Lichtshow im Hinterhof gegen die Isolation

Das Coronavirus als Discokugel

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Ein Foto zeigt die bläulich illuminierte Corona-Spiegelkugel, die der Lichtkünstler Georg Veit auf seinem Balkon installierte.
Mit Licht gegen die Isolation: Georg Veit bittet die Nachbarn während der Kontaktsperre zum Tanz. Die Discokugel als Virus steuerte ein befreundeter Künstler bei. © Georg Veit
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Der Lichtdesigner Georg Veit lässt Opern, Hochzeiten oder Firmenevents glänzen. Corona-bedingt verwandelt er stattdessen nun seinen Münchner Hinterhof in eine Distanz-Disko. Seine Nachbarschaft genießt den Ausbruch aus der Isolation.
Von italienischen Hinterhöfen unterscheidet sich der Hinterhof von Georg Veit wohl nur in der wohlsanierten Sauberkeit - ein bisschen bieder die Nachkriegsbauten – aber beide Orte verbindet an diesen Abenden das ganz große Gefühl.

Farbige Lichter tanzen auf den Wänden

Zum Schlager "So lang' man Träume noch leben kann" der Münchner Freiheit wimmeln auf den Hauswänden der Theresienstraße Nummer 25 im Münchner Univiertel tausende Lichttupfer – der Hinterhof ein Aquarium der Farben. Die Musik tönt vom Balkon im vierten Stock, wo Georg Veit wohnt. Dazu hat er ein knappes Dutzend Spiegelkugeln aufgehängt, die im bunten Licht glitzern.
"Es ist ein Innenhof, der praktisch als Projektionsfläche dient", sagt einer der Anwohner, der Zahntechniker Franz Adametz. "Es ist wie eine Lightshow, wie eine Diskothek mit Diskokugeln und den entsprechenden Farbprojektionen an den Wänden – also wirklich beglückend."

Große Oper im Hinterhof

Adametz hat sein Labor im Hinterhof. Er íst begeistert von den Lichtshows, die sein Freund und Nachbar aus dem Vorderhaus bereits an mehreren Abenden veranstaltet hat. Manche davon sind inzwischen auch auf Youtube zu sehen. Auf die Idee kam Georg Veit aus Langeweile:
"Ich bin Lichtdesigner und beschäftige mich mein ganzes Leben mit Licht. Und dann habe ich angefangen, aus meinem Lager irgendwelche Sachen zu holen und die aufzuhängen an meinem Balkon. Am zweiten und dritten Tag haben wir ein ganz kleines und vorsichtiges Ding gemacht, und dann ging das vier Tage lang. Es wurden immer mehr Spiegelkugeln und immer mehr Lampen, und die Leute waren total happy, begeistert und gerührt, sie haben geweint am Telefon. Also, das war wirklich toll."
Der Lichtdesigner Georg Veit steht in einem schwarzen Trainingsanzug auf seinem Innenhof in der Münchner Innenstadt. Es ist bereits dunkel, hinter ihm sind Bäume zu sehen und hinter einzelnen Fenstern und Balkonen brennt Licht in den Zimmern.
Lichtgestalter mit Mission: Georg Veit im Hinterhof.© Deutschlandradio / Tobias Krone
Wahrscheinlich war es auch ein bisschen der innere Trieb, die eigene Beschäftigungslosigkeit zu bekämpfen: Georg Veit illuminierte im vergangenen Sommer das Rigoletto-Open-Air bei den Bregenzer Festspielen. Ohne den Corona-Shutdown hätte er in diesem Sommer wenig Gelegenheit gehabt, seinen Balkon zu genießen.
"Ich hätte eine Oper in Budapest gehabt, da wäre ich letzte Woche gewesen", erzählt Veit. "Im Moment wäre ich in Johannesburg, das waren auf der Opernseite die zwei anstehenden Projekte. Und sonst: Ja, von Hochzeiten über Firmenevents, Preisverleihungen, alles mögliche haben wir betreut – und jetzt nicht mehr."
Ein bitteres Lächeln, ein Schulterzucken. Dann widmet sich Georg Veit wieder seiner Heimarbeit im Hinterhof – mit einem Klebeband. "Da überklebe ich die Bewegungsmelder im Hof", erklärt Veit, "wenn die angehen, dann ist es zu hell. Deswegen muss man die jetzt schnell wegmachen. Damit es dunkler ist als sonst."

Der Computer steuert 40 Scheinwerfer

Heute soll es wieder glitzern im Hinterhof. Aber richtig: Diesmal fährt Georg Veit 40 statt zehn Scheinwerfer auf, lautere Musik – und eine computergesteuerte Illuminierung: "Auf jeden Beat gibt es einen Einsatz, und das ist eine hochprofessionelle Programmierung, die jetzt auch zehn Tage gedauert hat und – eigentlich völliger Schwachsinn!"
Schwachsinn, aber lustig, ist auch die Spiegelkugel in Form eines Coronavirus, die ein befreundeter Künstler Georg Veit lieh. Losgehen soll es um 20:50 Uhr, wenn es dunkel ist im Hof – und sonst eigentlich nur die Mäuse über die Mäuerchen huschen. Doch so langsam sammelt sich die Nachbarschaft auf den Balkonen. Und auch im dunklen Hof erscheinen ein paar Gestalten.

"Als würde man etwas Verbotenes tun"

"Man ist natürlich leise und begrüßt sich nur leise, alle mit Abstand", sagt Anna, eine Freundin von Georg Veit aus dem Nachbarviertel, "man fühlt sich so ein bisschen, als würde man was Verbotenes tun."
Dann geht es los. Über den Hof, über Autos, Fahrrädern, Kinderwagen und Mülltonnen zieht sich ein buntes Farbenspektakel – die Menge starrt begeistert nach oben auf den Balkon, wo Georg Veit den Justin Timberlake-Song in ein Lichtfeuerwerk übersetzt. Manche geben sich dem Beat hin und tanzen einfach nur, bis nach wenigen Minuten das Lied zu Ende ist.

Einmal ausbrechen für zehn Minuten

Die Nachbarin Irina ist nach ihrem Tanz immer noch ein bisschen wie in Trance – seit Januar hat sie das nicht mehr getan. "Das war so toll, das war wie Ausgehen", sagt sie. "Es war, als ob alles rausbricht von diesen Monaten jetzt."
"Ich glaube, das feuert das innere Licht an, diese Freude, überhaupt das Lebensgefühl – und auch vor allen Dingen die Gemeinschaft, das ist das Tolle dabei", sagt Veits Nachbarin Gisela. Dann ist Schluss. Kein Bussi, keine Umarmung.
Auch Anna bricht wieder auf. "Das war das Highlight der Woche", lächelt sie. "Einmal rausgehen, durch die leere Stadt zu laufen und zu fühlen, als würde man Freitagabend ausgehen, was man dann doch nicht macht. Sondern jetzt geht man wieder nach Hause und aufs Sofa. Aber kurz zehn Minuten ausbrechen tut definitiv gut."
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