"Wir brauchen eine Synagoge, keine Luxuswohnungen"
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Vor 15 Jahren wurde die jüdisch-liberale Gemeinde in Hamburg gegründet. Bis heute suchen die Mitglieder nach eigenen Beträumen, denn sie gehören nicht der Einheitsgemeinde an. Das sorgt für Spannungen, zumal in der Hansestadt liberale Geschichte geschrieben wurde.
Ein kalter Dezembertag in der Hamburger Neustadt, kurz nach Einbruch der Dunkelheit. In der Poolstraße, im ältesten Teil der Stadt, zwischen Messe und Musikhalle, stehen vierstöckige Gründerzeitbauten. Die Autos vor den Häusern parken dicht an dicht. Auf dem schmalen Bürgersteig vor Hausnummer 11 steht ein LKW, davor ein laut brummender Generator, auf der glatten Seitenfläche des Fahrzeugs die Projektion eines Fotos.
Es ist kalt. Eine kleine Gruppe dunkel gekleideter Menschen steht dichtgedrängt vor dem Durchgang zum Hinterhof von Nummer 12. Ein großer Mann mit schwarzrandiger Brille und langem dunklen Mantel begrüßt die Anwesenden. Es ist Michael Batz, der Hamburger Lichtkünstler. Er ist verstimmt:
"Geplant war, dass wir vor den Resten der ehemaligen Synagoge, des Tempels in der Poolstraße, ein Lichtzeichen setzen, ein ganz bescheidenes, kleines Lichtzeichen am Eingang und eine Projektion eines historischen Bildes in die Apsis. Der Eigentümer hat mich wissen lassen, schriftlich, dass er strikt verbietet, dass wir diese Aktion hier heute stattfinden lassen und dass wir sein Grundstück betreten."
Ein Ausdruck der Reform
Also findet die Veranstaltung eben vor dem Grundstück statt, auf der Straße. Der Durchgangsverkehr kommt zeitweise zum Erliegen. Nachbarn stehen an den Fenstern. Miriam Rürup, Direktorin des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden geht ans Mikrofon: "Wir hoffen, dass wir auch wenn wir nicht auf dem Hof sein können oder vielleicht sogar erst recht, dass wir ein bisschen Aufmerksamkeit auf diesen Ort lenken können, gerade auch die Anwohnerinnen und Anwohner aufmerksam machen können, was für ein Schatz in ihrem Hinterhof sich befindet, nicht nur eine wunderschöne Architektur, die sie hier hinter mir sehen, sondern auch ein architektonischer Ausdruck einer Reform des Judentums, wie es sie bis dahin nirgends gegeben hat."
Von dem Tempel ist leider nicht mehr viel zu sehen. Die Ruinen desselben liegen im Dunkel des Hofs hinter dem Durchgang. Auf den Fotos, die vor dem Haus projeziert werden, lässt sich erahnen, welche Strahlkraft der Tempel einst gehabt haben muss.
Erste Synagoge mit einer Orgel
"Das fängt eigentlich schon mit der Eingangssituation an. Es gibt einen Eingang, durch den Männer und Frauen zugleich gehen. Man betritt diesen Tempel schon gemeinsam. Dann sitzt man zwar noch nicht gemeinsam. Der große Unterschied zu vorherigen Tempeln aber beziehungsweise Synagogen ist, die Männer können auch die Frauen sehen. Allein das schon hat in der Hamburger jüdischen bürgerlichen Schicht für Furore gesorgt."
Als eine der ersten Synagogen hat die Poolstraße eine eigene Orgel und einen gemischten Chor. Die Gläubigen nennen ihr Gotteshaus "Tempel", ein Affront. Schließlich war dieser Begriff nach jüdischem Glauben bis dahin dem Jerusalemer Tempel vorbehalten, der von Gott selbst dereinst wiedererrichtet werden soll. Die Musik zur Eröffnung des Gotteshauses komponierte Felix Mendelsohn Bartholdy.
Das Ende der Hamburger Synagogen
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wächst die liberale jüdische Gemeinde in der Neustadt derart, dass ein noch größeres Bethaus her muss. 1931 wird der im Bauhausstil errichtete Tempel in der Oberstraße eingeweiht, mit Platz für 1200 Gläubige. Das Gebäude in der Poolstraße muss dann 1937 weit unter Wert zwangsverkauft werden. Ein aufgepeitschter Mob schändet und zerstört 1938 die Synagoge an der Oberstraße. Der ehemalige "Tempel Poolstraße" wird 1944 von einer Fliegerbombe getroffen. Nur der Eingang, eine Seitenwand und die Apsis bleiben stehen.
Wie 40 Jahre durch die Wüste
Vorbereitungen zum Schabbat im jüdischen Kulturhaus, in der Flora-Neumann-Straße: Zwei Frauen bereiten das Essen vor. Eike Steinig, Pressesprecher der liberalen jüdischen Gemeinde steht in der Küche. "Seit 14 Jahren versuchen wir eigentlich, feste Gebetsräume zu bekommen, also eine eigene Synagoge. Das ist das jüdische Kulturhaus, in dem wir uns befinden und wir müssen uns unsere Sachen mit einem Kindergarten teilen. Das ist sehr sehr schwierig." Schabbat wird manchmal im Kulturhaus und dann wieder in anderen Räumen gefeiert.
Dazu Steinig: "Auf Dauer ist das natürlich kein Zustand. Gerade mit unserer Tora-Rolle, die müssen wir immer von unserem Gemeindebüro her transportieren und das ist halt mit enorm viel Logistikaufwand. Es ist halt so ein bisschen wie in der Bibel 40 Jahre durch die Wüste. Ich hoffe nicht, dass wir 40 Jahre jetzt hier warten müssen, bis wir eigene Räume bekommen."
Schwierige Sicherheitslage
Auch die Sicherheit der Gemeinde ist ein echtes Problem. Spätestens nach den Anschlägen von Halle ist allen klar, dass bald etwas geschehen muss. "Wenn wir in der Simon-von-Utrecht-Straße sind, das ist dort kein sicheres Viertel, muss man wirklich so sagen. Wir sind gerne dort, es ist ein sehr schöner Raum der Betty-Heine-Saal, in dem Gebäude, was auch Salomon Heine mitgestiftet hat, das ehemalige Hauptgebäude des israelitischen Krankenhauses. Es ist ein wunderschöner Ort, aber es ist halt nicht sicher, auch für den Rabbiner dort durchzulaufen."
Das Reformjudentum startete in Hamburg
Die liberale jüdische Gemeinde Hamburg wurde 2004 von zwölf Personen neu gegründet und hat heute etwa 350 Mitglieder. Zu wenige, um in Verhandlungen mit der Stadt ausreichend Gehör zu finden. Finanzielle Mittel? Ebenso bescheiden. Das Verhältnis zur Einheitsgemeinde, die mittlerweile auch über einen liberalen Gottesdienst verfügt, ist schon immer sehr angespannt gewesen. Auch bei den aktuellen Diskussionen um die Synagogen kommen die Gemeinden nicht zusammen. Steinig appelliert während der Veranstaltung vor der Ruine des Tempels in der Poolstraße gegen das Vergessen jüdischer Geschichte.
"Das Reformjudentum ist in Seesen mitbegründet worden, aber letztendlich von Hamburg in die Welt ausgestrahlt. Wir alle sind aufgefordert, unser Engagement zu zeigen, um unser Kulturgut in dieser Stadt zu retten und vielleicht auch wieder einer würdigen Funktion zuzuführen. Das kann ein internationales Begegnungszentrum sein oder ein Museum hier einzurichten. Das würde dieses Viertel hier bereichern. Luxuswohnungen brauchen wir alle nun nicht hier."
In den 1930er Jahren gab es in Hamburg noch Orthodoxe, Konservative, Reformer und Liberale. Vier jüdische Gemeinden in einer Stadt. Eine Begegnungs- und Erinnerungsstätte in der Poolstraße würde wenigstens einen Teil der damaligen Vielfalt wieder sichtbar machen.