Licht im Dunkel
Für viele Flüchtlinge ist das Gefängnis die letzte Station ihrer Odyssee – vor ihrer Abschiebung. In Berlin-Köpenick engagiert sich Pater Ludger Hillebrand im Auftrag des Jesuiten Flüchtlingsdienstes, hilft den inhaftierten Menschen in Notlagen, vermittelt Anwälte.
Langsam öffnet sich das hauswanddicke Stahltor. Zwei Wärter kontrollieren Ausweis und Zugangsberechtigung. Pater Ludger Hillebrand trägt Jeans und eine schwarze Fleeceweste. Er streicht mit der linken Hand über seinen grau melierten Bart. Als die Wärter ihn durchwinken, lächelt er knapp. Routine.
Hillebrand geht zügig in Richtung Haftgebäude. Ein vierstöckiger lang gezogener Plattenbau. Auf dem Hof: ein Fußballplatz und ein Basketballfeld.
Direkt auf die Zellen darf Pater Ludger Hillebrand nur alleine. Die Zellen sind das Wohnzimmer der Häftlinge, ihre Privatsphäre. Das sagt der stellvertretende Leiter der Haft Stephan Lengowski.
Lengowski trägt ein blaues Uniformhemd, er hat ein rundes Gesicht, ist kräftig gebaut. Mitte vierzig. Eine Führung durch eine unbelegte Etage? Kein Problem. Lengowski eilt voraus:
"Auf allen Etagen ist das gleich, da gibt es hier in der Mitte ne Wache und dann gibt es eine kurze und ne lange Seite. (Geräusch Riegel) Dieses Geräusch, das kennen die Insassen eigentlich nicht, weil kein Zelleneinschluss erfolgt. Das ist ein Zellenriegel. Auch nachts erfolgt kein Zelleneinschluss. Die Insassen können sich durchschließen lassen, die können sich zwischen den Etagen besuchen. Wo es Probleme gibt, da separieren wir, da trennen wir sie."
"Wo geht er hin? Zur Freistunde und dann mach ich Pause. Ja, klar, is ja kein Betrieb mehr."
Lengowski leitet routiniert durch die verschiedenen Bereiche und Etagen des Abschiebungsgewahrsams. Führt Small Talk mit den Angestellten. Das Gefängnis bietet Platz für rund 300 Menschen. Doch es sind immer weniger inhaftiert: Nur sieben Personen sitzen momentan hier ein. 190 angestellte Justiz- und Polizeibeamte stehen Lengowski zur Bewachung zur Verfügung.
"Das Personal muss ich vorhalten. Ich kann ja nicht plötzlich die Bewachung oben einstellen, nur damit jemand aufgenommen werden kann. Und ich muss auch Personal haben, wenn wir einen Notfall haben, dass die mit dem ins Krankenhaus fahren können und das muss dann schnell gehen. Das sagt sich immer so leicht: so viel Personal. Ist es aber in dem Sinne gar nicht, weil wir gewisse Maßnahmen einfach abdecken müssen."
Ludger Hillebrand hat seinen Rundgang durch die Zellen beendet. Im Andachtsraum platziert er Stühle in einen Halbkreis und stellt einen kleinen Altar mit Deckchen und Jesusbild in die Mitte des kargen Raums. Später wird hier der Gottesdienst stattfinden.
Die Gespräche mit den Inhaftierten beschäftigen ihn.
"Ich war auf der Etage bei den Gefangenen. Ich habe gesprochen, mit zwei Afrikanern, mit einem Brasilianer, mit den Vietnamesen sehr kurz und mit einem Tschetschenen. Die Frage der Leute hier ist, warum bin ich in Haft? Und dann erkläre ich halt, das ist eine Haftanstalt für Menschen, die nicht kriminell sind. Sonder sie sind hier, weil ihre Aufenthaltspapiere abgelaufen sind, oder weil sie ohne richtige Papiere nach Deutschland gekommen sind. Ich überlege gerade, ob mit dem Tschetschenen noch was zu machen ist ... "
Wenn noch was zu machen ist, stellt Hillebrand den Kontakt zu einem Rechtsanwalt her. Zwei Drittel der Leute, die er an einen Anwalt vermittelt, kommen wieder frei. Einen Pflichtanwalt – wie normale Angeklagte - bekommen die Abschiebehäftlinge jedoch nicht. Darum beraten einige Berliner Anwälte ehrenamtlich in der Abschiebungshaft. Aber wenn rechtlich nichts mehr zu machen ist, bleibt Hillebrand nur, die teils verzweifelten Mensch, seelisch wieder etwas aufzurichten.
Amboka Kasukamako ist verzweifelt. Er ist Mitte 20, trägt einen Trainingsanzug. Um seinen Hals baumelt an einer Kette ein silbernes Kreuz. Kasukamako starrt auf die Tischplatte:
"Ich trink nicht, ich esse nicht. Ich weiß, es könnte meiner Gesundheit schaden, aber das nehme ich in Kauf. Wenn sie mich abschieben, werde ich in meinem Land für immer hungern. Meine Muttersprache beherrsche ich nicht. Französisch nur ganz wenig, so Schulfranzösisch, mehr auch nicht. Mein Vater war politischer Flüchtling und gleichzeitig auch Kriegsflüchtling."
Mit drei Jahren kam Kasukamako aus dem Kongo nach Deutschland. Ging hier in den Kindergarten und die Schule. Integrierte sich. Später jedoch wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die er nicht zahlen konnte und musste ins Gefängnis. Nach Ausländergesetz reicht das für die Abschiebung. Doch Kasukamako fühlt sich als Deutscher. Er schreibt Lieder und singt – deutschen Rap:
"Meine Mentalität ist halt deutsch, nicht afrikanisch. Wieso habe ich mich integriert und sogar diese Stadt liebe, dieses Land liebe, Deutschland, das ich auch als meine Heimat ansehe. Wieso die einen einfach so ausweisen. Wenn ich Scheiße gebaut habe, dann sollen sie mich wie einen Deutschen bestrafen."
Wenige Tage später wird Kasukamako abgeschoben. Sein Hungerstreik konnte ihm auch nicht mehr helfen.
Kontakt nach der Abschiebung hat Hillebrand nur mit sehr wenigen Häftlingen. Die meisten melden sich nicht mehr. Und mit der Zeit verschwimmen auch für ihn die Schicksale der Menschen, die er betreut:
"Letztes Jahr waren das 560 Häftlinge gewesen. Bei einigen kennt man die Namen und dann verliert sich das auch wieder. Ich glaube, wir können das auch nicht leisten, dass wir zu jedem, der abgeschoben worden ist, noch Kontakt halten, das geht einfach nicht. Destotrotz freue ich mich über Kontakte hier und dort, die bestehen bleiben. Dass ich von einem Nigerianer weiß, wie es ihm geht, von einem Äthiopier, der ist nach Norwegen zurückgeschickt worden ist, da habe ich einen regelmäßigen E-Mail-Kontakt."
Seit vier Jahren macht Hillebrand Seelsorge in der Abschiebungshaft in Köpenick. Vieles ist Alltag geworden - Routine. Dennoch: Die menschliche Anteilnahme versucht er, sich zu bewahren. Sein Glaube gibt ihm dabei die Kraft, im Sinne Jesu das Richtige zu tun:
"Man kann nicht bei jedem Häftling 100-prozentig mitgehen. Aber wenn ich mich nicht mehr aufregen würde oder wenn da auch keine Tränen fließen würden, zwischendurch, dann würde ich auch sagen, jetzt habe ich zu viel Abstand. Wichtig, um das zu verarbeiten, ist zu beten. Dass wir ne Quelle bei Gott haben und sagen, so lieber Gott, so sieht's aus. Zweite Quelle ist das Team, mit Sicherheit, dass wir miteinander darüber reden können, was kann man jetzt machen, was kann man nicht machen, ist es sinnvoll zu protestieren oder nicht."
Im Moment begleitet eine Praktikantin Hillebrand bei seinen Besuchen in der Abschiebungshaft.
Hillebrand erinnert sich an vier Vietnamesen, die er kürzlich betreute. Aufenthaltsrechtlich konnte er nichts mehr für sie tun. Sie wurden abgeschoben:
"Also bei den Vietnamesen bei den vieren, die gehen jetzt zurück in ihre Heimat mit ihren Riesenschulden, die haben keine Lebensperspektive. Wo ich sage: Okay, lässt sich rechtlich nichts machen und, der Nächste bitte. Eine Praktikantin, die gerade frisch in der Haft ist, guckt die an und sagt: Oh, das ist doch ne Katastrophe. Und von daher ist es gut, wenn zwischendurch auch mal Praktikanten da sind, die den Gefängnisalltag und dem Abschiebungsalltag nicht so gut kennen und drauf aufmerksam machen, da stimmt auch politisch etwas nicht, das stimmt etwas in unserer Welt nicht, dass wir solchen Armutsflüchtlingen keine vernünftige Chance geben."
Hillebrand geht zügig in Richtung Haftgebäude. Ein vierstöckiger lang gezogener Plattenbau. Auf dem Hof: ein Fußballplatz und ein Basketballfeld.
Direkt auf die Zellen darf Pater Ludger Hillebrand nur alleine. Die Zellen sind das Wohnzimmer der Häftlinge, ihre Privatsphäre. Das sagt der stellvertretende Leiter der Haft Stephan Lengowski.
Lengowski trägt ein blaues Uniformhemd, er hat ein rundes Gesicht, ist kräftig gebaut. Mitte vierzig. Eine Führung durch eine unbelegte Etage? Kein Problem. Lengowski eilt voraus:
"Auf allen Etagen ist das gleich, da gibt es hier in der Mitte ne Wache und dann gibt es eine kurze und ne lange Seite. (Geräusch Riegel) Dieses Geräusch, das kennen die Insassen eigentlich nicht, weil kein Zelleneinschluss erfolgt. Das ist ein Zellenriegel. Auch nachts erfolgt kein Zelleneinschluss. Die Insassen können sich durchschließen lassen, die können sich zwischen den Etagen besuchen. Wo es Probleme gibt, da separieren wir, da trennen wir sie."
"Wo geht er hin? Zur Freistunde und dann mach ich Pause. Ja, klar, is ja kein Betrieb mehr."
Lengowski leitet routiniert durch die verschiedenen Bereiche und Etagen des Abschiebungsgewahrsams. Führt Small Talk mit den Angestellten. Das Gefängnis bietet Platz für rund 300 Menschen. Doch es sind immer weniger inhaftiert: Nur sieben Personen sitzen momentan hier ein. 190 angestellte Justiz- und Polizeibeamte stehen Lengowski zur Bewachung zur Verfügung.
"Das Personal muss ich vorhalten. Ich kann ja nicht plötzlich die Bewachung oben einstellen, nur damit jemand aufgenommen werden kann. Und ich muss auch Personal haben, wenn wir einen Notfall haben, dass die mit dem ins Krankenhaus fahren können und das muss dann schnell gehen. Das sagt sich immer so leicht: so viel Personal. Ist es aber in dem Sinne gar nicht, weil wir gewisse Maßnahmen einfach abdecken müssen."
Ludger Hillebrand hat seinen Rundgang durch die Zellen beendet. Im Andachtsraum platziert er Stühle in einen Halbkreis und stellt einen kleinen Altar mit Deckchen und Jesusbild in die Mitte des kargen Raums. Später wird hier der Gottesdienst stattfinden.
Die Gespräche mit den Inhaftierten beschäftigen ihn.
"Ich war auf der Etage bei den Gefangenen. Ich habe gesprochen, mit zwei Afrikanern, mit einem Brasilianer, mit den Vietnamesen sehr kurz und mit einem Tschetschenen. Die Frage der Leute hier ist, warum bin ich in Haft? Und dann erkläre ich halt, das ist eine Haftanstalt für Menschen, die nicht kriminell sind. Sonder sie sind hier, weil ihre Aufenthaltspapiere abgelaufen sind, oder weil sie ohne richtige Papiere nach Deutschland gekommen sind. Ich überlege gerade, ob mit dem Tschetschenen noch was zu machen ist ... "
Wenn noch was zu machen ist, stellt Hillebrand den Kontakt zu einem Rechtsanwalt her. Zwei Drittel der Leute, die er an einen Anwalt vermittelt, kommen wieder frei. Einen Pflichtanwalt – wie normale Angeklagte - bekommen die Abschiebehäftlinge jedoch nicht. Darum beraten einige Berliner Anwälte ehrenamtlich in der Abschiebungshaft. Aber wenn rechtlich nichts mehr zu machen ist, bleibt Hillebrand nur, die teils verzweifelten Mensch, seelisch wieder etwas aufzurichten.
Amboka Kasukamako ist verzweifelt. Er ist Mitte 20, trägt einen Trainingsanzug. Um seinen Hals baumelt an einer Kette ein silbernes Kreuz. Kasukamako starrt auf die Tischplatte:
"Ich trink nicht, ich esse nicht. Ich weiß, es könnte meiner Gesundheit schaden, aber das nehme ich in Kauf. Wenn sie mich abschieben, werde ich in meinem Land für immer hungern. Meine Muttersprache beherrsche ich nicht. Französisch nur ganz wenig, so Schulfranzösisch, mehr auch nicht. Mein Vater war politischer Flüchtling und gleichzeitig auch Kriegsflüchtling."
Mit drei Jahren kam Kasukamako aus dem Kongo nach Deutschland. Ging hier in den Kindergarten und die Schule. Integrierte sich. Später jedoch wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die er nicht zahlen konnte und musste ins Gefängnis. Nach Ausländergesetz reicht das für die Abschiebung. Doch Kasukamako fühlt sich als Deutscher. Er schreibt Lieder und singt – deutschen Rap:
"Meine Mentalität ist halt deutsch, nicht afrikanisch. Wieso habe ich mich integriert und sogar diese Stadt liebe, dieses Land liebe, Deutschland, das ich auch als meine Heimat ansehe. Wieso die einen einfach so ausweisen. Wenn ich Scheiße gebaut habe, dann sollen sie mich wie einen Deutschen bestrafen."
Wenige Tage später wird Kasukamako abgeschoben. Sein Hungerstreik konnte ihm auch nicht mehr helfen.
Kontakt nach der Abschiebung hat Hillebrand nur mit sehr wenigen Häftlingen. Die meisten melden sich nicht mehr. Und mit der Zeit verschwimmen auch für ihn die Schicksale der Menschen, die er betreut:
"Letztes Jahr waren das 560 Häftlinge gewesen. Bei einigen kennt man die Namen und dann verliert sich das auch wieder. Ich glaube, wir können das auch nicht leisten, dass wir zu jedem, der abgeschoben worden ist, noch Kontakt halten, das geht einfach nicht. Destotrotz freue ich mich über Kontakte hier und dort, die bestehen bleiben. Dass ich von einem Nigerianer weiß, wie es ihm geht, von einem Äthiopier, der ist nach Norwegen zurückgeschickt worden ist, da habe ich einen regelmäßigen E-Mail-Kontakt."
Seit vier Jahren macht Hillebrand Seelsorge in der Abschiebungshaft in Köpenick. Vieles ist Alltag geworden - Routine. Dennoch: Die menschliche Anteilnahme versucht er, sich zu bewahren. Sein Glaube gibt ihm dabei die Kraft, im Sinne Jesu das Richtige zu tun:
"Man kann nicht bei jedem Häftling 100-prozentig mitgehen. Aber wenn ich mich nicht mehr aufregen würde oder wenn da auch keine Tränen fließen würden, zwischendurch, dann würde ich auch sagen, jetzt habe ich zu viel Abstand. Wichtig, um das zu verarbeiten, ist zu beten. Dass wir ne Quelle bei Gott haben und sagen, so lieber Gott, so sieht's aus. Zweite Quelle ist das Team, mit Sicherheit, dass wir miteinander darüber reden können, was kann man jetzt machen, was kann man nicht machen, ist es sinnvoll zu protestieren oder nicht."
Im Moment begleitet eine Praktikantin Hillebrand bei seinen Besuchen in der Abschiebungshaft.
Hillebrand erinnert sich an vier Vietnamesen, die er kürzlich betreute. Aufenthaltsrechtlich konnte er nichts mehr für sie tun. Sie wurden abgeschoben:
"Also bei den Vietnamesen bei den vieren, die gehen jetzt zurück in ihre Heimat mit ihren Riesenschulden, die haben keine Lebensperspektive. Wo ich sage: Okay, lässt sich rechtlich nichts machen und, der Nächste bitte. Eine Praktikantin, die gerade frisch in der Haft ist, guckt die an und sagt: Oh, das ist doch ne Katastrophe. Und von daher ist es gut, wenn zwischendurch auch mal Praktikanten da sind, die den Gefängnisalltag und dem Abschiebungsalltag nicht so gut kennen und drauf aufmerksam machen, da stimmt auch politisch etwas nicht, das stimmt etwas in unserer Welt nicht, dass wir solchen Armutsflüchtlingen keine vernünftige Chance geben."