Der Kampf um Identität
In der Türkei nehmen gewaltsame Übergriffe auf queere Menschen zu. LGBTQ-Rechte sind nicht in der Verfassung verankert, die Community damit gesetzlich nicht geschützt. Körperliche und verbale Angriffe sind die Folge. Wie leben unter diesen Umständen?
Ein kleines Fußballfeld in Istanbul. Weiße Netze umspannen den Kunstrasenplatz, damit der Ball nicht auf die stark befahrenen Straßen ringsum geschossen wird. Dahinter ragt das Minarett einer Moschee hervor. Gelbe Taxis rauschen am Spielfeld vorbei.
Am Rand stehen etwa dreißig Zuschauende, bejubeln die Spielerinnen und Spieler in ihren rosafarbenen Trikots. Menschen verschiedener Geschlechter kicken zusammen, gegeneinander. Eine von ihnen ist Derya, sie organisiert das lesbisch-schwule Fußballspiel:
"Wir sind alle super euphorisch, wenn wir hierherkommen. In der Türkei erleben wir ansonsten sehr viel Unterdrückung. Es geht darum, einen eigenen Ort zu haben. Wir sind eingeengt wie in Gettos und haben einen Punkt erreicht, an dem wir nicht mehr atmen können.
An dieser Stelle ist es sehr wertvoll, zusammenzukommen, Sport zu machen, Ideen und Erlebnisse auszutauschen. Daher geht es trotz allem immer und immer wieder darum weiterzumachen, um am Atmen zu bleiben."
Fußball ist die beliebteste Sportart in der Türkei. Allein in Istanbul spielen drei Sportclubs in der Süper Lig – ähnlich der Bundesliga. Dennoch: viel Raum für lesbische Frauen, schwule Männer oder queere Menschen bleibt auf dem Rasen kaum.
Eine Queerolympix als Alternative zur Olympiade
Derya stört das, sie gründete den Fußballverein Atletik Dildoa – der Name ist ein provokantes Wortspiel aus dem spanischen Club Athletic Bilbao und dem türkischen Wort für Dildo.
Immer mehr Lubunya – eine Selbstbezeichnung derer, die sich nicht mit dem heteronormativen Bild identifizieren – wollten selbst endlich mitbolzen. Mit der Zeit entstand so ein jährliches Turnier:
"Die Queerolympix ist eine von Atletik Dildoa organisierte Veranstaltung. Sie entstand, als unsere Gruppe aus Aktivistinnen zusammenkam und wir feststellten, dass es für uns einfach keinen Platz gab.
Da wir in herkömmlichen Teams nicht erwünscht sind oder einfach nur, weil wir Lubunyas sind und deshalb diskriminiert werden, fragten wir uns: 'Warum organisieren wir nicht einfach unsere eigene Olympiade?' Unsere Vision setzten wir in die Realität um. Nun machen wir das Event Queerolympix in diesem Jahr schon zum fünften Mal."
Auf das Trikot der sportlichen Frau ist ein Einhorn mit Regenbogen gedruckt. Immer wieder fährt ein Polizeiauto mit heruntergelassenem Fenster am Fußballkäfig vorbei. Das bunte Treiben wird beobachtet.
Verstoß gegen allgemeine Moral und gute Sitten
Angemeldet ist das lesbisch-schwule Fußballturnier nicht. Lediglich den queeren Sportlerinnen und ihren Freunden wurde im Vorfeld der Standort auf der asiatischen Seite Istanbuls gesendet. Auch auf Instagram teilt die sonst gut vernetzte queere Gemeinschaft nichts über das geheime Turnier. Aus einem guten Grund:
"Beim letzten Event, als wir bereits alles mühevoll vorbereitet hatten, auf den Platz kamen und eigentlich nur Fußball spielen wollten, erwarteten uns Wasserwerfer und eine Menge Polizisten.
Mit einem Beschluss der Staatsanwaltschaft wurde uns erklärt, dass unser Turnier nicht stattfinden darf. Letztendlich lag die Sicherheit von allen Teilnehmenden in unserer Hand. Wir waren quasi gezwungen zu gehen."
Angeblich verstieß das Fußballspiel gegen die allgemeine Moral und die guten Sitten. Diese Bestandteile der türkischen Verfassung legen Gerichte und Behörden immer wieder breit gegen LGBTQ-Personen aus.
Istanbuler Stadtverwaltung verbietet Pride-Parade
Seit 2015 untersagt die Istanbuler Stadtverwaltung die Pride-Parade. So wurde auch in diesem Jahr die Veranstaltung auf der Istiklal Çaddesi, der Straße der Unabhängigkeit, verboten. Dennoch: Hunderte Lubunyas versammelten sich, trotzten dem Demonstrationsverbot. Für mehr Freiheiten, für ihre Rechte. Eine von ihnen ist die Sängerin Liana Georgi.
In ihrer Musik sehnt die Berliner Sängerin Veränderung herbei, demonstriert aber auch als Aktivistin auf der Straße. Im Juni stellte sie sich auf dem illegalen Pride-Marsch zwischen Polizei und türkische Demonstrierende, damit diese sicher protestieren können, ohne von der Staatsgewalt geräumt zu werden.
Ihr Bild geht viral. Eine junge Frau bremst die rabiate türkische Exekutive in aller Gelassenheit aus. Sogar die Pop-Ikone Madonna verbreitet das Video auf ihren sozialen Kanälen. Dabei war Lianas Handeln eher ein spontaner Gedanke:
"Ich möchte, dass die zumindest mal für zwei Minuten in Ruhe laufen können, da ist mir auch gerade mal egal, was mit mir passiert. Es war heiß und die haben uns in kleinere Gruppen unterteilt, weil sie von allen Seiten kamen.
Wir waren einfach müde und ich war so stolz auf all diese Menschen vor mir, die, obwohl sie hier leben, den Mut fassen, auf die Straße zu gehen und sich in Gefahr bringen, dass ich für sie da sein wollte und sie schützen wollte."
Tränengas und Gummigeschosse
Obwohl durch ihre Geste auf der Straße der Unabhängigkeit für einige Augenblicke die Regenbogenfahne wehte, wurden 25 Personen inhaftiert. Mit Tränengas und Gummigeschossen löste das autokratische Regime die friedliche Versammlung auf. Buğra Büyükşimşek ist einer der Demonstrierenden, versorgte in seiner Wohnung Verletzte des Polizeiaufgebots.
Unweit des Gezi-Parks öffnet Buğra das Fenster seiner Erdgeschosswohnung. Der Blick fällt durch die schwarze Vergitterung auf die ruhige Seitenstraße. An den Sommertag der eskalierten Pride kann er sich gut erinnern:
"Ich sah jemanden, der kurz davor war, bewusstlos zu werden, also brachte ich ihn zu mir nach Hause. Ich nahm immer mehr Verletzte in meiner Wohnung auf. Irgendwann waren da 30, 40 Leute.
Ich versuchte, das Gesicht einer Person vom Pfefferspray auszuwaschen – jemand konnte nicht mehr atmen. Es war furchtbar. Meine Straße war voller Menschen: Ich reichte ihnen Wasser, nahm ihre Handys zum Aufladen."
Buğra trägt dasselbe pinkfarbene T-Shirt wie am Tag des Protestes. Seine Wangen sind dezent geschminkt, die Fingernägel lackiert. Der junge Mann hat eine akademische Kunstausbildung genossen. Arbeitet als professioneller Tänzer und Model. Bei seinen Auftritten trägt er hohe Schuhe, enge Oberteile.
"Ich fühle mich wirklich sicher hier"
In seinem Viertel Çihangir kann Buğra sich frei bewegen:
"Vor zwei Wochen trug ich einen Rock. Und der war super kurz geschnitten. Auf der Straße begegnete ich zwei Polizisten, sie schauten mich an und ich sagte: Hiiiii – das wars.
Wir haben weder darüber gesprochen, noch haben sie mir etwas angetan. Das ist super cool in meinem Viertel, die Menschen sind frei von Vorurteilen, die Polizei kommt selten. Ich fühle mich wirklich sicher hier."
Das ist nicht überall so. Çihangir gilt als gentrifizierter Stadtteil. Zu den traditionellen Teehäusern, die den schwarzen Çay für wenige türkische Lira ausschenken, gesellen sich immer mehr Caféketten und Cocktailbars.
LGTBQ-Onlineplattformen sind gesperrt
Hier lernt sich die queere Gemeinschaft kennen, trifft sich für Dates. Onlineplattformen für gleichgeschlechtliche Treffen – wie Grindr oder Hornet – sind durch die türkische Kommunikations- und Technologiebehörde gesperrt.
"Istanbul ist eine Riesenstadt. Leute haben die Möglichkeit, sich überall zu treffen. Natürlich ist es schwerer als in politisch freieren Ländern.
Aber wenn du selbstbewusst bist, flirten willst, sprichst du die Menschen auf der Fähre, in der Metro, auf der Straße oder wo auch immer an. Das ist wirklich nicht so schwer, aber klar, diese Art von Dating-Apps erleichtern es schon, jemanden zu treffen."
Buğra Büyükşimşek blickt hoffnungsvoll in die Zukunft. Obwohl gewaltsame Übergriffe auf queere Menschen zunehmen.
Queere Menschen sind nicht geschützt
Zwar ist Homosexualität in der Türkei keine Straftat: LGBTQ-Rechte sind nicht in der türkischen Verfassung verankert und queere Menschen damit gesetzlich nicht geschützt. Doch es gab auch bessere Zeiten, zeigt ein Blick in die Vergangenheit.
Der Sänger Zeki Müren. Der Musiker aus den 60er-Jahren stand für eine liberale Türkei, kleidete sich unkonventionell. Homosexuelle Türken hatten ihr Coming-out oft mit den Worten: Ich bin wie Zeki Müren.
Anders als in westlichen Ländern war Schwulsein kein Straftatbestand in der Türkei. Im Jahrzehnt darauf änderte sich die liberale Politik der Republik, weiß Professor Dr. Zülfukar Çetin:
"1974 gab es einen Regierungswechsel in der Türkei. Die CHP, das ist die sozialdemokratische Partei, hatte die Wahlen gewonnen. Allerdings musste sie mit der MHP – das ist eine nationalistisch-proislamische Partei – koalieren. Durch die Koalition hat sich einiges geändert. Vor allem hat die MHP das Innenministerium übernommen.
Das heißt, innere Sicherheit fiel in die Zuständigkeit dieser Partei. Viele Bars wurden geschlossen, die Arbeitsmöglichkeiten von LSBTI wurden sehr stark eingeschränkt. Um die allgemeine Moral der Gesellschaft angeblich zu schützen."
Die Haare der Transfrauen wurden abrasiert
Prof. Dr. Çetin bekleidet eine Professur für Migration und Diversity an der evangelischen Hochschule in Berlin. Er forscht zur Queer-Bewegung in der Türkei vor und während der konservativen AKP-Regierung. So nahmen die Repressionen in den Achtzigerjahren noch einmal zu:
"Freiheiten wurden beschnitten, Vereine wurden geschlossen, Menschen wurden verfolgt. Transsexarbeiterinnen wurden Opfer der polizeilichen Gewalt. Sie wurden mit Zügen außerhalb der Stadt in Randgebiete transportiert.
Sie mussten gefangen bleiben in Gefängnissen – dort wurden sie erniedrigt, indem man sie physisch gefoltert hat. Für Transfrauen ist es wichtig, dass die Haare schön sind. Ihre Haare wurden von den Sicherheitsmenschen abrasiert."
Erdogan verspricht viel und hält nichts
Im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei sollte sich die Lage für LGBTQ-Personen wieder verbessern. Vor den Parlamentswahlen 2002 sprach sich der spätere Präsident Erdogan für mehr Gleichberechtigung aus:
"Es ist zwingend notwendig, dass Homosexuelle gesetzlich geschützt werden. Die Bedingungen, denen sie ausgesetzt sind, sind unmenschlich."
Doch bis heute fehlt es am gesetzlichen Schutz für LGBTQ-Personen. Erdogan, der in einer Koalition mit der rechtsextremen MHP regiert, äußerte sich 2020 konträr zu seinem damaligen Versprechen:
"LGBT, so etwas gibt es nicht. Dieses Land ist nationalistisch, spirituell und wird mit diesen Werten in die Zukunft gehen."
Onlinepetition mit über 60.000 Unterschriften
An der Promenade der Küstenstadt Izmir wird es langsam Abend. Händler präsentieren geröstete Kastanien, gekochten Mais. Die zahlreichen Fischrestaurants sind gut besucht, ältere Herren versuchen ihr Glück beim Angeln direkt am Ufer. Melih, ein junger Mann, kurze Jeanshose, runde Brille, setzt sich auf den Boden und streichelt einen Straßenhund:
"Mein größter Traum ist die Legalisierung der Ehe für alle. Liebe ist nichts Verächtliches. Jeder sollte die Möglichkeit haben, die Person zu heiraten, die man liebt."
Der Student der Molekularbiologie ist an der Ägäisküste geboren. Als Aktivist fordert er eine Änderung der türkischen Verfassung, die Aufnahme von LGBTQ-Rechten. Er initiiert eine Onlinepetition mit mittlerweile mehr als 60.000 Unterschriften. Dabei geht es dem 20-jährigen Melih vor allem um internationale Aufmerksamkeit:
"Die Situation in der Türkei ist schrecklich. Die LGBTQ-Community ist alltäglich physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt.
Ich glaube, ich habe mit der Petition einen Dominoeffekt gestartet. Von Tag zu Tag wachen immer mehr Leute auf, die sich über die Situation bewusstwerden und eine Veränderung möchten."
Höchste Rate an Hassverbrechen gegenüber Transmenschen
Eine Reform des Rechtssystems würde sich positiv auf alle Lebensbereiche der queeren Türkinnen und Türken auswirken:
"Die Hassverbrechen könnten abnehmen. Die Türkei weist die höchste Rate an Hassverbrechen gegenüber Transmenschen aus. Die LGBTQ-Community hat prekäre Beschäftigungsverhältnisse, durch die Petition würden sich die Arbeitsverhältnisse verbessern.
Aufgrund der aktuellen Situation arbeiten Transfrauen meist als Sexarbeiterinnen. Ebenso sind viele queere Menschen suizidal oder Gewalt ausgesetzt. Meiner Meinung nach würde sich das verändern."
Die Notwendigkeit einer Verfassungsreform
Von 2008 bis 2020 wurden mindestens 54 Transmenschen in der Türkei getötet, Höchstwert in Europa. Zum Vergleich: Im ebenso stark bevölkerten Deutschland gab es zwei Morde an Transmenschen. Offizielle Statistiken seitens der türkischen Behörden gibt es nicht. Die Notwendigkeit einer Verfassungsänderung begrüßt auch Professor Çetin:
"Die Verfassung der Türkei sollte reformiert werden, das Gleichheitsgebot müsste neu formuliert werden, das ist Paragraf 10. Dass das Merkmal sexuelle Orientierung oder sexuelle Identität dann aufgenommen werden sollte in diesen Paragrafen.
Die Türkei hat nach wie vor kein Antidiskriminierungsgesetz. Das heißt, wenn jemand LSBTI-Personen wegen der sexuellen Orientierung diskriminiert, kann die Person sich gegen die Diskriminierung nicht wehren. Gesetzlich gibt es kein Mittel dagegen."
In einem Land, in dem die Regierung gleichgeschlechtliches Onlinedating sperrt und Regenbogenfahnen für unter 18-Jährige verbietet, träumt Melih von besseren Zeiten. Im nächsten Jahr möchte er wegziehen. Der junge Mann von der Ägäisküste blickt noch einmal auf das Lichtermeer von Izmir und verschwindet in der Nacht.
"Die Polizei hört uns nicht einmal zu"
Das turbulente Istanbul. Hier traut sich eine Frau etwas, das sonst nur wenige Menschen tun: Fahrrad fahren im unübersichtlichen Straßenverkehr. Einen Helm trägt Ecrin Bolkar nicht. Dafür Baseball-Mütze, kurz geschnittene Lederjacke. Die 34-jährige Transfrau sieht die Gefahren an anderer Stelle:
"Für mich geht Selbstschutz immer vor! Hier gibt es keine rechtliche Sicherheit. Trans-Morde sind systematisch, politisch motiviert. Wenn uns etwas passiert, hört uns die Polizei ja nicht einmal zu. Mit der Zeit haben wir gelernt, uns selbst zu beschützen."
In ihrem Lieblingscafé fühlt sich die Transfrau sicher. Für die Türkei unüblich, die Toiletten sind unisex. Auf einem braunen Ledersofa nimmt Ecrin Platz, bestellt einen frisch gepressten Saft. Ecrin teilt gerne ihre Geschichten. Anders als viele Transfrauen in der Türkei ist sie nicht als Sexarbeiterin tätig. Ihre Lira verdient sie mit ihrer Stimme. Synchronisiert türkische Serien, arbeitet als Sängerin. Weniger gefährlich findet sie das nicht:
"Als ich als Sängerin arbeitete, bestand ein Gast lange darauf, dass ich mich zu ihm an den Tisch setze. Der Veranstalter bat mich darum, also habe ich mich zu dem Gast gesetzt. In dem Moment als ich mich hinsetzte, nahm der Besucher mein Bein und legte es auf seinen Schritt.
Plötzlich zog er eine Pistole raus, zielte auf meinen Fuß und drohte: Wenn du dein Bein wegnimmst, schieße ich! Es überkam mich. Ich wurde sehr wütend, nahm den Tisch und schlug ihn über den Mann."
Wenn Ecrin erzählt, funkeln ihre Augen. Sie wirkt gefasst, selbstsicher. Ihr Terminkalender ist voll. Mittlerweile kann die Künstlerin gut von ihren Aufträgen leben.
Gesetzgebung zwingt Transfrauen zur Sexarbeit
Dennoch kritisiert Ecrin Bolkar die diskriminierende Gesetzgebung. Transfrauen würden dadurch quasi in die Sexarbeit gezwungen:
"Die ersten Schritte ins Arbeitsleben waren sehr hart. Selbst in einem Kiosk an der Kasse konnte ich nicht arbeiten. Auch kellnern ging nicht. Egal für welche Fachrichtung man sich interessiert, welchen Uni-Abschluss man mitbringt, wie talentiert man in etwas ist – man bekommt einfach keine Arbeit.
Nur aufgrund dessen, dass ich trans bin, war ich völlig anderen Bedingungen ausgesetzt. Um als Transfrau eine Arbeit zu bekommen, muss das im Rahmen eines sozialen Projekts geschehen – so sollte das nicht sein. Wenn ich mich vorstelle, soll man mich als Menschen wahrnehmen. Aber nur meine Trans-Identität wird gesehen. Nicht meine Talente, nur mein Geschlecht. Das macht mich traurig."
Der Zwang für Transmenschen zur Operation
In der Türkei herrscht eine reaktionäre Transpolitik. So gibt es die beiden Geschlechtsmerkmale männlich und weiblich.
Damit Transfrauen auch den rechtlichen Status einer Frau erhalten, müssen sie sich einer vollständigen Geschlechtsangleichung unterziehen. Andernfalls erkennen Behörden die Geschlechtsidentität nicht an, nehmen keine Personenstandsänderung vor. Diese Bürokratie zwingt viele Transmenschen zu einer Operation, um den alltäglichen Erniedrigungen zu entkommen.
"Damals den Ausweis rauszuholen, war enorm unangenehm. Selbst im Hotel wurde ich nicht reingelassen, bei Ausweiskontrollen zum Beispiel im Einkaufszentrum kam ich nicht rein, nur weil es ein männlicher Ausweis war. Mir wurden sämtliche Dienstleistungen verwehrt – nicht mal essen gehen war möglich.
Wenn die Lebensumstände nicht so schwierig gewesen wären, wir wenigstens minimalen Schutz oder eine Wohnung bekämen… vielleicht hätten wir uns die Operation dann einige Male öfter überlegt. Zu 70 bis 80 Prozent waren das die Gründe für eine Geschlechtsangleichung. Du gibst deine Geschlechtsteile her für das Gesetz. Das ist absurd. Im Gegenzug erhalte ich alle Rechte, die einer Frau zustehen. Nur dass dafür nicht so viel Blut fließen sollte."
Auf der anderen Seite des Bosporus, zurück auf der asiatischen Seite von Istanbul. Das Fußballspiel neigt sich dem Ende zu. Zu einem Polizeieinsatz kam es heute nicht, die Behörden haben nichts von dem geheimen Turnier erfahren. Das queere Leben in der Türkei, es findet unterm Radar des Halbmondes statt. Derya, Liana, Bugra, Melih, Ecrin – sie alle könnten unterschiedlicher nicht sein. Was sie eint, ist der tägliche Kampf um Identität.