Licht im Paragraphenwald
Ein solches Mammutwerk über die europäische Rechtsgeschichte gab es bisher nicht. Es überzeugt durch Kenntnisreichtum und einen gut lesbaren, lockeren Sprachstil.
Warum ein Buch über die Rechtsgeschichte in Europa? Für Uwe Wesel liegt die Antwort auf der Hand: "Weil man aus der Geschichte lernen kann, die Gegenwart besser zu verstehen und ein wenig in die Zukunft zu denken."
Das gilt eben auch für das Recht, angefangen bei den Griechen und Römern über das Mittelalter bis zur Neuzeit. Ein gewaltiges Werk. Vor Wesel hat es keiner geschafft, dies alles in einem einzigen Band darzustellen. Die "Vielfalt von Erscheinungen in eine übersichtliche Ordnung und auf den Begriff zu bringen", ist sein Anliegen. Das ist ihm gut gelungen.
Sein eigenwilliger Stil in kurzen, klaren Sätzen, ungewöhnlich für Juristen, macht das Lesen auch komplizierter Zusammenhänge leicht. Zudem hat er ein gutes Gleichgewicht von Originalzitaten und eigenen Texten gefunden. Sokrates’ Verteidigungsrede zum Beispiel fasst Wesel mit seinen eigenen Worten zusammen, im heutigen Sprachgebrauch. "Der Vorwurf, ich würde die Jugend verderben, ist einfach lächerlich. Der Ankläger redet Blödsinn, die hier im Gericht sind auch nicht besser."
Die klare Gliederung in elf Kapitel macht das Buch ebenfalls gut lesbar. Uwe Wesel schreibt chronologisch, von der Antike bis heute, geografisch von Spanien, Italien, Griechenland bis Norwegen und von England bis Russland. Es geht um das Privatrecht und die Vertragsfreiheit, das Familien- und Erbrecht, das in den Anfängen private und dann öffentliche Strafrecht.
Man erfährt, wie sich das Recht von der Religion trennte, wie die Legalität entstand, die Bindung des Richters an das Gesetz. Schon im zweiten Jahrhundert nach Christus hat Kaiser Trajan gesagt, dass es besser sei, die Tat eines Schuldigen ungesühnt zu lassen als einen Unschuldigen zu verurteilen. Da kann man bereits den Grundsatz "in dubio pro reo" erkennen – im "Zweifel für den Angeklagten".
Uwe Wesel ist ein Jurist, der gern seine Meinung sagt. Aber er spart sich lange Tiraden. Ein knappes "Nun ja" reicht ihm, um etwas zu kommentieren, was ihm nicht gefällt - zum Beispiel, dass man in Deutschland immer noch von der "indogermanischen" Sprachengruppe redet statt von der "indo-europäischen".
Manchmal jedoch entgleitet ihm sein lockerer Schreibstil und wirkt auf unschöne Art flapsig. Zum Beispiel, wenn er darüber spricht, dass "die gute alte Folter" am Anfang des 13. Jahrhunderts wieder auftaucht, nachdem sie Ende des 5. Jahrhunderts mit dem Zusammenbruch des weströmischen Reichs verschwunden war.
Von solchen Fauxpas abgesehen trifft Uwe Wesel meist den richtigen Ton. Er nennt die Dinge in aller Deutlichkeit beim Namen. Die Todesstrafen gegen Sokrates, gegen Jesus und gegen Jeanne d’Arc sind Justizmorde. Die Hexenprozesse in der frühen Neuzeit sind ein Trauerspiel. Für die Frauen hat Uwe Wesel ein ganz besonderes Herz, sogar für Xanthippe, die wahrscheinlich, so Wesel, gar nicht so böse war. Er beschreibt, wie in den meisten Gesellschaftsformen die Frauen unter der Knute des Mannes standen, auch im radikal-demokratischen Griechenland. Eine Demokratie, die für Frauen und Sklaven nicht galt.
Wichtigstes Feld im Familienrecht des 20. Jahrhunderts ist für Uwe Wesel der Kampf der Gleichberechtigung von Frauen in der Ehe. Das Buch wird abgerundet mit einem Vergleich des Europäischen Rechts mit dem Recht in China, Indien und im Islam. Es endet mit dem Fall der Supermarktkassiererin "Emmely", der wegen Unterschlagung von 1,30 Euro gekündigt wurde und die erst vorm Bundesarbeitsgericht in letzter In-stanz Recht bekam.
Uwe Wesel plädiert für mehr soziale Gerechtigkeit im Recht und schlägt zum Schluss den Bogen von Agamemnon zu "Emmely", ein Kunststück. Wie das ganze Buch, sehr zu empfehlen.
Besprochen von Annette Wilmes
Uwe Wesel: Geschichte des Rechts in Europa. Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon
C.H. Beck Verlag, München 2010
734 Seiten, 38,00 Euro
Das gilt eben auch für das Recht, angefangen bei den Griechen und Römern über das Mittelalter bis zur Neuzeit. Ein gewaltiges Werk. Vor Wesel hat es keiner geschafft, dies alles in einem einzigen Band darzustellen. Die "Vielfalt von Erscheinungen in eine übersichtliche Ordnung und auf den Begriff zu bringen", ist sein Anliegen. Das ist ihm gut gelungen.
Sein eigenwilliger Stil in kurzen, klaren Sätzen, ungewöhnlich für Juristen, macht das Lesen auch komplizierter Zusammenhänge leicht. Zudem hat er ein gutes Gleichgewicht von Originalzitaten und eigenen Texten gefunden. Sokrates’ Verteidigungsrede zum Beispiel fasst Wesel mit seinen eigenen Worten zusammen, im heutigen Sprachgebrauch. "Der Vorwurf, ich würde die Jugend verderben, ist einfach lächerlich. Der Ankläger redet Blödsinn, die hier im Gericht sind auch nicht besser."
Die klare Gliederung in elf Kapitel macht das Buch ebenfalls gut lesbar. Uwe Wesel schreibt chronologisch, von der Antike bis heute, geografisch von Spanien, Italien, Griechenland bis Norwegen und von England bis Russland. Es geht um das Privatrecht und die Vertragsfreiheit, das Familien- und Erbrecht, das in den Anfängen private und dann öffentliche Strafrecht.
Man erfährt, wie sich das Recht von der Religion trennte, wie die Legalität entstand, die Bindung des Richters an das Gesetz. Schon im zweiten Jahrhundert nach Christus hat Kaiser Trajan gesagt, dass es besser sei, die Tat eines Schuldigen ungesühnt zu lassen als einen Unschuldigen zu verurteilen. Da kann man bereits den Grundsatz "in dubio pro reo" erkennen – im "Zweifel für den Angeklagten".
Uwe Wesel ist ein Jurist, der gern seine Meinung sagt. Aber er spart sich lange Tiraden. Ein knappes "Nun ja" reicht ihm, um etwas zu kommentieren, was ihm nicht gefällt - zum Beispiel, dass man in Deutschland immer noch von der "indogermanischen" Sprachengruppe redet statt von der "indo-europäischen".
Manchmal jedoch entgleitet ihm sein lockerer Schreibstil und wirkt auf unschöne Art flapsig. Zum Beispiel, wenn er darüber spricht, dass "die gute alte Folter" am Anfang des 13. Jahrhunderts wieder auftaucht, nachdem sie Ende des 5. Jahrhunderts mit dem Zusammenbruch des weströmischen Reichs verschwunden war.
Von solchen Fauxpas abgesehen trifft Uwe Wesel meist den richtigen Ton. Er nennt die Dinge in aller Deutlichkeit beim Namen. Die Todesstrafen gegen Sokrates, gegen Jesus und gegen Jeanne d’Arc sind Justizmorde. Die Hexenprozesse in der frühen Neuzeit sind ein Trauerspiel. Für die Frauen hat Uwe Wesel ein ganz besonderes Herz, sogar für Xanthippe, die wahrscheinlich, so Wesel, gar nicht so böse war. Er beschreibt, wie in den meisten Gesellschaftsformen die Frauen unter der Knute des Mannes standen, auch im radikal-demokratischen Griechenland. Eine Demokratie, die für Frauen und Sklaven nicht galt.
Wichtigstes Feld im Familienrecht des 20. Jahrhunderts ist für Uwe Wesel der Kampf der Gleichberechtigung von Frauen in der Ehe. Das Buch wird abgerundet mit einem Vergleich des Europäischen Rechts mit dem Recht in China, Indien und im Islam. Es endet mit dem Fall der Supermarktkassiererin "Emmely", der wegen Unterschlagung von 1,30 Euro gekündigt wurde und die erst vorm Bundesarbeitsgericht in letzter In-stanz Recht bekam.
Uwe Wesel plädiert für mehr soziale Gerechtigkeit im Recht und schlägt zum Schluss den Bogen von Agamemnon zu "Emmely", ein Kunststück. Wie das ganze Buch, sehr zu empfehlen.
Besprochen von Annette Wilmes
Uwe Wesel: Geschichte des Rechts in Europa. Von den Griechen bis zum Vertrag von Lissabon
C.H. Beck Verlag, München 2010
734 Seiten, 38,00 Euro