Ringen um die Aufarbeitung der Geschichte
Polnische Historiker und Künstler, die von ihrem Land eine konsequente und kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte fordern, haben derzeit nichts zu lachen. Jüngstes Beispiel dafür ist die Debatte um das geplante Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig.
Geht es um Geschichte in Polen, scheint Krach vorprogrammiert. Erst recht jetzt, denn durch die Gesellschaft ziehen sich tiefe Gräben. Das in Danzig geplante Museum des Zweiten Weltkrieges steht auf der Kippe.
"Diese großen Museen sind gewissermaßen Schlachtfelder der Geschichtspolitik der Liberalen versus die Rechte",
kommentiert der polnische Historiker Wlodzimierz Borodziej den gegenwärtig in Polen tobenden Museumsstreit. Die neue nationalkonservative Regierung will das fast fertige Museum über den Zweiten Weltkrieg in Danzig mit einem zweiten neuen Museum zusammenspannen - dem zur Westerplatte, mit dem auch das Weltkriegsmuseum eine ganz andere Ausrichtung bekommen würde.
Polnisch statt europäisch, lautet die Devise
"Das Museum des Zweiten Weltkrieges war ein liberales Projekt, besonders gefördert vom damaligen Ministerpräsidenten Tusk. Die Rechte hat dieses Projekt von Anfang an nicht gemocht. Das Projekt sei viel zu wenig polnisch, viel zu stark europäisch."
Polens Museumswelt ist in Aufruhr, denn mit den von der rechtskonservativen PiS-Regierung geplanten neuen Museen ist die Absicht verbunden, die Bevölkerung patriotisch, aber nicht unbedingt selbstkritisch an die eigene Geschichte heranzuführen.
Polens hochdekorierte Schriftstellerin Olga Tokarczuk hat kürzlich einen Shitstorm über sich ergehen lassen müssen. Für ihr neuestes, tausend Seiten starkes Buch über den abtrünnigen Juden Jakob Frank hatte sie die wichtigste Literatur-Prämie Polens, den Nike-Preis, bekommen und bei dieser Gelegenheit an ihre Landsleute appelliert, sich wie sie mit Religion und Geschichte kritisch auseinanderzusetzen. Morddrohungen waren die Folge.
"Polen hat eine koloniale Vergangenheit. Zwar ohne afrikanische Kolonien, aber Gebiete in der heutigen Ukraine oder Weißrussland wurden gewaltsam polonisiert, es gab Leibeigenschaft wie Sklaverei, durch die Polen reich wurde. Und dann die Pogrome an den Juden. Wir haben dazu keine ruhige Debatte, sondern immer nur erregte Auseinandersetzungen."
Plädoyer für schonungslose Vergangenheitsbewältigung
Ihr Plädoyer, sich so schonungslos wie die Deutschen mit der eigenen Geschichte zu befassen, brachte für ihre Gegner das Fass zum Überlaufen.
Schon gewöhnt an derartige Angriffe ist Jan Gross. Dem Historiker, der als erster über den polnischen Judenmord in Jedwabne schrieb, soll nicht nur der polnische Verdienstorden aberkannt werden, seine Widersacher sähen ihn am liebsten auch vor Gericht. Jüngster Anlass ist ein Artikel für über 20 internationale Tageszeitungen, in dem Gross schrieb, dass die Polen mehr Juden als Deutsche während des zweiten Weltkrieges umgebracht haben.
"Das tut weh, aber es ist eine Tatsache. Es ist relativ einfach nachzurechnen, wie viele Deutsche von Polen während der deutschen Besatzung getötet wurden: 25.000 bis 30.000. Die Zahl der polnischen Juden, die von Polen getötet wurden oder denunziert worden sind, ist um ein Vielfaches höher. Man weiß, dass ungefähr 10 bis 20 Prozent der Ghetto-Insassen geflohen sind.
"Dann gab es eine Welle, als die lokale Bevölkerung ihre jüdischen Nachbarn umgebracht hat. Und in dem sogenannten dritten Kapitel des Holocaust, nach der Vernichtung der Ghettos, dem Massenmord in den Vernichtungslagern , wo 200.000 bis 250.000 versuchten zu fliehen und sich unter der polnischen Bevölkerung zu verstecken, waren es Polen, die halfen bei der sogenannten Judenjagd, die häufig von den Deutschen organisiert, aber oft von der polnischen Bevölkerung unterstützt wurde. Nur 40.000 polnische Juden haben überlebt. Es sind viele Zehntausende, die zweifellos von Polen getötet wurden."
Neue Ressentiments unter Kaczynski
Polen als Kollaborateure, als Täter, polnische Gewalttaten an anderen Nationen – all dies wollen die Nationalisten nicht thematisieren. Stattdessen schüren sie wie während der Kaczynski-Regierung 2006 bis 2007 erneut Ressentiments, sagt der Historiker Borodziej.
"Antideutsch heißt in Polen im Augenblick antieuropäisch. Deutschland ist der Prügelknabe für die Europäische Union. In den Umfragen kann man das recht deutlich sehen: In den Zeiten der rechten Regierung steigt die Abneigung gegen Deutschland deutlich. Die Ressentiments, die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg vor allem, werden von den Rechten immer wieder mobilisiert."