Licht ins Dunkel um Vitamin D
Ein Vitamin macht Furore: Vitamin D - ein Stoff, der uns gerade im Winter fehlt. Experten warnen vor Mangelerscheinungen, die Verkäufer von Präparaten haben es als "Glücksvitamin" tituliert. Sind derartige Zusätze tatsächlich ein Glücksfall für die Kunden - oder nur für die Verkäufer?
Die dunklen Tage des Winters schlagen nicht nur aufs Gemüt. Auch die Bildung von Vitamin D kommt ins Stottern. Vitamin D entsteht in der Haut, wenn sie der UV-Strahlung der Sonne ausgesetzt ist. Da wir uns im Winter meist dick einmummeln, hat das bisschen Sonnenlicht kaum eine Chance.
Nun warnen viele Experten vor einem Mangel, sie raten im Winter zu Supplementen und fordern sogar eine Anreicherung von Lebensmitteln. In den Medien werden dem Vitamin D geradezu magische Wirkungen zugeschrieben. Deshalb hat sich auch das Bundesinstitut für Risikobewertung des Themas angenommen. Das BfR ist bemüht, die Begeisterung für diesen neuen Pharma-Markt zu dämpfen. Denn was in den Gesundheitssendungen als Vitamin daherkommt, ist in Wirklichkeit ein Hormon, so wie Östrogen oder Cortisol.
Es stimmt in diesem Falle sogar, dass es eine Reihe von Studien gibt, die eine erhöhte Krankheitsrate und Sterblichkeit bei Menschen mit niedrigen D-Spiegeln gefunden haben. Doch das kann, muss aber nicht ursächlich zusammenhängen. Niedrige D-Spiegel sind ein Marker dafür, ob jemand an die frische Luft kommt. Wer gehbehindert oder gar bettlägerig ist, hat natürlich nicht nur mangels Sonne weniger Vitamin D im Blut, sondern ist sowieso krank - daher rühren viele dieser Ergebnisse.
Dennoch ist die Sonne als Zentralgestirn die Grundlage des Lebens auf dieser Erde, ihre Strahlung ist genauso wichtig wie Speis und Trank. Dank der langen Evolution mit dem Licht geht es dabei nicht nur um einen einzelnen Stoff, sondern um einen ganzen Schwarm Vitamin D-artiger Verbindungen mit zahlreichen Aufgaben. Deshalb wirkt Sonnenlicht anders als die Gabe eines einzelnen Hormons.
In der Natur sind bis heute gut tausend derartiger Verbindungen nachgewiesen. Nicht wenige davon sind giftig. Und selbst die positiven Stoffe haben so ihre Tücken. Nicht ohne Grund verwendet man das echte Hormon Vitamin D auch, um im Tierversuch eine Verkalkung zu erzeugen. Das funktioniert so zuverlässig, dass Vitamin D - aber niemals Sonnenlicht - als eine Ursache von Arteriosklerose angesehen wird.
Es gibt sogar Pflanzen, die sich mit hohen Gehalten an Vitamin D-Verbindungen vor Fressfeinden schützen. Deshalb erkranken manchmal Rinder an einer Verkalkung der Gefäße. Ursache ist der Goldhafer auf den Wiesen. Auch beim Menschen gibt es Vergiftungen - beispielsweise durch gewisse Speisepilze, die Vitamin D-ähnliche Stoffe enthalten. In den USA wird die Milch sogar mit "D" angereichert. Dosierungsfehler hatten üble Folgen. In wieder anderen Fällen kamen Kunden durch die Einnahme von Nahrungsergänzungen in Lebensgefahr, auch weil sie das Hormon für ein Vitamin hielten und überdosierten.
Unsere Kenntnisse über die Wirkung von Vitamin D sind lückenhaft. So führte die Einnahme durch stillende Mütter nicht zu einer messbaren Erhöhung in der Muttermilch. Denkbar ist, dass der Säugling vor einer Überdosis geschützt werden soll. Genauso wahrscheinlich ist ein anderer Grund: Vitamin D wird in der Milch ans Eiweiß gebunden. Dadurch ist es für den Analytiker unsichtbar und kann nicht mehr gemessen werden. Dafür spricht auch, dass bei Schmelzkäse höhere Gehalte angegeben werden als bei jenen Käsesorten, aus denen er hergestellt wird. Die Schmelzkäseproduktion schließt das Eiweiß auf, damit wird das Hormon-erst messbar. Die realen Vitamin D-Gehalte in der Nahrung sind vermutlich höher als in den Tabellen ausgewiesen.
Was also tun? Das Tageslicht im Freien reguliert das hormonelle System des Menschen. Im Winter sorgt der Schnee, namentlich im Gebirge durch Reflexion für eine vermehrte UV-Strahlung. Weil die Sonne nix kostet, macht keiner Werbung dafür. Dabei sollte das UV-Licht nicht durch das großflächige Auftragen teurer Pflegecremes blockiert werden - manche enthalten nämlich exotische Sonnenschutzfaktoren. Dann bringt die Sonne auch ein wenig mehr Licht ins Dunkel unseres Hormonhaushaltes. Mahlzeit!
Literatur
BfR: Ausgewählte Fragen und Antworten zu Vitamin D. Gemeinsame FAQ des BfR, der DGE und des MRI vom 22. Oktober 2012
Devgun MS et al: Vitamin D nutrition in relation to season and occupation 1981; 34: 1501-1504
Ala-Houhala M et al: 25-Hydroxyvitamin D and vitamin D in human milk: effects of supplementation and season. American Journal of Nutrition 1988; 48: 1057-1060
Milne GWA, Delander M: Vitamin D Handbook. Wiley, Hoboken 2008
Kaptein S et al: Life-threatening complications of vitamin D intoxication due to over-the-counter supplements. Chemical Toxicology 2010; 48: 460-462
Mello JRB: Calcinosis - calcinogenic plants. Toxicon 2003; 41: 1-12
Sasaki H et al: Sugihiratake mushroom (angel's wind mushroom)-induced cryptogenic encephalopathy may involve vitamin D analogues. Biological and Pharmaceutical Bulletin 2006; 29: 2514-2518
Forrest SA et al: Interactions of vitamin D3 with bovine ß-lactoglobulin A and ß-Casein. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2005; 53: 8003-8009
Ströhle A: Vitamin D - ein "archaischer” Steroidabkömmling im Blickfeld der aktuellen Ernährungsforschung. Naturwissenschaftliche Rundschau 2011; 64: 173-180
Takeo S et al: Vitamin D-induced myocardial lesions and the protection by carbocromen. Arzneimittelforschung 1982; 32: 1412-1417
Toda T et al: Angiotoxicity in swine of a moderate excess of dietary vitamin D3. Food & Chemical Toxicology 1985; 23: 585-592
Dobnig H et al: Independent association of low serum 25-hydroxyvitamin D and 1,25-dihydroxyvitamin D levels with all-cause and cardiovascular mortality. Archives of Internal Medicine 2008; 168: 1340-1349
Melamed ML et al: 25-hydroxyvitamin D levels and the risk of mortality in the general population. Archives of Internal Medicine 2008; 168: 1629-1637
Zucker H: Warum verkalkt die Kuh im Voralpenland? Forschung - Mitteilungen 1987; H.4: 26-27
Machlin LJ: Handbook of Vitamins. Dekker, New York 1991
Koutkia P et al: Vitamin D intoxication associated with an over-the-counter supplement. New England Journal of Medicine 2001; 345: 66-67
Würgler FE: Hypervitaminose durch Milch. Naturwissenschaftliche Rundschau 1993; 46: 485-486
Nun warnen viele Experten vor einem Mangel, sie raten im Winter zu Supplementen und fordern sogar eine Anreicherung von Lebensmitteln. In den Medien werden dem Vitamin D geradezu magische Wirkungen zugeschrieben. Deshalb hat sich auch das Bundesinstitut für Risikobewertung des Themas angenommen. Das BfR ist bemüht, die Begeisterung für diesen neuen Pharma-Markt zu dämpfen. Denn was in den Gesundheitssendungen als Vitamin daherkommt, ist in Wirklichkeit ein Hormon, so wie Östrogen oder Cortisol.
Es stimmt in diesem Falle sogar, dass es eine Reihe von Studien gibt, die eine erhöhte Krankheitsrate und Sterblichkeit bei Menschen mit niedrigen D-Spiegeln gefunden haben. Doch das kann, muss aber nicht ursächlich zusammenhängen. Niedrige D-Spiegel sind ein Marker dafür, ob jemand an die frische Luft kommt. Wer gehbehindert oder gar bettlägerig ist, hat natürlich nicht nur mangels Sonne weniger Vitamin D im Blut, sondern ist sowieso krank - daher rühren viele dieser Ergebnisse.
Dennoch ist die Sonne als Zentralgestirn die Grundlage des Lebens auf dieser Erde, ihre Strahlung ist genauso wichtig wie Speis und Trank. Dank der langen Evolution mit dem Licht geht es dabei nicht nur um einen einzelnen Stoff, sondern um einen ganzen Schwarm Vitamin D-artiger Verbindungen mit zahlreichen Aufgaben. Deshalb wirkt Sonnenlicht anders als die Gabe eines einzelnen Hormons.
In der Natur sind bis heute gut tausend derartiger Verbindungen nachgewiesen. Nicht wenige davon sind giftig. Und selbst die positiven Stoffe haben so ihre Tücken. Nicht ohne Grund verwendet man das echte Hormon Vitamin D auch, um im Tierversuch eine Verkalkung zu erzeugen. Das funktioniert so zuverlässig, dass Vitamin D - aber niemals Sonnenlicht - als eine Ursache von Arteriosklerose angesehen wird.
Es gibt sogar Pflanzen, die sich mit hohen Gehalten an Vitamin D-Verbindungen vor Fressfeinden schützen. Deshalb erkranken manchmal Rinder an einer Verkalkung der Gefäße. Ursache ist der Goldhafer auf den Wiesen. Auch beim Menschen gibt es Vergiftungen - beispielsweise durch gewisse Speisepilze, die Vitamin D-ähnliche Stoffe enthalten. In den USA wird die Milch sogar mit "D" angereichert. Dosierungsfehler hatten üble Folgen. In wieder anderen Fällen kamen Kunden durch die Einnahme von Nahrungsergänzungen in Lebensgefahr, auch weil sie das Hormon für ein Vitamin hielten und überdosierten.
Unsere Kenntnisse über die Wirkung von Vitamin D sind lückenhaft. So führte die Einnahme durch stillende Mütter nicht zu einer messbaren Erhöhung in der Muttermilch. Denkbar ist, dass der Säugling vor einer Überdosis geschützt werden soll. Genauso wahrscheinlich ist ein anderer Grund: Vitamin D wird in der Milch ans Eiweiß gebunden. Dadurch ist es für den Analytiker unsichtbar und kann nicht mehr gemessen werden. Dafür spricht auch, dass bei Schmelzkäse höhere Gehalte angegeben werden als bei jenen Käsesorten, aus denen er hergestellt wird. Die Schmelzkäseproduktion schließt das Eiweiß auf, damit wird das Hormon-erst messbar. Die realen Vitamin D-Gehalte in der Nahrung sind vermutlich höher als in den Tabellen ausgewiesen.
Was also tun? Das Tageslicht im Freien reguliert das hormonelle System des Menschen. Im Winter sorgt der Schnee, namentlich im Gebirge durch Reflexion für eine vermehrte UV-Strahlung. Weil die Sonne nix kostet, macht keiner Werbung dafür. Dabei sollte das UV-Licht nicht durch das großflächige Auftragen teurer Pflegecremes blockiert werden - manche enthalten nämlich exotische Sonnenschutzfaktoren. Dann bringt die Sonne auch ein wenig mehr Licht ins Dunkel unseres Hormonhaushaltes. Mahlzeit!
Literatur
BfR: Ausgewählte Fragen und Antworten zu Vitamin D. Gemeinsame FAQ des BfR, der DGE und des MRI vom 22. Oktober 2012
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Kaptein S et al: Life-threatening complications of vitamin D intoxication due to over-the-counter supplements. Chemical Toxicology 2010; 48: 460-462
Mello JRB: Calcinosis - calcinogenic plants. Toxicon 2003; 41: 1-12
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Ströhle A: Vitamin D - ein "archaischer” Steroidabkömmling im Blickfeld der aktuellen Ernährungsforschung. Naturwissenschaftliche Rundschau 2011; 64: 173-180
Takeo S et al: Vitamin D-induced myocardial lesions and the protection by carbocromen. Arzneimittelforschung 1982; 32: 1412-1417
Toda T et al: Angiotoxicity in swine of a moderate excess of dietary vitamin D3. Food & Chemical Toxicology 1985; 23: 585-592
Dobnig H et al: Independent association of low serum 25-hydroxyvitamin D and 1,25-dihydroxyvitamin D levels with all-cause and cardiovascular mortality. Archives of Internal Medicine 2008; 168: 1340-1349
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Würgler FE: Hypervitaminose durch Milch. Naturwissenschaftliche Rundschau 1993; 46: 485-486