Libyen setzt beim Wiederaufbau auf deutsche Expertise

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Nana Brink |
Laut Andreas Schockenhoff fehlt es in Libyen derzeit an grundsätzlichen staatlichen Strukturen. Vertreter der derzeitigen libyschen Regierung setzten deshalb großes Vertrauen in Deutschland, sagt der CDU-Außenexperte. Sie erwarteten Hilfe beim Aufbau von Verfassung, Sicherheitsstrukturen und Bildungssystem.
Nana Brink: Das wäre fast eine Vorlage für einen Hollywoodfilm, wenn es denn nicht real wäre: Fünf Frachtflugzeuge voller Geldscheine sollen demnächst am internationalen Flughafen in Tripolis landen. Dort sollen die Scheine dann noch auf LKW verladen und in die Zentralbank in der Altstadt von Tripolis transportiert werden. Das Geld des Gaddafi-Regimes hatte die UN eingefroren und nun wieder freigegeben.

Wie gesagt, taugt für ein Hollywoodszenario, denn auch nach der Befreiung Libyens von Machthaber Gaddafi ist das Land wahrlich kein Hort der Stabilität. Nicht nur die Macht über den Flughafen ist umstritten, rivalisierende Milizen und ein politisch umstrittener Übergangsrat kämpfen um die Vormachtstellung in dem Ölland, und derweil geben sich die Vertreter von Konzernen und europäischen Abgeordneten die Klinke in die Hand.

Zu den ersten Bundestagsabgeordneten, die nach Libyen gereist sind, gehört Andreas Schockenhoff. Er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Bereiche Außen-, Verteidigungs- und Europapolitik. Schönen guten Morgen, Herr Schockenhoff!

Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Frau Brink.

Brink: Sie sind gerade aus Libyen zurück. Welche Eindrücke haben Sie von dem Land?

Schockenhoff: Das Land ist in einem sehr chaotischen Zustand. Es fehlt die Orientierung. Und das Beispiel mit den Geldscheinen, das Sie eingangs erwähnt haben, zeigt ja, dass eigentlich elementare Strukturen fehlen. Das Land hat Geld, privat haben die Menschen Geld, und das Land hat Ölreichtum, der eingefroren ist auf Konten, aber es fehlen Scheine, es fehlt Bargeld, das kaputtgegangen ist, das in den Kriegswirren verbrannt ist, zerrissen. Und nun haben die Menschen Geld auf dem Konto, können aber kein Geld abgeben, um etwas zu kaufen. Das zeigt, dass ganz elementare Funktionen des Staates eben nicht funktionieren. Es gibt eine große Orientierungslosigkeit.

Brink: Milizen und Militär kämpfen ja weiter um die Macht. Fürchten Sie weiteres Blutvergießen? Was haben Sie dort erlebt?

Schockenhoff: Ich habe erlebt, dass es eigentlich nicht um die politische Vormacht geht, sondern dass es unterschiedliche Sicherheitsstrukturen gibt, die einfach untereinander nicht verbunden sind. Es gibt keine alte staatliche Ordnung, an die man anknüpfen kann oder die man transformieren kann. Die Menschen leben in vielen Loyalitäten gegenüber ihrer Familie, ihrem Clan, der Nachbarschaft, ihrer Stadt, aber ein moderner Staat, eine geordnete Verwaltung, ein existierendes Recht gibt es nicht. Deshalb gibt es eher eine Orientierungslosigkeit.

Die Menschen, die wir getroffen haben – wir waren beim Wirtschaftsminister, beim Außenminister, auch beim außenpolitischen Sprecher des Übergangsrates –, sind auf der einen Seite sehr idealistisch, aber auf der anderen Seite wissen sie nicht genau, wo das Land hingeht.

Brink: Sie haben es erwähnt, sie haben gestern den ganzen Tag über Gespräche geführt mit dem Außenminister, mit anderen Vertretern. Worüber haben Sie denn gesprochen ganz konkret?

Schockenhoff: Wir haben gesprochen über die Erwartungen an Deutschland, die sehr groß sind. Es gibt keinerlei Vorbehalte, dass sich Deutschland nicht an der Durchsetzung des Flugverbotes beteiligt hätte, nein. Die Erwartungen an Deutschland sind deshalb groß, weil Deutschland auf der einen Seite im Ruf steht, keine koloniale Vergangenheit zu haben, und auf der anderen Seite, weil Deutschland wirtschaftlich als der wichtigste Partner für die Diversifizierung gesehen wird.

Viele Gesprächspartner haben uns gesagt, die Anderen kommen und wollen an der Ölförderung sich beteiligen. Aber wir brauchen Diversifizierung. In 50 Jahren, in denen in Libyen Öl gefördert wurde, sind bereits mehr als 60 Prozent der vermuteten Vorräte erschöpft. Deswegen ist es eine Zukunftsfrage, dass wir das Land von der einseitigen Abhängigkeit vom Öl wegführen, dass wir diversifizieren, wir brauchen Privatisierung, wir brauchen kleine, mittelständische Unternehmen.

Und es gibt keinerlei Voraussetzungen. Es gibt kein Kartellrecht, es gibt keine Wirtschaftsordnung. Deswegen brauchen wir im Bereich Wirtschaftsversorgung vor allem auch Rechtsstaatlichkeit, Gesetze, Wettbewerbsrecht und so weiter, brauchen wir Expertise, brauchen wir Hilfe – dort wird sehr stark auf Deutschland gesetzt.

Brink: Können Sie mir ein konkretes Beispiel nennen? Es kann ja nicht nur die Anfrage der neuen libyschen Führung zur Nutzung von Fußfesseln - das ist letztens beim Auswärtigen Amt angekommen - sein. Was konkret wollen die denn von uns?

Schockenhoff: Die Leute wollen, dass wir Unternehmen bringen, die Güter des täglichen Bedarfes herstellen. Haushaltsgeräte, Maschinen, sie wollen Unterstützung beim Aufbau von einer dienstleistungsorientierten Industrie, also Transport, vielleicht sogar Tourismus. Das sind sehr elementare Sachen.

Und sie sagen, wir brauchen vor allem eine funktionierende Justiz, wir brauchen Gesetze. In diesem Land gibt es keine rechtliche Orientierung. Wir brauchen nicht nur eine Verfassung, sondern wir brauchen ein Wettbewerbsrecht, wir brauchen ein Strafrecht, wir müssen Richter, Staatsanwälte trainieren. Wir müssen aber auch eine Verwaltung aufbauen.

Und vor allem brauchen wir Ausbildung. Es gibt kein funktionierendes Bildungswesen. Und Deutschland mit dem dualen Bildungswesen – eben berufliche Bildung und Schulbildung – gilt in Libyen und in der Region hier als Modell, als Muster.

Brink: Sie haben es erwähnt: Deutschland hat ja mit nein gestimmt, als es im Weltsicherheitsrat um eine gewaltsame Intervention, eine NATO-Operation in Libyen ging. Sie haben gesagt, das würde ihnen nicht nachgetragen. Andersrum gefragt, welche Interessen hat denn jetzt Deutschland in Libyen?

Schockenhoff: Wir haben zunächst ein Sicherheitsinteresse. Libyen ist eine Haupttransitroute natürlich auch für Kriminalität, für Migration, für Schleusertum, übrigens ein Haupteinfallstor für Rauschgift aus Lateinamerika, das über Westafrika und dann durch Libyen über das Mittelmeer kommt – also dort Sicherheit zu schaffen, dort eine funktionierende Polizei, eine funktionierende Grenzkontrolle, Grenzsicherheit zu schaffen. Das ist nicht nur ein deutsches Interesse, das ist das Interesse der EU. Und ...

Brink: Wird denn da – pardon, ganz konkret gefragt – die deutsche Polizei unter Umständen in Libyen helfen? Mit einem Einsatz?

Schockenhoff: Nicht mit einem Einsatz von deutschen Polizisten vor Ort, aber mit Ausbildern, oder auch natürlich mit Technik, mit Grenzüberwachung. Die Europäische Union hat gerade in Ost- und Mitteleuropa nach 1990/91, nach dem Fall des Eisernen Vorhanges, Erfahrungen mit Transformation, aber auch mit Sicherheitsstrukturen, die aufgebaut werden. Dort geht es um Ausbildung, um Ausrüstung, um entsprechende gesetzliche Grundlagen, um elementare Rechtsstaatsstrukturen.

Brink: Wo ist denn die gemeinsame europäische Anstrengung?

Schockenhoff: Eben in einer solchen Mission. Wir haben jetzt im Kosovo die EULEX-Mission. Wir hatten Ähnliches in Bosnien und in anderen Staaten des Balkan beispielsweise. Also dort zu helfen, bei der Rechtssetzung zu helfen, bei Grenzkontrolle und vielleicht auch zu helfen bei der Kontrolle von Waffen, die es in unbekannter Zahl in Libyen gibt, die überhaupt nicht statistisch erfasst und registriert sind, aber hier einigermaßen kontrollierte Einsammelaktionen für Waffen oder eine Demilitarisierung. Es handelt sich nicht um große militärische Verbände, aber es handelt sich um vagabundierende Waffen, damit die nicht in die falschen Hände kommen, hat die Europäische Union Instrumente, da zu helfen.

Brink: Andreas Schockenhoff, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, weilte gerade im Libyen. Schönen Dank, Herr Schockenhoff, für das Gespräch!

Schockenhoff: Bitte schön, einen schönen Tag!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
CDU-Politiker Andreas Schockenhoff
Schockenhoff© Pressebüro Schockenhoff
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