Liebe, Hass und Spielsucht - eine theatralische Büchse der Pandora

Von Hartmut Krug · 10.06.2011
In Castorfs Inszenierung des russischen Klassikers mutiert ein Franzose zeitweilig zu einem Österreicher. Es wird viel berlinert und vom sauertöpfischen Berlin und Bürgermeister Wowereit gewitzelt.
In Dostojewskis in drei Wochen rauschhaft herunter geschriebenem Roman geht es um die Liebe und um das Spiel, aber nie aber um das Liebespiel. Die Menschen, die sich in einem Hotel in Roulettenburg zusammen gefunden haben, scheinen unentwegt miteinander zu kämpfen. Um Geld, um Liebe, um Geld für die Liebe. Es sind Spieler, die ständig sich selbst, aber auch die anderen quälen, Sinnsucher im Spielen am Spieltisch und, da Gott wohl tot ist, auch im Beziehungsspiel. Man versteht sich nicht, sagt Castorf im Programmheft und nennt Dostojewskis Figuren kalte Menschen, die nicht sprechen, sondern schreien und lispeln.

Weshalb die Schauspieler in seiner Inszenierung sehr viel schreien und heftig eine innere Erregtheit ausstellen. Dostojewskis Figuren sind eindeutig und dabei auch flach. Castorf verleiht ihnen zwar keine psychologische Grundierung, doch eine Identitäts-Mehrdeutigkeit. Jetzt besitzen sie Erfahrungen aus Dostojewskis Zeit wie aus unserer heutigen und verstecken hinter ihrer offenbaren Identität auch mögliche weitere. Das gibt dem Regisseur die Möglichkeit, sie mit vielen Assoziationen und Regieeinfällen zu beschweren.

Castorf hat das Gerüst des Romans beibehalten: der Hauslehrer Alexej schaut zurück auf seine unglückliche Liebe zu Polina Alexandrowna und erzählt von seinem Weg hin zum reinen Spieler. Doch leider bläht Castorf den Roman mit vielen Regieeinfällen unnötig auf. Konzentration, Rhythmus, Verständlichkeit der Anspielungen, an all das verschwendet der Regisseur wenig Gedanken. Es ist wieder eine dieser Castorf-Inszenierungen geworden, die zugleich eine kleine Wundertüte wie eine große theatrale Büchse der Pandora ist.

Mit manchen Albernheiten und provokativ-funktionslosen Anspielungen: da wird die Mutter der umschwärmten Blanche von einem krächzenden Mann in einer Rotkäppchen-Version gespielt. Ein Franzose mutiert zeitweilig zu einem Österreicher, es wird viel berlinert und vom sauertöpfischen Berlin und Bürgermeister Wowereit gewitzelt. Bilder und Zitate aus London und Las Vegas werden eingeblendet, und viele Selbstzitate beschweren den Abend, von Heiner Müllers "Der Auftrag" bis zu Kartoffeln und Kartoffelsalat.

Der Magen eines riesigen Krokodils dient einem Mann als Rückzugsort, - und diese Aktion dem Regisseur als Mittel philosophischer und szenischer Gags, während der das Krokodil ausstellende Mann als Klischee eines kaufmännisch denkenden Deutschen herhalten muss. Für Kenner: Dostojewski schrieb eine Erzählung "Das Krokodil". Dostojewskis Überlegungen über die Russen im Ausland geben Castorf Anlass, in langen philosophisch-politischen Monologen über die Slawenfrage und Russlands Engagement in Asien heute räsonieren zu lassen.

Vor allem aber wird über weite Strecken Live-Kino gezeigt. Auf Bert Neumanns mit vielen Kammern bestückter Drehbühne verschwinden die Schauspieler oft hinter Wänden, um auf der Filmleinwand wieder zu kehren. So in einer großen Szene, in der die reiche Großtante, auf deren Tod und Geld alle gesetzt hatten, am Roulettetisch in eine verhängnisvolle Spielleidenschaft verfällt. Von Dostojewski schwung- und druckvoll erzählt, wird dies bei Castorf, trotz Sophie Rois als Großtante, zu einer hausbackenen Hinterzimmer-Filmerei.

Die Beziehungsgespräche allerdings, gezeigt auf der Kinoleinwand, liefern durch ihre schnellen Schwenks und durch Großaufnahmen der intensiven Mimik der Darsteller eine auch emotionale Dramatik, die dem äußerlich aufgedrehten Theaterspiel weitgehend fehlt. Immerhin hat Castorf endlich wieder einmal ein tolles Ensemble zusammen bekommen. Neben dem überragenden Alexander Scheer als Hauslehrer Alexej und der souveränen Sophie Rois sind das vor allem noch Kathrin Angerer als Polina und Hendrik Arnst als verliebter alter General.

Insgesamt aber zeigt mir diese Inszenierung einmal mehr, dass Frank Castorf in einer ästhetischen Sackgasse steckt. Ein kluger Dramaturg muss her, der die ausufernde Einfallslust von Castorf bremst: für eine nicht aufgeblasene, sondern konzentrierte und aufregende Dramatisierung von Dostojewskis "Der Spieler" hätte es höchstens drei statt der von vielen Spannungslöchern beschwerten fünf Aufführungsstunden bedurft.


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