Die Rückkehr der Homophobie
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"Ehe für alle", ein liberales Gesellschaftsklima: Lange fühlten sich homosexuelle Menschen in Brasilien sicher. Doch mit Bolsonaros Wahlerfolg im Herbst 2018 änderte sich ihre Lage: Homophobe Ausfälle und Übergriffe nehmen wieder zu.
Thiago und Bruno sind seit drei Jahren ein Paar. Thiago ist 27 Jahre alt, Bruno 30. Zusammen mit Freunden sitzen sie in einem viel zu heißen Wohnzimmer einer Freundin. Es sind knapp 30 Grad, beide tragen luftige Muskelshirts. Das Paar wirkt sehr vertraut miteinander. Sie lassen sich aussprechen, ergänzen sich nur, wenn dem einen ein Begriff oder Name nicht einfällt.
"Vor vier Jahren dachte ich noch, dass wir frei wären. Aber jetzt laufen wir auf der Straße und haben Angst. Immer wieder drehen wir uns um, aus Furcht vor den Leuten."
Zusammen wohnen sie in der Zona Sul von Rio de Janeiro. Es ist der reiche und touristische Teil der Stadt. Dort haben sich die beiden als schwules Paar in den vergangenen Jahren eigentlich wohl gefühlt. Jetzt macht die Kassiererin im Supermarkt ohne Scham schwulenfeindliche Kommentare. Freunde wurden zusammengeschlagen. Ein Professor an der Universität von Rio bezeichnet Homosexuelle als Freaks.
Mit Bolsonaro kam die Homophobie zurück
Begonnen hat all das vergangenes Jahr mit der Wahlkampfkampagne von Jair Bolsonaro. Innerhalb weniger Monate verändert sich das gesellschaftliche Klima. Bruno erinnert sich an den Tag von Bolsonaros Wahlsieg:
"Das war furchtbar. Überall hörte man Leute die Parolen schreien wie 'Bolsonaro wird die Schwuchteln töten'. So etwas riefen die Leute aus den Fenstern. Wir haben uns schrecklich gefühlt. Viele Freunde hatten Angst und überlegten, Brasilien zu verlassen."
Im Wahlkampf ist Bolsonaro immer wieder mit seinen Sprüchen aufgefallen. "Ich bin homophob und stolz darauf", lautete einer seiner Sprüche.
Den Wandel erlebt Bruno nicht nur auf der Straße und im Supermarkt, sondern auch in der eigenen Familie. Mutter, Vater, Tante - alle haben sie Bolsonaro gewählt. Seit Bolsonaros Wahlsieg äußern sich Brunos Eltern viel häufiger schwulenfeindlich. Ohne zunächst zu wissen, dass ihr eigener Sohn Männer liebt. Bruno hält das irgendwann nicht mehr aus. Kurz vor Weihnachten schreibt er seiner Familie einen Brief und outet sich:
"Bolsonaros Kampagne hat es möglich gemacht, dass Leute offen homophob sein können. Als dann auch meine Familie anfing, so zu sprechen, musste ich dem etwas entgegnen. Sie müssen lernen, dass wir nicht krank sind, dass wir ganz normale, aufrichtige Personen sind, die ein Leben wie jeder andere führen wollen. "
Die Gewalt nimmt zu
Während Bruno von seiner Familie erzählt, hat sich Thiagos Gesichtsausdruck verändert. Besorgt schaut er seinen Partner an. Brunos Eltern haben den Kontakt abgebrochen. Die Homosexualität ihres Sohnes können sie nicht akzeptieren. Viele Brasilianer denken wie Brunos Eltern. Dabei gibt es in Brasilien seit 2013 die Ehe für Alle. Schwule und lesbische Paare dürfen Kinder adoptieren. Transpersonen können ihr Geschlecht im Pass ändern.
Trotz dieser Fortschritte nimmt die Gewalt zu. Im Wahlkampfjahr 2018 registrierte die NGO "Grupo Gay da Bahia" 320 Tötungsdelikte mit homo- oder transphoben Hintergrund. Auf der einen Seite ist da die gesellschaftliche Anerkennung, auf der anderen die massive Gewalt. LGBT-Aktivist Julio Moreira von der NGO "Arco Iris" glaubt, dass beides miteinander in Verbindung steht:
"Es ist wie in der Physik. Wenn du gegen eine Wand schlägst, dann kommt dir die gleiche Energie entgegen, die du in den Schlag steckst. Und so ist es auch mit LGBT-Rechten in Brasilien. Die Konservativen reagieren mit Wut. Und manche sogar mit Gewalt."
Einfluss der Freikirchen
Es ist gibt große Unterschiede zwischen Stadt und Land: Die Macho-Kultur ist in Brasilien immer noch stark ausgeprägt. Außerhalb der Metropolen gibt es wenig Toleranz für alternative Rollen- und Geschlechterbilder. Dazu kommt, dass immer mehr Brasilianer in evangelikale Kirchen gehen. Die ultrakonservativen Pfingstgemeinden versprechen ihren Jüngern Wohlstand und Ordnung in einer Gesellschaft, die mit Armut und Kriminalität zu kämpfen hat. Gleichzeitig wird in vielen Freikirchen gegen Homo- und Transsexuelle gewettert. Auch Bolsonaro ist Anhänger einer solchen Kirche.
Für die Rechte von LGBT-Menschen gibt es in Brasilien keine breite Mehrheit. So wurde etwa die "Ehe für Alle" gar nicht vom Parlament verabschiedet. Stattdessen haben Gerichte eine Änderung der Gesetze veranlasst. Eine breite politische Diskussion hat es nicht gegeben. Auch in den Lehrplänen der Schulen findet Diversität kaum statt. Programme gegen Homophobie seien die Ausnahme, sagt Aktivist Julio Moreira.
"Bolsonaro dämonisiert solche Projekte an Schulen. Er sagt, wir würden Homosexualität propagieren und die Kinder zu Schwulen, Lesben oder Transgender machen. Das ist alles völlig verrückt."
"Die Attacken kommen von allen Seiten"
In der Regierung gibt es eigentlich eine Ministerin, deren Auftrag es ist, sich für den Schutz von LGTB-Menschen einzusetzen. Doch Damares Alves, außerdem zuständig für Frauen und Familien, weigert sich. Die ehemalige evangelikale Pastorin lehnt es aber ab, die LGBT- Community als Teil ihres Mandats zu betrachten. Sie kritisiert die, wie sie es nennt, "Genderideologie" und spricht von einer neuen Ära Brasiliens, in der Jungs wieder blau tragen und Mädchen wieder pink. Ob die Regierung plant, homo- und transsexuellen Menschen ihre hart erkämpften Rechte wieder wegzunehmen - das wird sich noch zeigen.
Seit Bolsonaro Präsident ist, hält er sich bislang noch mit verbalen Attacken zurück. Bruno und Thiago befürchten, dass das nicht so bleibt. Und noch etwas beunruhigt sie: Die beiden arbeiten am Theater. Auch hier fürchten sie den Einfluss des neuen Präsidenten:
"Die Regierung hat vor, die wenigen Gelder, die es im Kulturbereich gibt, noch weiter zu kürzen. Bolsonaro sagt, Künstler würden Gelder veruntreuen. Unsere Bezahlung sei doch der Applaus. Wir werden also sowohl als Homosexuelle und auch als Künstler angegriffen. Die Attacken kommen von allen Seiten."