ja weiter gehen, trotz der Wirtschaftsprobleme.
"Wenn Sie mich fragen, warum ich immer noch in dieser Branche arbeite, dann sage ich Ihnen: Weil man diese Branche braucht. Die Leute werden nicht aufhören, Spielzeug zu kaufen, nur weil sie teurer werden. Kinder brauchen Spielzeug. Das ist nicht irgendein Konsumprodukt, sondern Spielzeug ist notwendig."