Liebe für die, die nichts haben

Von Peter Kaiser |
Engagement und Nächstenliebe machen die Heilig-Kreuz-Kirche in Berlin-Kreuzberg zu einem Anlaufpunkt für gesellschaftliche Randgruppen. Armen und Obdachlosen bietet sie Zuflucht und Unterstützung. Auch die Flüchtlinge vom Potsdamer Platz haben hier eine vorübergehende Bleibe gefunden. Vorerst. Denn ohne Spenden wären viele Angebote nicht möglich.
Keiner wird 125 Jahre alt und sieht dabei so aus wie am Anbeginn seiner Tage. So auch die Heilig-Kreuz-Kirche. Die wurde nach der Kaiser- und Nazizeit schwer zerstört und zweimal wieder aufgebaut. In diesen Tagen ist in der Kirche hektische Betriebsamkeit. Denn die 125-Jahrfeier ist nah. Und daneben gibt es sowieso viel zu tun, sagt Dagmar Apel, eine der Pfarrerinnen:

"Wir haben verschiedene große Arbeitsstränge. Das ist die Gemeindearbeit an sich. Mit allem Klassischen, was es so gibt. Dann haben wir die kommerziellere Arbeit mit 'Arcantus', die Vermietung der Kirchen und dann haben wir die sozial-diakonische Arbeit und die setzt sich zusammen aus unseren zwei Kitas und aus der Armenpflege, der Obdachlosenarbeit.

Viele, die verarmt sind, leben im Grunde genommen ohne Obdach, ohne soziale, psychische Heimat und die laden wir ein hier ein Stück Heimat zu finden. Wir haben gefunden, dass sehr viele, die mal obdachlos waren, die auf der Strasse gelebt haben, sehr früh gealtert sind und in unser Haus Nostizstraße gekommen sind, um da zu sterben. Und um den Menschen hier, die mit ihm gelebt haben, die Möglichkeit zu geben die Grabstätte zu besuchen und um ihm eine würdige Beisetzung zu garantieren, haben wir diese Grabstätte angeschafft."

Jedem Toten seinen Namen
Auf dem evangelischen Kirchhof 'Vor dem Halleschen Tor' steht Peter Storck vor dem 'Grab mit vielen Namen', in dem Platz für 55 Verstorbene ist. Auch Pfarrer Storck ist in der Heilig-Kreuz-Kirche tätig. Ihm obliegt meist die Arbeit mit den Obdachlosen.

"Wir nennen es das 'Grab mit den vielen Namen'. Denn wir gehen davon aus, dass jeder Mensch ein Menschenrecht auch hat mit Namen erinnert zu werden. Auch wenn er verstorben ist. Bei den ordnungsamtlichen Bestattungen ist es so, dass die Behörden immer nur eine anonyme Grabstelle bezahlen. Wir haben dieses hochwertige Grab eingerichtet und durch Spenden finanziert, so dass hier jeder, der hier beerdigt wird, auch eine Namensinschrift bekommt.

Denn mit der Namensnennung wird die Taufe vollendet. Hier werden Menschen begraben, die im Umfeld der Gemeinde obdachlos sind oder in unserem Wohnheim für beheimatete Obdachlose gestorben sind. Es ist auch schon ein Teil der Stadtkultur zu sehen: In welcher Form gehen wir eigentlich auch mit unseren Toten um?"

Gemeinschaft als Geben und Nehmen
Ein Musiker in der Wärmestube: "Liebe Mitbürger, oder wie ich euch ansprechen soll. Wenn ich jetzt Geburtstag hier mit euch nachfeiern darf, dann gibt es bei einem solchen Geburtstag wie ich ihn feier` auch Melancholisches. Die Zeit ist vergangen, die schönen Stunden, man denkt daran."

Ein 70-jähriger Musiker aus dem Bezirk hat sich gewünscht, seinen Geburtstag mit den Besuchern der wöchentlichen Wärmestube in der Heilig-Kreuz-Kirche zu feiern. Nach der Ansprache bringt er den Männern und Frauen ein Ständchen. Was ihm nicht nur gedankt, sondern auch erwidert wird.

Gesang: "Happy Birthday to you …"

Die Wärmestube für die Menschen von der Straße ist begehrt und immer gut besucht. Pfarrerin Ulrike Klehmet spricht und schenkt Kaffee aus:

"Lobe den Herrn, meine Seele, so sagt es jemand in der Bibel. Das Gute und das Schöne, das uns manchmal vor die Füße fällt. Das klare Herbstlicht, die Wärme…"

Plötzlich sitzt wieder jemand am Klavier seitlich vom Altar.

Volkshochschule für Arme
Es ist die Offenheit, die Lebendigkeit, die gelebte Gemeinsamkeit, die berührt und einnimmt. Doch es gibt noch mehr. Fern von den neu zugezogenen Wohlhabenden, die es nun im Bezirk immer mehr gibt, schufen die Heilig-Kreuzler das Kulturzentrum für Arme und Obdachlose.

Pfarrer Stork: "Das ist ein Zentrum, in dem Menschen durch Kunst stark werden. Das ist unser schönstes Projekt. Da ist eine Volkshochschule für Arme, wo man sich gegenseitig unterstützt. Ganz toll, lebt aber nur von Spenden und Kollekten."

Und weil Nächstenliebe manchmal direkt sein muss, unmittelbar …

Pfarrer Storck: "… haben wir jetzt interimsmäßig die Flüchtlinge von Potsdamer Platz aufgenommen, weil die völlig geschwächt dringend am Samstagabend eine Unterkunft brauchten."

Und wie nebenbei von allem läuft seit Jahren das Wohnheim.

Pfarrer Storck: "Das hat sich zur Aufgabe gemacht, Menschen, die lange auf der Straße gelebt haben, zu beheimaten. Menschen, die niemand haben will, die nicht therapierfähig sind, aber die doch auch ein würdiges Leben führen wollen."

Durchmischung der Gesellschaft
Das alles, jetzt und heute, das ist die Heilig-Kreuz-Kirche. Das ist die Arbeit, die dort täglich getan wird, für und mit den Menschen. Auch nach den Gottesdiensten, sagt Pfarrerin Dagmar Apel:

"Weil da kommen Menschen zusammen, die Armutserfahrungen gemacht haben, Menschen, die Professoren sind und ein geregeltes bürgerliches Leben haben. Menschen, die kreativ sind und im Nachgespräch, im Kirchencafe danach, das eröffnet Räume, sich gegenseitig kennen zu lernen, aufeinander zu hören, Achtung zu lernen, und da haben sich auch schon Menschen so angefreundet miteinander. Das find' ich ganz schöne Ergebnisse, steht einer Kirche auch gut an, diese Räume zu eröffnen."

125 Jahre Heilig-Kreuz-Kirche – die Feierlichkeiten sind an diesem Sonntag. Gratulation also und nicht nur zum Alter.

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