Ein Komet schwebt über uns
Als Mitbegründer der Gruppe ZERO spielte Otto Piene bei seiner Malerei gern mal mit dem Feuer, konzipierte Lichtballette und beeindruckte mit seinen "Sky Art"-Projekten. Jetzt zeigen die Nationalgalerie Berlin und die Deutsche Bank KunstHalle seine Werke.
Nachruf auf Otto Piene von Anne Linsel zum Nachhören
15 Sekunden, acht, fünf – schneller, immer schneller werfen große Projektoren leuchtende Bilder auf die Leinwände, die man im Obergeschoss der Neuen Nationalgalerie aufgehängt hat. Projizieren Farbformationen auf in den Raum gerollte Kugeln – im Takt, den Otto Piene aus dem Off vorgibt.
Vor den Augen des Betrachters öffnet sich das Universum des Künstlers. Das All – und Alles der Farben und Formen. Violette, satte Punkte leuchten neben rot glimmenden Tropfen, die wie Blutkörperchen unterm Mikroskop wirken und sich von gift grünen Ovalen abheben... Projektionen von Farben und Formen, die hell erstrahlen im Mies van der Rohe Bau, trotz der großen Glasscheiben, durch die normalerweise das Tageslicht hinein flutet. Denn es ist Nacht. Die Sonne ist untergegangen. Draußen. Hier drinnen scheint sie weiter
"The Proliferation of the Sun" Die Sonne kommt näher, heißt diese Lichtinstallation von 1967. Ursprünglich für eine kleine Off-Bühne in New York konzipiert, werden jetzt die 1120 bemalten Glasdias vergrößert ins Obergeschoss der Neuen Nationalgalerie projiziert. Eine Reinszenierung, bei der der mittlerweile 86-jährige Piene ganz in seinen künstlerischen Elementen ist: luftig und licht.
"Licht ist ja eine der ältesten Obsessionen des Menschen und des künstlerischen Ausdrucks. Dazu gehört Theater, Oper und viele Medien, die nicht konventionell und üblich waren, die weil sie ungewöhnlich waren, besonders faszinierend waren. Weil sie das Vokabular der Kunst erweitert hat."
Aus Luft wurden Skulpturen
Sich loslösen von den Konventionen der Kunst – danach strebte der 1928 im nordrhein-westfälischen Laasphe geborene Künstler immer wieder. In seiner Zeit am Massachusetts Institute of Technology etwa formte er Luft zu Skulpturen und ließ die aufblasbaren Plastiken als "Sky Art" am Himmel schweben. Und schon Anfang der 1950er-Jahre malte er Menschen die fliegen – oder manchmal auch fallen
"Manches hat sich auch ausgedrückt und befreit in Zeiten, die friedlicher wurden und im Gegensatz standen zu den Kriegszeiten, die ja doch lange dauerten. Als der Zweite Weltkrieg anfing, war ich elf Jahre alt. Als er aufhörte, war ich 16 Jahre alt, Und in between gab es vieles, was ich erlebt habe. Mit 15 wurde ich eingezogen zur Flak und da gab es viele Dinge, die fürchterlich aber auch interessant waren. Ich habe 1944/45 zum ersten Mal einen Düsenjäger gesehen. Da wussten die Leute alle noch nicht, was das ist. Da war vieles faszinierend, aber auch bedrohlich und ungeheuerlich."
Ein großer Erneuerer nach 1960
Eine Faszination für Wissenschaft und Technik, ein Mutwille, Grenzen auszuloten und zu überschreiten, die Pienes Kunst prägen – und manchmal zum Experiment werden lassen. In der Deutsche Bank KunstHalle etwa sieht man neben den erwähnten fliegenden Menschen Rasterbilder, mithilfe des Abdrucks alter Radio-Rückseiten hergestellt. Dazwischen allerlei Apparaturen, die das Licht einfangen und als tanzende Punkte an die Wand zurückwerfen. Außerdem die berühmten Rauchbilder, auf denen er der Farbe mit Feuer zu Leibe gerückt ist. Sogenannte ZERO Kunstwerke, mit denen Otto Piene und Künstlerkollegen wie Heinz Mack die Kunst sozusagen zurück auf Null setzen wollten – frei für einen wirklichen Neubeginn. Eine Wendemarke, die Otto Piene zu einem der großen Erneuerer nach 1960 macht, findet Kurator Joachim Jäger.
"Nicht nur wegen der großen Beteiligung bei ZERO. Wir verdanken ihm auch das rausgehen aus dem Museum, in die Natur, die Landschaft. Ich glaube, dass er auch zum Modell geworden ist, für Künstler, die heute mit einem großen Stab arbeiten. Das kommt auch aus der ZERO Zeit. Bei ZERO sieht man viel zu sehr Lichtobjekte und Malerei. Es ging aber auch um Ausstellungen und Performances, die diese Gruppe gemeinsam organisiert hat. Ich halte die Position für sehr wichtig und zentral für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts."
All diese Facetten eines ziemlich bewegten Oeuvres versucht man nun festzuhalten in diesem Ausstellungsprojekt – und es gelingt ziemlich gut. Der retrospektive Teil in der Deutsche Bank KunstHalle überzeugt mit einem lebendigen Konzept, das genug Raum lässt für die eigenwillige Strahlkraft der Bilder, für die Effekte der leuchtenden Apparaturen. Sicher, Otto Pienes "Sky-Art" ist hier aus Platzgründen nur per Fotodokumentation präsent. Echte Piene Sterne steigen dafür dann am Samstag ab 17 Uhr vom Dach der Neuen Nationalgalerie gen Himmel auf - während drin die Sonne näher und näher kommt und in leuchtenden Farben ihren Zauber verbreitet. Ein bisschen nostalgisch den Anfängen der Medienkunst huldigend - und dabei bis heute entdeckungsreich. Ganz im Sinne von Otto Piene
"Es hat halt sehr viel Neues ergeben – und hat halt sehr viel Spaß gemacht!"