Liberalismus

Was nicht verhandelbar ist

Mit dem selbstironischen Slogan "Keine Sau braucht die FDP" werben die Brandenburger Liberalen zwischen den Plakaten der SPD und der Linken.
Wohin steuert der Liberalismus in Deutschland? © dpa / picture alliance / Bernd Settnik
Von Ulrike Ackermann · 09.02.2015
Gerade nach dem Anschlag auf die Pariser Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" sei es notwendig, sich der liberalen Demokratie zu vergewissern, meint die Politikwissenschaftlerin Ulrike Ackermann. Zumal eine freidemokratische Partei aus der Bundespolitik gewählt wurde.
Nach dem grauenhaften islamistischen Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift "Charlie Hebdo" und ein jüdisches Geschäft im Herzen von Paris sind über vier Millionen französische Bürger für die Freiheit auf die Straße gegangen. Zwei Tage später fand eine Mahnwache in Berlin statt, an der sich die gesamte politische Elite und die Vertreter der drei großen Religionsgemeinschaften beteiligten und das Wort ergriffen für ein friedliches Zusammenleben von Juden, Christen und Muslimen.
Anders als in Paris stand weniger die Freiheit im Zentrum der Demonstration, sondern die Gleichheit, Brüderlichkeit und Glaubensfreiheit. Das liegt einerseits daran, dass unsere französischen Nachbarn vehement ihren Laizismus, also die Trennung von Staat und Religion verteidigen.
Andererseits zeigt es das schwierige Verhältnis der Deutschen zum Liberalismus. Nationale Einheit und Gleichheit waren bei uns schon immer höherwertiger als die Freiheit. Dabei ist gerade die Meinungsfreiheit nicht nur ein hart erkämpftes Recht, sondern zählt zu den nicht verhandelbaren Kernelementen einer freiheitlichen Demokratie.
Religion ist Privatsache
Sie kann zuweilen verletzend, brüskierend und überzogen sein – aber das müssen wir in unserer offenen Gesellschaft aushalten können. Doch auch im jüngsten Streit um Mohammed-Karikaturen werden in den Feuilleton-Redaktionen schon wieder in einer Art Selbstzensur die Linien gezogen. Die Grenze der Meinungsfreiheit soll der Respekt vor Religionen und religiösen Gefühle sein.
Waren wir da nicht schon einmal fortschrittlicher? Die Trennung von Staat und Religion war für uns ein mühseliger Prozess auf dem Weg in die Mündigkeit: Freiheit zur Religion und Freiheit von der Religion – mit der Quintessenz, dass Religion Privatsache ist und nicht den öffentlichen Raum kolonialisiert.
Das Diktum der Kanzlerin, der Islam gehöre zu Deutschland, fällt nun dahinter zurück. Natürlich gehören die rund vier Millionen Muslime, die hier leben, zu Deutschland – als Individuen. Die natürlich auch ihre Religion praktizieren können, wenn dies im Einklang mit dem Grundgesetz steht. Dieses schützt ausdrücklich die Grundrechte von Individuen und nicht von religiösen Kollektiven.
Der Satz der Kanzlerin ist deshalb wenig hilfreich für die endlich begonnene Debatte über die mangelnde Trennschärfe zwischen Islam und Islamismus, die Gefahr von Parallelgesellschaften, in der es Zwangsehen und Ehrenmorde gibt, oder über die Unterschätzung des Salafismus.
Mühsam erkämpfte Freiheiten bedroht
Auch die Wortschöpfung "islamophob" dient weniger einer offenen Debatte als vielmehr dem Zweck, Islamkritik und einen möglichen Zusammenhang von Religion und Gewalt von vorneherein zu diskreditieren.
So tragisch der Anlass auch sein mag: die Terroranschläge in Paris zwingen uns wieder einmal, uns über die grundlegenden Errungenschaften der liberalen Demokratie zu vergewissern, und genau hinzuschauen, wo und in welcher Weise unsere mühsam erkämpften Freiheiten bedroht sind. Dies berührt unsere westlichen Werte ebenso wie unseren Lebensstil.
Herausforderungen für einen modernen Liberalismus gibt es deshalb zu Hauf, beispielsweise das Dilemma von Freiheit und Sicherheit aufzulösen. Wie können sich offene Gesellschaften wirksam vor ihren Feinden schützen – ohne freiheitliche Prinzipien preiszugeben? Darüber wird auch in den USA anlässlich von Abu Ghraib und des NSA-Skandals heftig gestritten.
Wenn sich zu alldem die rechts- und linkspopulistischen Ränder in der politischen Landschaft weiter ausbreiten, ist liberales Denken und der Mut, die Freiheit offensiv zu verteidigen, nötiger denn je. Eine Partei, die das täte, im Übrigen auch.
Dr. Ulrike Ackermann, geb. 1957, Studium der Politik, Soziologie und Neueren Deutschen Philologie in Frankfurt/Main., ab 1977 Zusammenarbeit mit der Charta 77, dem polnischen KOR, der Solidarnosc und anderen Bürgerrechtsbewegungen in Ostmitteleuropa. Sie war verantwortliche Redakteurin der "Frankfurter Hefte/Neue Gesellschaft", wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Institut für Sozialforschung, Gründerin und Leiterin des Europäischen Forums an der Berlin-Brandenburgischen Akademie für Wissenschaften.Ulrike Ackermann ist Professorin für Politikwissenschaften und Direktorin des John Stuart Mill Instituts für Freiheitsforschung in Heidelberg. Buchveröffentlichungen: "Sündenfall der Intellektuellen", "Versuchung Europa", "Welche Freiheit. Plädoyer für eine offene Gesellschaft", "Eros der Freiheit. Plädoyer für eine radikale Aufklärung", "Im Sog des Internets" (Hg.), "Freiheitsindex Deutschland" 2011-2014 (Hg.), "John Stuart Mill. Ausgewählte Werke" (Hg.)
Die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Ackermann
Die Politikwissenschaftlerin und Publizistin Ulrike Ackermann© Imago/Horst Galuschka
Mehr zum Thema