Erwartungen an ein starkes Signal
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Bei der Libyen-Konferenz gehe es darum, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen, sagt der Journalist Mirco Keilberth, der aus Tripolis berichtet. Allerdings müsse man dafür erst einen Staat gründen und mit lokalen Strukturen zusammenarbeiten.
Die Libyen-Konferenz am Sonntag in Berlin soll dem afrikanischen Land eine dauerhafte Waffenruhe bringen. Um diese gegebenenfalls zu überwachen, schließt die EU auch einen Militäreinsatz nicht aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt Vertreter der Staaten, die Einfluss auf den Libyen-Konflikt haben. Erwartet werden viele wichtige Akteure, unter anderem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der russische Staatschef Wladimir Putin und US-Außenminister Mike Pompeo. Auch die in Libyen konkurrierenden Machthaber, Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch und General Chalifa Haftar haben ihr Kommen angekündigt.
Axel Rahmlow: Am Tag vor der Libyen-Konferenz in Berlin, wo die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen, damit in Libyen vielleicht ein echter Frieden entstehen kann. Es gibt eine Waffenruhe seit einigen Tagen, die auch zum größten Teil eingehalten wird, aber ob die Voraussetzungen geschaffen werden können, dass daraus etwas Dauerhaftes wird, das ist fraglich, weil es unglaublich viele Interessen in Libyen gibt, nicht nur von den Libyern selber, sondern von vielen anderen Ländern, die dort ihre Interessen vertreten wollen.
Bei uns ist Mirco Keilberth. Er ist Journalist und lebt und arbeitet seit Langem auch in Tripolis. Er ist in Berlin auch, um diese Konferenz zu beobachten. Wie würden Sie den Zustand des libyschen Staates beschreiben?
Mirco Keilberth: Libyen ist ja ein sehr junger Staat, war nur 17 Jahre lang unabhängig, bevor dann Gaddafi das Regime übernommen und hat und 42 Jahre geherrscht hat. Das heißt, alles war auf ihn zugeschnitten. Es gibt staatliche Institutionen, die funktionieren, die nationale Einheitsbank sozusagen, dann die Ölagentur. Insofern, einige Dinge funktionieren ganz gut – Geldüberweisung weiterhin zum Beispiel –, 70 Prozent der Libyer erhalten immer noch über die größten oder durch die größten Ölvorräte Afrikas ihr Geld, haben es also auf der Bank, aber der Rest funktioniert nicht.
Das heißt, Ost und West sind im Moment relativ stark gespalten. Es gibt zwei Armeen, es gibt zwei Regierungen, und dann gibt es sehr viele gut funktionierende lokale Strukturen auf Kleinstadtebene, aber zusammen können sie nicht regieren.
Schwierige Kontrolle
Rahmlow: Also ein zweites Syrien, wie es Bundesaußenminister Heiko Maas fürchtet, das sehen Sie im Moment noch nicht.
Keilberth: Das zweite Syrien würde entstehen, wenn ausländische Mächte diese sehr lokalen Strukturen für sich vereinnahmen. Das versucht die Türkei zum Beispiel. Auch Russland und Ägypten haben es versucht, um im Osten Fuß zu fassen, dort, wo die größten Ölvorräte sind. Aber der libysche Staat hat mit dem syrischen Staat eigentlich relativ wenig zu tun, denn Baschar al-Assad in Syrien hat ein sehr, sehr starkes Regime weiterhin bis zum Ende geführt und jetzt wieder eigentlich die Macht über die größten Teile übernommen.
In Libyen wird es wahrscheinlich niemanden gelingen, das gesamte Land zu kontrollieren, auch nicht Chalifa Haftar, die Einheitsregierung in Tripolis sowieso nicht. Die kontrolliert eigentlich nur die Innenstadt von Tripolis.
Rahmlow: Welche Chance sehen Sie dann für diese Konferenz, die morgen hier in Berlin stattfindet?
Keilberth: Ich glaube, der Ansatz ist schon ganz gut, denn die größten Ölvorräte Afrikas, 2.200 Kilometer Mittelmeerküste, über die auch die nächsten Jahrzehnte der Großteil der Migration nach Europa führen wird. Wer immer dieses Gebiet kontrolliert zwischen Ägypten und Tunesien, der wird natürlich auch über europäische Innenpolitik bestimmen können.
Im Moment geht es um Containment, es geht darum, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen. Ich denke, man muss auf lokaler Ebene anfangen, eigentlich erst einen Staat zu gründen und versuchen, mit lokalen Strukturen zusammenzuarbeiten. Und nicht diesen Top-Down-Ansatz zu fahren, der bis jetzt versucht wurde: Das heißt, eine Regierung zu installieren und dann zu glauben, dass diese im Land regieren kann. Man muss wirklich von unten anfangen.
Staaten als künstliche Gebilde
Rahmlow: Glauben Sie, dass so ein Neustart möglich ist jetzt nach beinahe zehn Jahren, in denen das Land doch Schritt um Schritt, zumindest von der Politik her, immer weiter in chaotische Zustände geschlittert ist?
Keilberth: Libyen ist ein gutes Beispiel für das, was wir in den nächsten Jahrzehnten in ganz Afrika sehen werden. Viele Länder sind ja eigentlich künstliche Gebilde. Auch Libyen ist von den italienischen Kolonialherren geschaffen worden. Die Grenzen sind relativ neu und es gibt eine Chance in Libyen. Wenn es dort nicht gelingt, dann frage ich mich, wo es sonst gelingen soll, denn das Land ist reich eigentlich, hat nur fünf Millionen Einwohner. Man muss wirklich die Lage ernstnehmen und vielleicht sogar Truppen hinschicken, auf jeden Fall das Ganze eher als Staatsgründung betrachten denn als Krise.
Rahmlow: Die Europäer denken ein bisschen darüber nach, für den Fall, dass es zu einer einheitlichen Friedenslösung kommen soll, Truppen hinzuschicken. Das würden Sie befürworten?
Keilberth: Das wird auf jeden Fall sehr schwierig werden. Wenn, dann müssten es Einheiten sein aus der Afrikanischen Union, aus arabischen Staaten und auch aus Europa. Es gibt jetzt noch eine Chance, diese Waffenruhe zu kontrollieren, die Kämpfe einzudämmen, die es sicherlich auch weiterhin geben wird. Ich sehe eigentlich keine andere Chance, dass man eine kleine UN-Friedenstruppe hinschickt.
Rahmlow: Aber von außen wirkt es so, dass das schwierig wird mit dieser Chance, wenn man auf der einen Seite die Türken hat, auf der anderen Seite auch die Russen. Dann gibt es die Ägypter, die in ihrem Nachbarland Interessen haben. Es gibt die Tunesier, das relativ kleine, relativ stabile Land, was dort Interessen hat. Die können tatsächlich alle an einen Tisch gebracht werden und können alle eine Lösung finden, mit der alle zufrieden sind?
Keilberth: Wir sehen schon, dass es gar nicht mal um Libyen geht. Es geht der Türkei darum, mit der Einheitsregierung in Tripolis einen Faustpfand zu haben im Öl- und Gasstreit mit Griechenland und mit Ägypten. Es geht den Nachbarländern darum, den Schmuggel aufrechterhalten zu können. Ein Liter Benzin kostet in Libyen 0,3 Eurocent. Daran können Sie schon sehen, wie lukrativ dieser Krieg und die jetzige Situation ist.
Das wird sehr schwierig, aber wenn wir eins gelernt haben aus den letzten Jahren, ist das Gesetz des Vakuums: Wann immer man sich nicht drum kümmert, es wird schlimmer werden. Insofern, es gibt keine andere Chance. Diese wurde jetzt in Berlin ergriffen. Die muss man nur wirklich ergreifen und ernstnehmen. Das heißt, eventuell ist es eine Friedenstruppe, eventuell ist es auch etwas, was nie gemacht wurde, nämlich diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die für Verbrechen an Migranten, aber auch an Aktivisten, an Menschenrechtsaktivisten verantwortlich sind, an Kriegsverbrechen zum Beispiel, die vielleicht vor ein Spezialtribunal zu holen in Den Haag.
Rahmlow: Halten Sie das für realistisch?
Keilberth: Das ist nötig, denn man braucht irgendwas, mit dem man die lokalen Kriegsherren auf beiden Seiten unter Druck setzen kann, und das können Reiseverbote sein. Im Moment ist es so, dass zum Beispiel auf Seiten der Einheitsregierung Mitglieder vorhanden sind, die auf der UN-Sanktionsliste stehen wegen Schmuggel und Verbrechen gegen Migranten. Es ist schon erstaunlich, dass man da nicht konsequent durchgegriffen hat bis jetzt. Die Konferenz kann nur gelingen, wenn man diese Verantwortlichkeit auch einklagt.
Deutschland stellt den Verhandlungstisch bereit
Rahmlow: Die Bundesregierung ist Gastgeber. Die Deutschen wie die Europäer haben ein Interesse daran, weil Libyen sehr oft Startpunkt ist für Flüchtende, die über das Mittelmeer kommen. Sind wir als Deutsche ein Gastgeber, der tatsächlich ein Wort mitzureden haben, oder dürfen wir nur den Tisch bereitstellen?
Keilberth: Das ist auch schon etwas, den Tisch bereitzustellen. Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr neutral gezeigt und hat nicht allzu große Interessen in Libyen. Italien hat mit ENI einen Staatskonzern in Westlibyen, der seit Jahren ungefähr 16, 17 Prozent des Öls und Gases für Italien aus Libyen holt. Das heißt, da hat man in Westlibyen starke Interessen.
Frankreich möchte das frankophone Westafrika davor bewahren, von Jihadisten kontrolliert zu werden, die kommen sehr häufig aus der südlibyschen Sahara. Deswegen hat Frankreich mit dem Kriegsherrn Haftar eine Allianz geschmiedet. Deutschland hat Interesse daran, dass das Gebiet stabilisiert wird. Ich glaube, dass man ein bisschen neutral ist und den Tisch bereitstellt, ist schon viel wert.
Rahmlow: Herr Keilberth, Sie haben eingangs erwähnt, dass vieles in Libyen auch heute noch gut funktioniert. Sie verbringen viel Zeit dort. Wie wird denn von Libyen aus auf diese Konferenz geschaut?
Keilberth: Man hatte zuerst große Erwartungen, dass jetzt ein großer Wurf gelingen könnte. Aber es zeigt sich schon, dass seitdem gestern in Ostlibyen zwei Ölhäfen gesperrt wurden, dass die lokalen Probleme jetzt nicht durch die Berlin-Konferenz gelöst werden. Die Ölhäfen wurden von den lokalen Stammesfürsten gesperrt, weil man möchte, dass die von der Türkei geschickten syrischen Freiwilligen das Land wieder verlassen. Sie sollen auf der Seite der Einheitsregierung jetzt gegen Haftar kämpfen.
Insofern hat sich ein etwas realistischer Blick schon in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit gezeigt, aber ich denke, die Mehrheit der Libyer, die will diesen Krieg nicht. Die Libyer sind zum größten Teil weder auf Haftars noch auf Sarrajs Seite. Insofern ist ein starkes Signal nötig und nicht nur ein unterschriebenes Papier.
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