Leutheusser-Schnarrenberger: Grundgesetzänderung für EU-Begleitgesetz unnötig

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Gabi Wuttke |
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lehnt eine Grundgesetzänderung für das Begleitgesetz zum EU-Reformvertrag von Lissabon ab - ebenso wie CSU-Pläne zur parlamentarischen Mitbestimmung bei allen EU-Vorhaben.
Gabi Wuttke: Die Rechte des Bundestags und Bundesrats müssen gestärkt werden, das ist die Anweisung des Bundesverfassungsgerichts. Das ist eigentlich nur möglich, sagen Verfassungsrechtler wie Christian Calliess, wenn das Grundgesetz geändert wird. Am Telefon ist jetzt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, unter anderem die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen!

Wuttke: Ist es also doch angeraten, das Grundgesetz zu ändern, um die Rechte tatsächlich zu stärken?

Leutheusser-Schnarrenberger: Also einmal ist alles das, was das Bundesverfassungsgericht aus meiner Sicht auch zu Recht sagt, an Stärkung des Bundestages ohne Änderung des Grundgesetzes möglich. Das sind ja eine Vielzahl von Verfahren, die alle zum Kern haben, wenn mehr Hoheitsrechte übertragen werden in unterschiedlichsten Verfahrensformen, dann muss in jedem Fall der Bundestag vorher zustimmen, und zwar in vielen Fällen sogar durch ein Gesetz. Worum es jetzt zusätzlich geht, ist, dass diese Vereinbarung, die der Bundestag mit der Bundesregierung getroffen hat, auch ins Gesetz soll. Das unterstütze ich mit Nachdruck. Und es geht um einen einzigen Punkt, der zusätzlich zum Urteil dann kommt, ob Stellungnahmen zugrunde gelegt werden vom Bundestag dann bei Verhandlungen der Bundesregierung oder ob sie noch eine striktere Verbindlichkeit haben. Und da streiten sich wirklich Juristen, da gibt es fünf Juristen und sieben Meinungen.

Wuttke: Aber wie ist denn tatsächlich festzulegen, dass der Wille des Bundestags bei Beschlüssen in Brüssel nicht mehr nur berücksichtigt wird?

Leutheusser-Schnarrenberger: Also es kann eben festgelegt werden, dass sie Grundlage für die Verhandlungen der Bundesregierung sind, und wenn die Bundesregierung sich davon entfernt, weil die Verhandlungen vollkommen anders laufen, oder entfernen will, dass dann die Bundesregierung eben wegen dieser politischen Willensäußerung des Bundestages nicht abschließen kann, sondern einen Vorbehalt bei den Verhandlungen einlegt und dann erneute Gespräche mit dem Bundestag und der Bundesregierung über diesen Punkt zu führen sind. Das muss man aber auch so ausgestalten, dass die Bundesregierung Verhandlungsspielraum in Brüssel hat, sonst setzt man gar nichts durch. Denn Dänemark und Österreich, die ja einen ganz verbindlichen Parlamentsvorbehalt haben, die sind nun nicht unbedingt die Länder, die nun sehr viel auch immer durchsetzen in den Verhandlungen in Brüssel, und deshalb muss man da wirklich genau sehen, wie man einen klugen Weg findet, der möglicherweise ohne Änderung des Artikel 23 Grundgesetz dann auch gangbar ist. Wenn es nicht anders geht, dann wird man sich auch darüber zu unterhalten haben.

Wuttke: Was ist denn für Sie, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, im Augenblick das größte Problem, diesen klugen Weg zu finden, von dem Sie sprechen, oder die Wahrscheinlichkeit, dass mit einem Kompromiss, der gefunden wird, wiederum eine neue Verfassungsklage auf dem Tisch liegt, die dann dazu führt, dass Deutschland die EU aufs Eis legt?

Leutheusser-Schnarrenberger: Also wir müssen jetzt ein Gesetzgebungsverfahren gestalten, dass es nicht zu einer erneuten Klage beim Bundesverfassungsgericht kommt. Also ich denke, das muss das Bestreben aller sein. Wir müssen aber auch denjenigen, die hier jetzt immer sofort wieder mit einer Klage drohen, auch klar sagen, was wirklich eindeutig zulässig ist, was auch strikt nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes von uns gemacht wird, und dass man nicht hier mit dieser Drohung einer Klage kommen kann, nur um deutlich zu machen, hier gibt es angeblich noch ein paar Wächter, die eigentlich nur wissen, wie es richtig gehen soll. Das wird auch ein bisschen instrumentalisiert, diese Drohung mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht.

Wuttke: Bleiben wir mal bei der Instrumentalisierung. Sie sind die rechtspolitische Sprecherin Ihrer Partei, aber auch FDP-Chefin in Bayern, und eine Grundgesetzänderung, wie Sie sie jetzt ablehnen, würde die Rechte der Bundesländer in EU-Fragen ja auch schwächen, das weiß auch Horst Seehofer, der CSU-Chef. Sind Sie da gerne mit ihm auf einer Linie?

Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin mit Herrn Seehofer in diesem Punkt eben wie vor allen Dingen die gesamte CDU nicht so auf einer Linie. Die Bundesländer haben in einer Vereinbarung des Bundesrates mit der Bundesregierung auch im jetzigen Artikel 23 Grundgesetz schon eine sehr starke Stellung. Die sind teilweise bei den Informationspflichten besser gestellt derzeit als der Bundestag. Von daher geht es nicht darum, dass endlich die Bundesländer besser beteiligt werden müssen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ist es sogar ausdrücklich so, dass in bestimmten Fällen, wenn es darum geht, wann kann auch der Bundestag ein Vorhaben ablehnen im Vorfeld, der Bundestag gestärkt wird und nicht abhängig sein darf von Stellungnahmen des Bundesrates. Von daher sehe ich hier in diesem ganzen Verfahren nicht, dass hier besonders die Bundesländer geschwächt werden. Die müssen entsprechend des Urteils eingebunden sein, die haben aber heute teilweise eine bessere Stellung als der Bundestag.

Wuttke: Aber Horst Seehofer ist gegen eine Grundgesetzänderung.

Leutheusser-Schnarrenberger: Horst Seehofer ist gegen eine Grundgesetzänderung des Artikel 23, da bin ich dann mit ihm in diesem Punkt einer Meinung, nur der Streit mit der CSU findet ja statt, wie soll insgesamt das Gesetz ausgestaltet werden. Und ich mache nicht eine Regelung mit, dass die CSU sagt, wir müssen also eine absolute Verbindlichkeit aller Meinungsbildungen des Bundestages in allen europapolitischen Vorhaben bekommen und dann nicht das Grundgesetz ändern. Weil das passt nicht zusammen, und das wäre in dieser Form dann auch nicht dankbar. Und deshalb gibt es da sehr wohl Dissense.

Wuttke: Aber auf den ersten Blick gesehen, heißt das natürlich, oh, in Bayern sind FDP und CSU bei dieser Frage der Grundgesetzänderung des Artikel 23 auf einer Linie. Glauben Sie nicht, die wachsende Zahl potenzieller FDP-Wähler auch in Bayern könnte es Ihnen verübeln, wenn Sie bei diesem wichtigen Thema mit der CSU an einem Strang ziehen?

Leutheusser-Schnarrenberger: Wir ziehen mit der CSU leider in diesem Punkt nicht an einem Strang, wenn es darum geht, wie soll das Gesetz ausgestaltet werden, weil bisher die CSU deutlich weiter gegangen ist als das, was die FDP möchte und was die FDP mit unterstützt. Weil wir wollen einmal klar das Urteil umsetzen, wir wollen aber auch die Bundesregierung, egal wer sie stellt, auch handlungsfähig halten, und deshalb differenzieren wir. Die Grundgesetzänderung ist jetzt ein Thema, was so hochgezogen wird. Die eigentlichen schwierigen Debatten mit der CSU, und da besonders zwischen CDU und CSU, die finden doch statt bei der Ausgestaltung des Gesetzes, und da sind wir ganz klar bei der CDU und nicht bei der CSU.

Wuttke: Vielen Dank. Im Interview der "Ortszeit" war in Deutschlandradio Kultur die Chefin der bayerischen FDP und stellvertretende Bundestagsfraktionssprecherin der Liberalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Einen schönen Tag und vielen Dank!

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, danke Ihnen!