Libanon

Mit der Reisegruppe durchs Krisengebiet

Die Touristenführerin Mira Minkara
Die Touristenführerin Mira Minkara in Tripoli © Deutschlandradio Kultur / Sophie Garke
Von Sophie Garke · 04.06.2016
Tripoli als Urlaubsziel – eher unvorstellbar, oder? Zumal das Auswärtige Amt regelmäßig Reisewarnungen für Libanons zweitgrößte Stadt herausgibt. Die Toursitenführerin Mira Minkara kämpft gegen das Negativimage: Sie führt Touristen durch ihre Heimatstadt, aus Trotz und Überzeugung.
"Ich weiß nicht, ich glaube, wir sind irgendwie immun gegenüber der Situation. Wir spüren eigentlich nichts. Wir fühlen uns wie benommen. Wir fühlen uns müde."

Eine schlanke, junge Frau. Sonnenbrille, offenes Haar, Bluse und Jeans.
"Mein Name ist Mira Minkara."
Muslima mit sufistischer Orientierung. Touristenführerin.
"Ich bin aus Tripoli. Ich habe 1998 begonnen, Tourismus zu studieren. 2002 habe ich meinen Abschluss gemacht. Als ich 1998 mit dem Studium begann, war das die Zeit des libanesischen Wiederaufbaus. Alle waren so voller Hoffnung. Der Krieg war zu Ende. Alle waren begeistert. Beirut wurde wieder aufgebaut. Alles entwickelte sich gut. Aber dann 2002, 2003, 2004 ging es los mit den Attentaten und politischen Problemen im Land."

Sie macht Werbung für Tripolis, wo sie nur kann

Mira ist Tripolitanerin von ganzem Herzen. Sie liebt dieses Fleckchen Erde. Die Menschen, die Märkte. Auch sie muss zwar immer wieder zum Arbeiten nach Beirut, aber Tripoli, das ist Heimat. Sie macht Werbung für ihre Stadt, wo sie nur kann.
Vor ein paar Jahren sprang der Bürgerkrieg in Syrien auf die grenznahe Hafenstadt im Norden des Libanons über. Befürworter und Gegner des Baschar-al-Assad-Regimes lieferten sich bewaffnete Auseinandersetzungen. Der syrische Bürgerkrieg im Kleinen. Schlechte Zeiten für Tourismus.
"Setzt euch hierher zu mir…"
Sollte man meinen.
"Okay, während sie sich Zeit lassen, nehme ich mal ein bisschen Energie zu mir."

Futuristische Gebäude Oscar Niemeyers

Mira beißt in ihr Brot und trotzt dem Krieg. Wann immer sie kann, wann immer es die Umstände erlauben, bringt sie Touristengruppen nach Tripoli. Das ist ihr Beruf und verdient hat es ihre Heimatstadt allemal, dass sie gesehen wird: Mamlukische Bäder, Straßen und Basare, das armenische Viertel Mina, der verwitternde Bahnhof - den die Tripolitaner liebevoll als den letzten Halt des Orient-Express bezeichnen - und nicht zuletzt das futuristische Gelände Oscar Niemeyers.
"1962 kam Oscar Niemeyer hier her. Ihr wisst, wer Oscar Niemeyer ist, oder? Soll ich es euch erzählen? Okay, Oscar Niemeyer ist einer der berühmtesten… der berühmteste brasilianische Architekt."
Und weil die Libanesen "sexy, trendy things" mögen, wie Mira erklärt, bekam Niemeyer in den 1960ern den Auftrag, der Stadt Tripoli ein avantgardistisches Messegelände zu bauen. Mit ihren Gruppen steht Mira hier oft unter einer der gigantischen Himmelsöffnungen in der Betondecke einer Freilufthalle.
"Er war sehr inspiriert von Frauen. Viele Architekten behaupten, dass das hier eine vaginale Form ist. Also, eine sehr vaginale, weibliche Form."

Das Kaufhaus wurde zum Internierungslager

Avantgardismus in Nahost war das allemal. Das Gelände wirkt wie ein riesiger, begrünter Abenteuerspielplatz aus Beton. Weit und leer. Erlebnisarchitektur, nur nie ganz fertiggestellt. Der Krieg kam dazwischen, wie so oft.
"In diesem Teil gab es ein Internierungslager. Das Kaufhaus wurde als Lager, Gefängnis oder für Folterungen genutzt."
Syrische Soldaten belagern in den 1980ern das Niemeyer-Gelände und schmieden Allianzen mit den Assad-treuen Alawiten in Tripoli. Es kommt zu Massakern. Als die Syrer gehen, lassen sie verfeindete Stadtteile zurück. Tripolis jüngste Konflikte - die auch Miras Arbeit als Touristenführerin schaden - sind für die junge Frau Spätfolgen dieser Zeit.
"Am Ende gibt es natürlich verfeindete Leute. Aber der Konflikt ist politisch. Man bietet ihnen Geld, weil sie sehr arm sind. Ich meine, wenn du arbeitslos bist und du hast nichts zu essen, du hast gar nichts und sie geben dir 5000, wenn du auf deinen Nachbarn schießt, dann würdest du's tun."

Seit über einem Jahr ruhen die Kämpfe

Mittlerweile gibt es einen Sicherheitsplan für Tripoli. Und seit über einem Jahr ruhen die Auseinandersetzungen zwischen dem verfeindeten alawitischen und dem sunnitischen Stadtteil. Doch Tripolis Image ist stark beschädigt.
Mira hat genug vom Krieg. Das Leben braucht mehr Perspektiven als den Tod. Vor anderthalb Jahren hat sie begonnen, die ersten 25 Touristen durch ihre Heimatstadt zu führen. Das kam vielen vor wie ein Wunder. Mira erinnert sich noch genau an das erste Wiedersehen.
"Irgendwann sagte jemand zu uns: Oh, wir haben euch so vermisst! Aber in einer sehr arabisch-emotionalen Art. Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, weil ich sah, wie berührt die Menschen waren, dass irgendjemand uns endlich besuchen kommt. Dass wir nicht einfach nur diese sich selbst überlassene Stadt mit den bewaffneten Auseinandersetzungen sind. Ich will mit diesem Stigma, dem Tabu, der Angst brechen. Und deshalb widersetze ich mich und bestehe weiterhin darauf, Ausländer und Libanesen nach Tripoli zu bringen."
Mehr zum Thema